© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/18 / 30. November 2018

Bange Blicke gen Süden
Spanien: Kurz vor der richtungsweisenden Regionalwahl in Andalusien stehen die Sozialisten unter Druck
Michael Ludwig

Die spanische Innenpolitik gerät  nach Wochen des Stillstands und der relativen Ruhe – wieder in Bewegung. Anlaß dazu sind die Regionalwahlen in Andalusien, die am 2. Dezember stattfinden werden. Sowohl Pedro Sánchez, Chef der sozialistischen Zentralregierung in Madrid, wie auch sein direkter Gegenspieler Pablo Casado, der die konservative Opposition anführt, haben den Urnengang in der bevölkerungsreichsten Provinz des Landes zu einer Abstimmung über den Kurs ihrer Parteien erklärt.

Sozialisten wollen mit Brexit-Deal punkten 

Lange Zeit sah es danach aus, daß der Brexit und die mit ihm verbundene Frage, wie es nach einem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU um Gibraltar bestellt sein wird, keine besondere Bedeutung erlangen wird. Doch das  änderte sich am Wochenende. Sánchez setzte sowohl in Brüssel wie auch in London durch, daß, wenn es um die britische Besitzung am südlichsten Zipfel Andalusiens geht, nichts ohne Spanien entschieden werden darf.  Entsprechende Garantien wurden Madrid in drei verschiedenen Briefwechseln zugesagt.

 In einer ersten Stellungnahme bezeichnete Spaniens Regierungschef das Verhandlungsergebnis als großen Erfolg. Er wies zudem darauf hin, daß seine Regierung erst vor wenigen Tagen eine Milliarde Euro bereitgestellt habe, um den an Gibraltar angrenzenden spanischen Territorien wirtschaftlich unter die Arme zu greifen. „Durch steuerliche Vergünstigungen und die unterschiedlichen Zweige der Vergnügungsindustrie hat sich die britische Zone zu einer der reichsten Europas entwickelt“, betonte Sánchez und brachte damit die äußerst lukrativen Online-Wetten und Spielcasinos ins Spiel, die von Madrid nicht sonderlich gern gesehen werden. Das Wirtschaftsgefälle dürfe nicht zu groß werden, denn auf der andalusischen Seite herrsche eine Arbeitslosenquote von 25 Prozent.

Die Opposition, die nun fürchtet, daß Sánchez aus den Verhandlungen über Gibraltar politisches Kapital schlagen wird, kritisierte naturgemäß die Einigung. Sie bezeichnete sie als „historische Demütigung“ und den Briefwechsel als nutzlos und juristisch nicht bindend. „Spanien wird, sollte es einmal zu einem Streitfall kommen,  gegen das Vereinigte Königreich vor Gericht nicht gewinnen“, erklärte Pablo Casado.

Im Endspurt um die Macht in Andalusien ziehen die Politiker alle Register, über die sie verfügen. Auf den Bildern, die derzeit über den Bildschirm flimmern und in den Printmedien abgedruckt sind, ist Sánchez zu sehen, wie er seine Parteigenossin Susana Díaz geradezu liebevoll zu umarmen scheint, die sich als Spitzenkandidatin der sozialistischen PSOE erneut um das regionale Amt der Ministerpräsidentin bewirbt. 

Die zur Schau gestellten Gesten lassen die Spanier schmunzeln, denn hierzulande weiß jeder, daß die beiden sich spinnefeind sind. Zum einen repräsentiert Díaz den eher konservativen Flügel der PSOE, während Sánchez auf dem linken seiner Partei angesiedelt ist; zum anderen hat ihre knappe Niederlage gegen Sánchez bei der Wahl zum Parteivorsitz 2017 alte, wohl auch persönlich begründete Wunden aufgerissen. 

Weiterer Schwerpunkt des Wahlkampfes der PP ist die Migrationspolitik. „Afrika hat gegenwärtig 1,4 Milliarden Menschen, diese Zahl wird sich in den nächsten 50 Jahren verdoppeln. Länder wie Nigeria werden dann mehr Einwohner haben als die ganze EU. Versteht jemand vor diesem Hintergrund, daß Europa eine Politik der offenen Arme verfolgen muß?“, betonte Casado, dessen klare Positionierung in dieser Frage auch dem Erstarken der Vox-Partei geschuldet ist, die auf dem äußersten rechten Rand des politischen Spektrums um Wähler wirbt. Ihr sagen die Meinungsforscher einen Parlamentssitz voraus.

Wie wichtig auch für die sozialistische Regierung in Madrid zwischenzeitlich die Migrationsproblematik geworden ist, beweist die Reise von Pedro Sánchez in die marokkanische Hauptstadt Rabat. Dort verhandelte er dieser Tage mit König Mohamed VI. und Premierminister Saadedin al-Othmani, wie die illegale Migration eingedämmt werden könnte. 

Seit Beginn dieses Jahres sind rund 56.000 Migranten vor allem über Marokko und anschließend über das Mittelmeer nach Spanien gekommen, etwa 140 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Regierung in Madrid ist über die wachsende Durchlässigkeit des arabischen Landes  besorgt. Hinzu kommt, daß Rabat die Rücknahme von Flüchtlingen von 25 auf zehn pro Tag reduziert hat.

In der spanischen Hauptstadt geht man davon aus, daß Marokko über Spanien den Druck auf die Europäische Union erhöhen will, um weitere finanzielle Zuschüsse zur Versorgung der zahlreichen Migranten im Land zu erhalten. Bis jetzt hat die Europäische Kommission ein Hilfspaket von 144 Millionen Euro bewilligt, von denen bislang 70 Millionen ausgezahlt wurden. Diese Summe erscheint Rabat als außerordentlich gering im Vergleich zu der, die von der EU an die Türkei gezahlt worden sein soll, nämlich drei Milliarden. Selbst Libyen habe, so Rabat, Hunderte von Millionen kassiert. „Die Reaktion Marokkos auf das Angebot war ausgesprochen kühl“, kommentierte die Tageszeitung El País die Situation.

Liberale kündigen Freundschaft mit PSOE

Trotz der innerparteilichen Spannungen gilt Díaz als Favoritin bei dem bevorstehenden Urnengang. Einer repräsentativen Meinungsumfrage zufolge kann sie mit rund 32 Prozent der Stimmen rechnen, was sich mit 39 bis 42 Mandaten auswirken würde. Damit bliebe sie unter der absoluten Mehrheit, die im andalusischen Parlament mit 55 Sitzen beginnt. Sie wäre also auf einen Koalitionspartner angewiesen.

Völlig unklar ist derzeit, wer als zweitstärkste Kraft aus den Wahlen hervorgehen wird. Pablo Casado von der konservativen PP unterstützt nach Kräften seinen Parteifreund Juanma Moreno, dem zwischen 22 und 26 Parlamentssitze prognostiziert werden, etwa zehn weniger als derzeit. 

Die Frage, wer künftig Andalusien regiert – und damit einen beträchtlichen Einfluß auf die Politikgestaltung in Madrid ausübt –, wird auch von den bürgerlich-liberalen Ciudadanos entschieden. Sie haben die Zusammenarbeit mit der Sozialistischen Partei aufgekündigt und wollen künftig mit der PP die Regierung stellen. „40 Jahre sozialistische Regierungspolitik lasten wie eine Grabplatte auf der Provinz“, beschrieb Ciudadanos-Chef Albert Rivera die Lage, wie er sie sieht. Ihr Stimmenanteil wird auf knapp 20 Prozent (20 bis 22 Mandate) geschätzt.