© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/18 / 30. November 2018

Ärger mit dem Nachwuchs
Junge Alternative: AfD-Bundesvorstand geht nach Verbalentgleistungen auf Distanz / Status als Jugendorganisation steht auf dem Prüfstand
Christian Vollradt

Wird die AfD demnächst keine oder aber eine neue Jugendorganisation haben? Hinter den Kulissen der Partei geht es in dieser Frage offensichtlich gerade hoch her.  Am Montag ist der AfD-Bundesvorstand auf Distanz zur Jungen Alternative (JA) gegangen. Während einer Telefonkonferenz hatte die AfD-Führung „menschenverachtende Einzeläußerungen“ in der Jugendorganisation beklagt, die man „mit Abscheu“ zur Kenntnis genommen habe. „Das einzigste Ticket, das ich einem Flüchtling geben würde, wäre ein Expreßzug nach Auschwitz-Birkenau”, zitiert die FAZ unter anderem aus einer internen Chatgruppe. Der Vorstand forderte die JA deshalb auf, sich unverzüglich von den betreffenden Mitgliedern zu trennen. Mit einer weiteren Prüfung der Vorgänge beim Parteinachwuchs wird sich die „Arbeitsgruppe Verfassungsschutz“ in einer Sondersitzung befassen. Zudem soll der nächste Parteikonvent prüfen, den Paragraphen 17a der Bundessatzung zu ändern. Dort heißt es bisher: „Die Junge Alternative für Deutschland (JA) ist die offizielle Jugendorganisation der Alternative für Deutschland.“

Einige Vorstandsmitglieder wollen keine Auflösung

Nach Informationen der JUNGEN FREIHEIT hat eine Mehrheit im Bundesvorstand offenbar die Geduld mit der Parteijugend verloren. Bereits im Sommer hatte sich das Gremium den Nachwuchs zur Brust genommen, nachdem sich mehrere JA-Vorstände über rechtsradikale verbale Entgleisungen und „schaurige Szenen“ bei einem Bundeskongreß beschwert hatten (JF 24 und 26/18). Anders sehen das die Vorstandsmitglieder Frank Pasemann und Andreas Kalbitz. Der brandenburgische AfD-Vorsitzende teilte der JF mit, er persönlich wende sich „nach dem derzeitigen Erkenntnisstand entschieden gegen ein spalterisches Sippenhaft-Prinzip zur Abgliederung oder Auflösung der gesamten JA aufgrund der durchaus zu verurteilenden und konsequent zu ahndenden Verfehlungen einzelner JA-Mitglieder oder Teilgliederungen“.

Kalbitz war bereits im Frühsommer gemeinsam mit seinem Vorstandskollegen Guido Reil mit einer Art Dienstaufsicht über die JA beauftragt worden. Manche Vorstandskollegen werfen den beiden vor, dieser Aufgabe nicht nachgekommen zu sein. Denn in der Partei ist seit längerem eine Diskussion über den Umgang mit dem Nachwuchs entbrannt. Hintergrund ist die mögliche Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Die JA könnte hierfür zum Einfallstor werden, so die Befürchtung. Insbesondere der rechte Parteiflügel habe entsprechende Mißstände bei der Jugendorganisation zu nachsichtig behandelt.

In Bremen, Niedersachsen und Baden-Württemberg wird die Junge Alternative bereits vom Verfassungsschutz beobachtet, unter anderem weil es personelle Überschneidungen mit der Identitären Bewegung geben soll, die ebenfalls vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Den niedersächsischen Landesverband hatte die JA auf einem Bundeskongreß in Barsinghausen aufgelöst (JF 46/18). Obwohl der Druck aus der AfD, dies zu tun, sehr groß war und obwohl Parteichef Alexander Gauland die JA-Mitglieder in einer Rede dazu ausdrücklich aufgefordert hatte, war dieser Beschluß lediglich mit einer ziemlich knappen Mehrheit gefaßt worden. Dies hatten moderate JA-Mitglieder als ein ernüchterndes Signal aufgefaßt. 

Neue Nahrung bekam diese Einschätzung, als Anfang der Woche ein relativ prominenter AfD-Politiker den Jugendverband verließ: Markus Frohnmaier. Der Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg und frühere JA-Bundesvorsitzende begründete seinen Schritt gegenüber der JF mit „unterschiedlichen Vorstellungen darüber, wie eine attraktive Jugendarbeit aussieht“. Daß ein Verband, der vom Verfassungsschutz beobachtet wird, eher unattraktiv auf die meisten jungen Leute wirkt, dürfte sich von selbst verstehen.  

Zuvor hatte im Südwesten annähernd die Hälfte der aktiven JA-Mitglieder öffentlichkeitswirksam dem Verband den Rücken gekehrt. Etwa 75 waren es bereits Ende vergangener Woche, darunter der bisherige Vorsitzende Moritz Brodbeck und der Stuttgarter Landtagsabgeordnete Stefan Herre. In ihrer Austrittserklärung beklagen sie unter anderem einen „Radikalisierungsprozeß“. Etwa 50 Prozent der aktiven Mitgliedschaft, so habe man feststellen müssen, sei es „schon lange nicht mehr um freiheitlich-patriotische Jugendpolitik“ gegangen, „sondern um die Verfestigung einer in keiner Weise konstruktiven totalen Ablehnung dessen, was sie nebulös als ‘System’ bezeichnen, wir hingegen als freiheitlich-demokratische Grundordnung und das Ergebnis freier und gleicher Wahlen kennen und zu schätzen wissen“, schreiben die Ausgetretenen. 

Brodbeck berichtete der JF, man habe schon seit einiger Zeit eine immer stärkere Vernetzung von JA-Funktionären mit IB-Leuten beobachtet. Das reichte von gemeinsamen Auftritten in der Öffentlichkeit bis zur Verteilung von IB-Material bei JA-Veranstaltungen. Entsprechende Bilder kursieren in WhatsApp-Gruppen der JA. In der Kritik steht dabei vor allem der Stellvertretende Landesvorsitzende der JA Baden-Württemberg, Reimond Hoffmann. Dessen Radikalisierungstendenzen würden von der Mutterpartei und insbesondere der Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg gedeckt, lautet ein Vorwurf seiner Gegner. Hoffmann, der bei der Fraktion in Stuttgart angestellt ist, reise „gut ausgestattet mit dem Geld von der Fraktion und einer Bahn-Card 100 im Land umher und wiegelt die JA-Leute auf“, so der Vorwurf, den mehrere ehemalige und Noch-Mitglieder übereinstimmend äußern. Implizit steckt darin auch die Kritik, jemand mit dieser wirtschaftlichen Basis müsse eben auch die Beobachtung durch den Verfassungsschutz nicht fürchten. 

Brodbeck spricht von einer „billigen Retourkutsche“

Reimond Hoffmann bestreitet gegenüber der JF den Vorwurf, er nehme die Sache auf die leichte Schulter: „Es ist keine gute Situation, daß wir vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Wir haben uns bereits an die Behörde mit einer Bitte um Stellungnahme zu den Gründen gewandt und wollen juristisch gegen die Beobachtung vorgehen.“ Dem ausgetretenen Moritz Brodbeck hingegen wirft der übriggebliebene Vorstand vor, er selbst sei schließlich einmal bei der IB gewesen. Brodbeck nennt das eine „billige Retourkutsche“. Seine entsprechenden Kontakte rührten aus der Zeit um 2013. „Seit meinem Eintritt in die AfD hatte ich keinerlei Kontakt mehr zu den Identitären. Hoffmann hingegen ist „Herrn Brodbeck dankbar, daß er gegangen ist“, wie er gegenüber der JF meint. „Den Abgrenzungsbeschluß zur Identitären Bewegung beachten wir. Die IB ist eine Konkurrenz zu uns. Wir sagen den Leuten: ihr müßt euch entscheiden, ob ihr bei uns mitmachen wollt oder bei der IB.“ Er könne durchaus verstehen, „wenn junge Leute nun Angst haben um ihre Karriere und die JA verlassen. Aber Angst ist kein guter Ratgeber, und wir ermuntern unsere Mitglieder, einen kühlen Kopf zu bewahren und dabei zu bleiben.“

Und was hält er von den Gerüchten, die AfD könne wegen Zuständen wie in seinem Verband die JA abstoßen wie Anfang der achtziger Jahre die FDP ihre Parteijugend Jungdemokraten? „Die JA soll die Jugendorganisation der AfD bleiben, und ich bin zuversichtlich, daß dies auch gelingt“, meint Hoffmann.

Sein innerparteilicher Widersacher Brodbeck dagegen will mit dem öffentlichkeitswirksamen Austrittsschreibem ein Zeichen „gegen die destruktiven Kräfte setzen, welche der AfD über die JA aktiv und sehenden Auges schweren Schaden zufügen“. Es gehe darum, die Partei wachzurütteln. Die Überlegung, eine neue Nachwuchsorganisation zu gründen sei keine Ankündigung, sondern „eine Option“. Man habe eine entsprechende Dynamik ausgelöst, ist sich Brodbeck sicher. Sein Mitstreiter Stefan Herre fordert vor allem: „Wir müssen uns von Extremisten trennen. Wir dürfen nicht zu einem Sammelbecken von Verfassungsfeinden werden.“

Schon seit einiger Zeit verdichten sich Hinweise, wonach die Landesverbände, in denen die „Moderaten“ eine Mehrheit haben, die eigene Ausgliederung aus der JA oder aber die Selbstauflösung beschließen könnten. In diesem Zusammenhang ist stets die Rede von den Verbänden Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Hessen. Wie die Frankfurter Rundschau berichtete, beabsichtige der Landesvorstand der hessischen JA, seinen Mitgliedern auf einem außerordentlichen Landeskongreß die Selbstauflösung vorzuschlagen. 

„Verschiedene Umstände, wie das Vorgehen des Verfassungsschutzes, das Verhalten einzelner JA-Mitglieder und die Reaktionen der AfD darauf, führen insgesamt zu Fustration“, sagte Hessens JA-Vorsitzender Jan Nolte der jungen freiheit. „Der großen Mehrheit der JA-Mitglieder ist überhaupt nichts vorzuwerfen und eine Verfassungsschutzbeobachtung kann völlig ungerechtfertigt sein. Aber mancher fragt sich eben, ob es unter diesen Umständen noch Sinn macht, seine Energie in die JA zu stecken.“ Die Frage, wozu man überhaupt einen Jugendverband braucht, stellen sich zur Zeit viele junge AfD-Mitglieder. Und nun offenbar auch zahlreiche führende AfD-Funktionäre.

Durch das Vorgehen der AfD-Spitze fühlt sich der Bundesvorsitzende der JA, Damian Lohr, übergangen. „Ich hätte schon erwartet, daß man uns vor der Beschlußfassung an den Tisch holt und um unsere Stellungnahme bittet, nicht erst danach“, sagte er der JF. „Bei jeder Sitzung des AfD-Bundesvorstands, an der ich teilnahm, hatte ich darauf hingewiesen, daß es zwei Verbände in der JA  mit mehreren Problemfällen gibt: Niedersachsen und Baden-Württemberg. Während wir jedoch Ordnungsmaßnahmen verhängten, hat die Partei nichts unternommen.“ 

Andere in der JA wiederum werfen genau dieses Versäumnis auch Lohr vor: Er habe viel zu spät auf einschlägige Mißstände reagiert und zwischen den gegnerischen Lagern laviert, ohne sich klar zu positionieren. Lohr selbst nennt es vermitteln. Wie es scheint, könnte es damit nun endgültig vorbei sein.