© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/18 / 30. November 2018

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Es ist doch erstaunlich, wie gereizt das Publikum auf die Höhe der Einkünfte von Friedrich Merz reagiert und wie begeistert auf die Summen, die Helene Fischer einstreicht.

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Der Dramaturg Bernd Stegemann, einer der Vordenker von Sahra Wagenknechts Bewegung „Aufstehen!“, ist durchaus für die eine oder andere Überraschung gut. Etwa, wenn er feststellt: „Ich halte es für Doppelmoral, wenn man sich aus einer sehr privilegierten Position heraus moralisch für offene Grenzen einsetzt und gleichzeitig in seiner alltäglichen Lebenswelt – durch Abgrenzung des eigenen Milieus, des Arbeitsmarktes, der Schulen – alles dafür tut, daß man eigentlich gar nicht in Berührung damit kommt.“ So weit, so gut. Nur kann oder will Stegemann nicht erklären, wie eine Strategie aussieht, um dem Problem tatsächlich beizukommen.

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Die Firma Gateway, die Hologramme von fiktiven Figuren erstellt, soll bereits 3.700 Personen zu einer „Ehe“ mit ihren Projektionen verholfen haben. Kosten pro „Heirat“: 15.000 US-Dollar.

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Novemberrevolution A: Zu den Erklärungsversuchen, die heute gar nicht mehr diskutiert werden, gehört auch die des Kriminologen Hans von Hentig. Hentig war während des Ersten Weltkriegs Offizier und beobachtete bei seinen Soldaten im Sommer 1918 merkwürdige Symptome der Gereiztheit einerseits, der Apathie andererseits. Er führte sie auf die ungewöhnlichen klimatischen Verhältnisse zurück und meinte, daß die auch eine Rolle für den deutschen Zusammenbruch gespielt hätten. Eine These, die er später in einem Buch mit dem Titel „Über den Zusammenhang von kosmischen, biologischen und sozialen Krisen“ weiterentwickelt hat. Darin behauptete er, daß Vorgänge, die wir gewöhnlich als rein militärische, politische oder ökonomische betrachten, auch Ursachen in Bereichen hätten, die gemeinhin ausgeblendet werden. Dabei hatte Hentig vor allem im Blick, daß Katastrophen und Umbrüche regelmäßig von atmosphärischen und tellurischen Störungen begleitet waren: während des Peloponnesischen Krieges wie der Großen Pest, der Französischen Revolution oder dem Ende des Weltkrieges habe man beobachten könne, daß „alle Ordnung der Jahreszeiten verkehrt“ gewesen sei. Der Band erschien übrigens im Frühjahr 1968, und für seine eigene Gegenwart lieferte Hentig eine Interpretation unter dem Titel: „Stolpernde Jugend“: „Wir wollen unsern Fuß auf andere Himmelskörper setzen und sind dabei, technisch von destruktiver Perfektion umgeben, zum Baumbewohner oder Höhlenmenschen abzusinken. Auf welche Bahnen mag die Grippeseuche, die Ende 1967 losbrach, die Einzelmenschen, Völker, Rassen zerren, wenn ihr, verwüstend oder nur verwundend, in die Gehirne einzudringen glückt?“

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Novemberrevolution B: Ein Zeitzeuge berichtete: „Die Frauenmode des revolutionären Deutschland von 1919 zeigte eine Vorliebe für rote oder knallig gelbblonde Haare, für flüssige Schminke, dicke Ringe am Mittelfinger, Fußarmbänder, zahlreiche Reifen an einem Arm, Spazierstöcke, Lorgnons, für vehemente Farben, giftgrün und rot, eine Abneigung gegen Blumenparfüme, gegen Handschuhe, teilweise auch gegen Hüte. Zwischen den Augenbrauen wurde eine Brücke von Schminke gezogen, jede Frau der Mode sah zweifelhaft aus, gegen Runzeln waren Paraffineinspritzungen üblich, Verschwendungs- und Paradewut waren ebenso auffällig wie die Vorliebe für Seide und Zigaretten. Bei schlanker Figur fielen die unförmig dicken Beine und das genu varum der jungen Mädchen auf. – Die Mode der Männer bevorzugte die enge weibliche Taille und die busenartig herausgearbeitete Brust, hohe Damenabsätze, sehr helle Stoffarben und die übergelben Stiefel des eleganten Negers, die glatte Rasur und die Koteletten, viele Ringe, aufdringliche Parfüms, sorgfältige Maniküre usw.“

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Die Schweizer Volksabstimmung zur Frage, ob Hörner zum Kuh-Sein gehören, ist gegen die Hörner ausgegangen. Dahinter stehen sicher alle möglichen Motive, aber vor allem kommerzielle, während sentimentale und tierschützerische aus dem Feld geschlagen wurden. Das heißt auch, daß die archetypische Bedeutung des Horns weiter an Kraft verloren hat. Denn es ist seit alters ein Symbol der Kraft und der Macht, wobei keine klare Trennung zum Geweih bestand. Gehörnte Tiere oder solche mit Geweihen wurden seit der Steinzeit vielfach im religiösen Kontext dargestellt. Auf dem Michelsberg fand man den Kopf eines Stiers mit großen Hörnern, der offenbar wie eine Standarte an der Siedlungsgrenze oder einem Tor aufgerichtet war, Widder und Stier wurden wie Hirsch und Elch als göttlich verehrt. Selbst im Alten Testament, das den Stiergott Baal so heftig bekämpfte, waren die „Hörner des Altars“ eine fixe Vorstellung, und in den Zackenkronen des Mittelalters darf man vielleicht die Fortsetzung der mit Hörnern oder Geweih besetzten Kopfbedeckungen von Schamanen und Anführern sehen. 


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 14. Dezember in der JF-Ausgabe 51/18.