© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/18 / 30. November 2018

Pantomime hinter dem Vorhang
Der Liebestod als dunkler Tanz: Richard Wagners „Tristan und Isolde“ an der Staatsoper Hannover
Sebastian Hennig

Richard Wagners „Tristan und Isolde“, Handlung in drei Aufzügen nach dem Versroman des Gottfried von Straßburg, bleibt eine gewaltige Herausforderung an Sänger, Dirigent und Musiker. Wenn diese nur einigermaßen gemeistert wird, dann ist schon viel geleistet. Regisseure neigen bei diesem Stück dazu, sich eher etwas zurückzuhalten – anders als bei anderen großen Werken Wagners. Die Versuchung, durch die Szene dem Klang etwas anzufügen, ist vergleichsweise gering. Nicht zuletzt, weil die Zahl der zumeist handelnden Personen überschaubar bleibt.

Völlig darauf verzichten will jedoch auch Regisseur Stephen Langridge nicht. Seine Inszenierung des Werkes an der Staatsoper Hannover ist einerseits geprägt von den landläufigen Marotten seines Faches, andererseits verzichtet sie aber auf böswillige Dekonstruktion. Die Handlung nimmt er ernst, vielleicht sogar etwas zu ernst, wenn er mit Hilfe einer japanischen Butoh-Choreographie meint, das Drama von Liebe und Vernichtung metaphorisch noch unterstreichen zu müssen. Ein am ganzen Körper weiß geschminktes, fast nacktes Tänzerpaar schleicht gespenstisch schwerfällig über die Bühne.

Butoh war die ästhetische Revolte gegen die Amerikanisierung der japanischen Nachkriegsgesellschaft. Der „Tanz der Finsternis“ unterläuft gleichermaßen die Erwartungen an westliche Massenkultur und die japanische Kulturtradition. Er bedient sich stattdessen bei Elementen des deutschen Ausdruckstanzes und des Schamanismus. Der Choreograph der Staatsoper Hannover, Tadashi Endo, ließ sich noch vom Butoh-Pionier Kazuo Ohno den Weg weisen. Mit seiner Schülerin Nora Otte markiert er nun die Seelenregungen des mittelalterlichen Liebespaares mit bleischweren Bewegungen, die eher als phasenverschobene Reglosigkeit zu bezeichnen wäre.

Doch die physische Präsenz eines Wagnersängers schiebt das restliche Bühnengeschehen aus dem Fokus der Aufmerksamkeit. Die Aufregung der Musik und die mächtige Statur der Sängerdarsteller hält die zierlichen Tanzkünstler mit ihren verschleppten Gesten in Schach. Das malerische Fresko des Gesangs wird gesäumt von den graphischen Ornamenten des Butoh.

Das Bühnenbild von Conor Murphy gibt die Andeutung eines nautischen Milieus. Die Bühne wird rückseitig von einer Kurvatur gefaßt, die einem Schiffsrumpf ähnelt. Immer wieder wechselt die Stellung der Elemente zueinander, und die Beleuchtung wandelt sich, während eine Brücke den Auftritten des Chors dient. Dazu wirkt eine ovale Öffnung wie eine Art Bullauge, in dem die Tänzer ihre diskreten Wendungen vollführen.

Im zweiten Aufzug ragt die Öffnung als Austritt eines schräg angeschnittenen Rohres aus der Höhe. Mit dem Eintreffen Isoldes seilt sich Nina Otte daraus ab. In einem Rund darunter wird sie vom Tanzpartner erwartet. Das leibliche Liebespaar salbt sich dort selbstvergessen mit der weißen Schminke der Tänzer. Auf diese Weise verschlingt sich die Haupthandlung immer mehr mit dem getanzten Kommentar, so wie Liebe und Tod in Wagners Handlung zusammenrücken.

Stephen Gould ist der allgegenwärtige Tristan

Als das grelle Licht wieder angeht, tritt Markes Gefolgschaft in orangenen Westen mit angelegten Gewehren auf. Der beinahe schlanke Marke, Tobias Schabel, vermag die Wehmut eines vom treuesten Gefolgsmann hintergangenen Königs eindringlich vorzuführen. Er benötigt die ganze Innigkeit des Gefühls, um gegen die phänomenale Stimmkraft des Melot, Gihoon Kim, in königlicher Würde bestehen zu können. Tristan reicht Melot das Schwert und stürzt sich mehr in die Klinge, als jener es gegen ihn führen würde. Im Augenblick der Verwundung kippt die Tänzerin eine Schüssel Blut über ihr Haupt. Der Tänzer sinkt zur Seite gerade als Tristan niedergeht.

Jeder Akt beginnt mit einer Pantomime hinter dem transparenten Vorhang. Die Sängerin der Isolde, Kelly God, ist seit mehr als einem Jahrzehnt an der Oper Hannover engagiert. Sie ließ sich am Abend wegen einer leichten Erkältung entschuldigen. Im ersten Akt trägt sie ihre Isolde zwar makellos vor, verwaltet die Partie jedoch nur wie eine loyale Beamtin im höheren Gesangsdienst. Dramatisch wirkt das nicht, eher konzertant. God ist hier noch nicht Isolde, wenngleich sie auch deren Partie sehr gut wiedergibt.

Weniger überraschend ist die Qualität bei Stephen Gould, dem Wagnerschen Heldentenor zum beliebigen Einsatz im globalen Opernbetrieb. Gould ist der allgegenwärtige Tristan höchstselbst. Die Staatsoper Hannover präsentiert den amerikanischen Gastsänger an diesem Abend als exklusives Ereignis. Seine Titelrolle ist sonst mit dem Ensemblemitglied Robert Künzli besetzt. Für die Hannoveraner Brangäne, Khatuna Mikaberidze, wird diesmal Okka von der Damerau aufgeboten. Auch auf der Eintrittskarte wird deshalb ein „besonderer Abend“ gepriesen.

Zu diesem wird es jedoch vor allem durch die künstlerische Einheitlichkeit der gesamten Darbietung. Von Akt zu Akt nimmt die Intensität zu. Die Steigerung im Darstellungsvermögen verläuft parallel zur Zuspitzung der Handlung. Kelly God wird im Verlauf des zweiten Aktes wirklich zu Isolde. Im großen Finale kommt kein Gedanke mehr auf, die Sängerin könne etwa indisponiert sein. Ihre anfängliche Zurückhaltung entpuppt sich als ein kluges Haushalten mit Reserven. 

Im dritten Akt ist auf der Bühne alles verschoben und verschränkt. Unter dem Oval steht Tristans Krankenlager. Eine Brücke verläuft diagonal. Auf ihr weicht der Tänzer zurück. Seine Bewegungen sind so, als würde die Last des ganzen Erdballs seine Glieder niederdrücken. Später kommt es zu abgeschwächten Handgreiflichkeiten mit dem siechen Tristan. Als personifizierter Todeskampf nimmt Endo den Platz im Pflegebett ein. 

Melot tritt wieder als eine fleischgewordene Stimme auf. Für ihn knallt unnötigerweise ein ohrenbetäubender Schuß mitten in die Musik. Alle sinken auf die vorbereiteten Matratzen von Tristans Burg in der Bretagne, Kareol. Das Finale ist dann wirklich jener Höhepunkt, auf den der ganze Abend sich unaufhaltsam zubewegte.

Will Humburg dirigiert das Niedersächsische Staatsorchester Hannover immer konzentriert und zugleich geschmeidig musikalisch. Alle Dimensionen der Wagnerschen Musik weiß er zu erregen und treibt das Orchester zu großen Ausbrüchen, ohne daß der Klang darüber etwas von seiner anmutvollen Würde einbüßt. Die von Wagner gesetzten Effekte steigern stets die verbindliche Einheit des Werkes.

Den Schlußapplaus nimmt Humburg gelassen entgegen

Humburg ist ein Kapellmeister von umfassendem Können und dabei frei von jeder Attitüde. Den Schlußapplaus nimmt er auf der Bühne ganz selbstverständlich entgegen, nahezu mit der gleichgültigen Zerstreutheit, die einem entbehrlichen Brauch zugestanden wird. Hat sich doch die Musik über Stunden bereits ihrer gerühmt. Aber das Publikum braucht nun ein Ventil, durch das es die in ihm angestaute Leidenschaft entlassen kann.

Die nächsten Vorstellungen von „Tristan und Isolde“ an der Staatsoper Hannover, Opernplatz 1, finden am 2. und 22. Dezember statt. Kartentelefon: 0511 / 99 99 11 11

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