© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/18 / 07. Dezember 2018

„Zuwanderung muß national gelöst werden“
Der UN-Migrationspakt stößt nicht nur in Deutschland auf Widerspruch. Einer seiner heftigsten europäischen Kritiker ist Roger Köppel. Für den Schweizer Journalisten und Parlamentsabgeordneten ist schon dessen Ansatz falsch
Moritz Schwarz

Herr Köppel, was wird auf jene EU-Länder zukommen, die am Dienstag in Marokko den Migrationspakt annehmen?

Roger Köppel: Im Detail weiß es niemand. Aber klar ist, daß dieser Migrationspakt die illegale Zuwanderung von armen in reiche Länder erleichtern wird. Das ist die Absicht. 

Was stört Sie konkret? 

Köppel: In der Schweiz und stärker noch in Deutschland will die Mehrheit des Volkes, daß Zuwanderung begrenzt wird, Einwanderer strenger kontrolliert werden und besser zwischen Asylsuchenden und illegalen Wirtschaftsmigranten unterschieden wird. Dieser Pakt aber will das Gegenteil. Er legalisiert die illegale Migration. Er verneint und stellt sich gegen alles, was eine qualifizierte Mehrheit in unseren Ländern denkt – und in der Schweiz auch gegen einen Verfassungsartikel, der verlangt, Zuwanderung zu be- und nicht zu entgrenzen. 

Wie geht dieser Verfassungskonflikt aus?

Köppel: Zuerst hat der Bundesrat – die Regierung – den Pakt euphorisch bejaht. Man wollte ihn stillschweigend unterschreiben. Dann aber gab es politischen Druck. 

Sie meinen, Druck der Medien? 

Köppel: Nein, der Bürger. Die Medien haben zunächst weitgehend geschwiegen. Und das, obwohl der Pakt Eingriffe in die Medienfreiheit fordert! Er verlangt ja, daß die Medien positiv über Migration berichten. Jetzt geht die Regierung auf Distanz. Entscheidend für das Zögern des Bundesrats war die Selbstbestimmungsinitiative der SVP. Ich vermute aber, er wird nach der Parlamentsdebatte im Dezember gleichwohl unterzeichnet. 

Wie kann der Bundesrat den Pakt annehmen, wenn er doch der Verfassung widerspricht? 

Köppel: So etwas ist in Deutschland unmöglich, weil Sie das Bundesverfassungsgericht haben. Unser Verfassungsgericht ist das Volk. Es könnte den Pakt abschmettern. Aber jetzt diskutiert zuerst einmal das Parlament. Der Bundesrat ist für den Pakt. 

Beruhigt Sie, daß der Pakt rechtlich nicht verpflichtend ist?

Köppel: Warum dann unterschreiben?  Wenn der Vertrag zu nichts verpflichtet, warum gibt es ihn dann überhaupt? Dann lassen wir das Ganze doch. Nein, das ist Augenwischerei. Der Pakt enthält zahllose Verpflichtungen, keine rechtlichen, aber politische.  

Hierzulande argumentiert die etablierte Politik, daß Deutschland  – und das gilt wohl auch für die Schweiz mit ihren ebenfalls hohen Standards – sowieso fast alle Kriterien des Paktes erfülle. Der Kniff aber sei, jene Länder vertraglich zu verpflichten, bei denen das nicht der Fall ist und die dann nachziehen müssen. Wodurch sie für Einwanderer attraktiver werden und sich die Migrationslast, die sonst vor allem wir tragen müßten, besser verteilt. 

Köppel: Weil andere Defizite haben, sollen wir einen Vertrag unterschreiben? Entschuldigung, aber das entbehrt jeder Logik. Haben andere Staaten Defizite, soll die Uno doch mit denen, die ein Problem haben, den Pakt schließen. Hören wir auf, diesen Pakt kleinzureden! Er ist eine ernste Sache. Er ist im Interesse jener Staaten, die Migration verursachen und von der Migration profitieren, indem die Migranten Geld nach Hause schicken werden. Der Pakt will die illegale wirtschaftliche Migration, die heute etwa 95 Prozent der Asylmigration ausmacht, legalisieren. Und schließlich will er die Aufnahmeländer verpflichten, diesen Migrationsprozeß auch noch rechtlich, sozial, finanziell, ja sogar propagandistisch durch Eingriffe in die Meinungsäußerungsfreiheit, nach Kräften zu unterstützen. 

Sie haben dem Pakt in einem Leitartikel der „Weltwoche“ „Machbarkeitswahn in Reinkultur“ attestiert. 

Köppel: Da habe ich mich auf eine Äußerung Thomas Schmids in der Welt bezogen. Aber es stimmt, der Pakt geht von der Prämisse aus, daß sich Migration global steuern läßt. Das aber ist ein Irrtum. Migration kann man nicht supranational steuern. Die EU hat es doch bewiesen: Gemeinsame Grenzkontrollen, gemeinsame Migrationspolitik schaffen erst die Mißstände, die falschen Anreize, produzieren durchlässige Grenzen. Migration muß national gelöst werden, indem jedes Land seine Grenzen kontrolliert. So einfach ist das. 

Vielleicht hat die Uno ja die Fehler der EU studiert und daraus gelernt. 

Köppel: Es gibt keinen Anlaß dafür, das anzunehmen. Schauen Sie sich den Migrationspakt doch an: wieder so eine „United Colors of Benetton“-Konzeption, bei der alle für alles und keiner für etwas verantwortlich ist. Da ist das nächste Chaos programmiert. Und es kann auch nicht anders sein, denn im Grunde ist der Pakt das, was die Politologie „imperial overstrech“ nennt, also imperiale Überdehnung. 

Soll heißen? 

Köppel: Große Machtgebilde überschätzen und überdehnen sich. Nein, das einzige was in puncto Migrationsproblematik tatsächlich funktioniert hat – das war am Beispiel Ungarns, Österreichs und anderer europäischer Staaten zu beobachten –, ist, daß die Nationalstaaten wieder die Verantwortung übernommen und den Gesetzen Geltung verschafft haben.

In Berlin gilt jedoch weiter die Devise, Migration sei national nicht zu „lösen“ – und dennoch darauf zu setzen, sei populistisch.

Köppel: Ich verstehe, daß Deutschland aus historischen Gründen Mühe hat mit allem, was nach Nationalstaat klingt. Folglich bleibt den Deutschen wenig anderes übrig, als so zu argumentieren. Wenn ein deutscher Politiker nur schon vorschlägt, es vielleicht doch mal „national“ zu versuchen, dann herrscht Alarmstufe Rot! Deshalb habe ich Verständnis für die deutschen Politiker, denn was sollen sie also anderes tun, als zu versuchen, ihre nationalen Anliegen über Bande, über die Europäische Union oder hier über die Uno, zu spielen? So können sie diese entnationalisieren, sprich – nach deutschem Verständnis – politisch „entgiften“.

Dann wäre der Migrationspakt also doch im nationalen Interesse Deutschlands? 

Köppel: Nein, ich wollte Ihnen nur erklären, wie die Diskussionen laufen. Ich fand es auch nachvollziehbar, daß die Kanzlerin 2015 keine Sturmtruppen mit Schäferhunden an die europäische Außengrenze geschickt hat, um die Migranten abzuwehren. Das geht doch nicht. Man hätte die Kanzlerin auch international geächtet. Allerdings können die Deutschen nicht erwarten, wie Margaret Thatcher schon sagte, daß alle anderen ihren Nationalstaat auch aufgeben, weil die deutschen Politiker ihren Nationalstaat nicht mehr gern haben. 

Viele Bürger fragen sich, wie die Politik überhaupt auf die Idee kommen konnte, so einen Pakt zu entwickeln? Was steckt dahinter?  

Köppel: Es gibt mehrere Ursachen. Etwa Parteien, die die Ausweitung von Migration bei gleichzeitiger Schwächung des Nationalstaates als ideologisches Ziel verfolgen – die gläubigen Internationalisten und Linken. Dann ist da eine regelrechte „Industrie“, die finanziell von der Migration profitiert und die vor allem im „Speckgürtel“ des öffentlichen Sektors zu Hause ist, wo sie fast unkontrolliert Steuergelder abkassieren kann. Und dann gibt es auch noch den Faktor Inkompetenz: Man macht es einfach falsch, unterschätzt etwas oder ist verblendet. 

Dann steckt hinter dem Pakt eventuell nur Unvermögen, keine „böse“ Absicht?

Köppel: Ich unterstelle Leuten, die anders denken als ich, nicht automatisch böse Absicht. Sie glauben halt an diesen politischen Internationalismus, mit dem sie ihren Lebensunterhalt verdienen. Für die meisten Uno-Staaten ist so ein Pakt gut, weil völlig in ihrem rationalen Interesse. Möglicherweise haben die Befürworter sogar die allerbesten Intentionen, sie wollen nur das Gute, das Beste – und das Beste ist ihrer Meinung nach so gut, daß man die Welt damit zwangsbeglücken sollte. Dieses moralische Herrenreitertum ist in diesem Pakt spürbar. Man nimmt für sich eine moralisch überlegene Position in Anspruch. Deshalb sollte das Ganze auch undemokratisch, hinter dem Rücken des „bösen“, „populistischen“ Volks durchgezogen werden. Als demokratischer Schweizer schaudert es mich da ein bißchen. 

Die Politik in Deutschland reklamiert, keinesfalls versucht zu haben, eine öffentliche, demokratische Diskussion über den Pakt zu vermeiden. Man habe lediglich die Sensibilität der Öffentlichkeit bei dem Thema „unterschätzt“ und eine Debatte (ohne böse Absicht) schlicht „versäumt“. Klingt das für Sie glaubhaft? 

Köppel: Von einer Verschwörung würde ich nicht reden, eher von Verblendung. Der enorme Widerstand, der sich in kürzester Zeit unter den Bürgern gegen den Migrationspakt aufgebaut hat, hat seine Ursache keineswegs nur im Inhalt des Vertrags. Nein, hier entlädt sich Wut und Enttäuschung darüber, daß die Leute genug haben von den Durchhalteparolen und der falschen Politik. Man hat ihnen dauernd versprochen, wie gut und segensreich diese unkontrollierte Migration sei, die man angeblich unter Kontrolle habe. Die Deutschen oder die Franzosen haben keine direkte Demokratie wie die Schweizer, also müssen sie ihren Unmut auf den Straßen kundtun. Mich überrascht, wie falsch die Politik die Stimmung eingeschätzt hat, als sie glaubte, diesen Pakt jetzt bringen zu müssen. 

Also was bedeutet das? Lügt die Politik – hat man gezielt versucht, Volk und Demokratie zu umgehen – oder nicht?

Köppel: In der Politik lügt man nicht. Man spricht von „perspektivischer Wahrheit“ – das ist ironisch gemeint. Nein, es zeigt einfach, wie groß der Abstand zwischen den Regierenden und den Regierten in vielen EU-Ländern geworden ist. Was allerdings auch nicht wirklich erstaunt, denn die EU hat ein Demokratiedefizit. Daß ihre Abgehobenheit so groß ist, hätte ich allerdings nicht gedacht. Die EU ist gut für Politiker, weil sie sich in der EU der engmaschigeren Kontrolle durch die Bürger, wie sie in den Nationalstaaten existiert, entziehen können. Der Nationalstaat begrenzt Macht und macht Verantwortungen besser sichtbar. Das haben Politiker nicht so gern. Sie ziehen internationale, supranationale Gremien vor. Da können sie einfacher schalten und walten und verdienen.  

Dann ist die eigentliche Gefahr in Sachen Migrationspakt gar nicht die durch die Einwanderung gegebene, sondern durch die mit ihm einhergehende supra- beziehungsweise internationale Entdemokratisierung? 

Köppel: Klar. Dieser Pakt verströmt diesen undemokratischen, antiaufklärerischen, geheimniskrämerischen Geist der Kabinettspolitik: Wir hier oben lösen jetzt global das Migrationsproblem, und unser Plan ist so gut, daß wir ihn am besten hinter den Kulissen durch die Regierungen ohne Demokratie absegnen lassen. Man will die Bürger weder ins Boot holen noch überzeugen. Stattdessen zieht man allen mit der Reitpeitsche eins übers Maul, die dagegen sind. Das sind dann die „Fremdenfeinde“ und die „Populisten“. Erfreulich ist, daß dieser Plan nicht aufgeht. Die Leute sind eben nicht dumm, sie spüren, daß man sie für dumm verkauft. Und ich stelle mit Freude fest, daß auch deutsche Medien zu denen gehören, die das bemerkt haben, darunter etwa die Welt. Sie haben das Spiel durchschaut und berichten kritisch. So hat dieser Migrationspakt unfreiwillig etwas Gutes. Er hat sogar einigen Journalisten die Augen geöffnet.






Roger Köppel, ist Chefredakteur und Verleger des Nachrichtenmagazins Die Weltwoche und seit 2015 Abgeordneter des Nationalrats, also des Parlaments, für die Schweizerische Volkspartei (SVP). Bekannt wurde er hierzulande durch seine zahlreichen Talkshow-Auftritte („Anne Will“,  „Maybrit Illner“, „Maischberger“,  „Hart aber fair“ etc). Geboren 1965 in Zürich, begann er bei der NZZ, wurde Vize-Chefredakteur des renommierten Tages-Anzeiger, ab 2001 Chefredakteur der Weltwoche und ab 2004 der Welt in Berlin. 2006 wählte ihn das Branchenmagazin Schweizer Journalist zum „Journalisten des Jahres“. Im gleichen Jahr kehrte er zur Weltwoche zurück, an der er inzwischen die Mehrheit der Aktienanteile hält. Das Wirtschaftsmagazin Bilanz attestiert dem „Schweizer Nationalkonservativen“ (Spiegel), durch seine journalistische Arbeit in seinem Heimatland bereits etliche nationale Debatten angestoßen zu haben. 

Foto: Verleger Köppel: „Der Nationalstaat begrenzt Macht ... das haben Politiker nicht so gern. Sie ziehen supra- und internationale Strukturen vor, da können sie einfacher schalten und walten“

 

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