© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/18 / 07. Dezember 2018

Weg nach Marrakesch
UN-Migrationspakt: Nach zwölf Jahren Lobbyarbeit am Ziel
Curd-Torsten Weick

Erstmals in ihrer Geschichte veranstalteten die Vereinten Nationen im September 2006 eine große multilaterale Diskussion, die sich ausschließlich dem Thema „Globale Migration und Entwicklung“ widmete. 130 Ländervertreter, Beamte von 16 UN-Organisationen und der Internationalen Organisation für Migration (IOM), Vertreter von Nichtregierungsorganisationen  und der Privatwirtschaft hatten zuvor debattiert. 

UN-Generalsekretär Kofi Annan lobte deren Arbeit: „Indem Sie heute hier sind, zeigen Sie sich bereit, die Herausforderungen der Migration durch Dialog und Kooperation zu bekämpfen, statt durch Antagonismus und Isolation.“ „Fast alle“ Teilnehmer seien sich einig über den Wert fortgesetzter multilateraler Konsultationen gewesen. Mehr als zwölf Jahre später soll der avisierte „Globale Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“ in Marrakesch verabschiedet werden.

14./15. September 2006

Bei der ersten UN-Veranstaltung  zum Thema „Migration und Entwicklung“ erklärt der Sonderbeauftragte für internationale Migration und Entwicklung Peter Sutherland, ehemaliger Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO) und Vorsitzender von Goldman Sachs International: „Migration kann eine enorme Kraft zum Guten sein: einer der großen Treiber für Wirtschaftswachstum, individuelle Freiheit und persönlichen Wohlstand.“

9.–11. Juli 2007

Auf Initiative von Belgiens Premier Guy Verhofstadt findet das im September 2006 avisierte erste Treffen des „Globalen Forums für Migration und Entwicklung“ (GFMD) statt. Das Forum, an dem 800 Regierungsmitglieder aus 156 Ländern sowie 200 Vertreter der Zivilgesellschaft, darunter aus Deutschland Helen Schwenken, heutige Co-Sprecherin der Forschungsstelle Geschlechterforschung und Professorin für Migration und Gesellschaft an der Uni Osnabrück, teilnehmen, unterstreicht die „positiven Zusammenhänge zwischen Migration und wirtschaftlicher Entwicklung“ . „Heute geben Europa und die USA mehr Geld für die Kontrolle der Migration aus als für die Entwicklung der Herkunftsländer“, betont Verhofstadt. Diese Strategie sei „egoistisch, sogar unmenschlich. Wir sollten Migration nicht als Gefahr sehen.“ GFMD-Treffen finden daraufhin im Jahresrhythmus statt, ab 2013 im Zweijahresrhythmus 

25. November 2008

Auf der 2. Ministerkonferenz EU-Afrika zum Thema „Migration und Entwicklung“ in Paris erklärt der Staatsminister im Auswärtigen Amt  Günter Gloser (SPD): „Die Notwendigkeit eines aktiven Managements der Migration – statt eines passiven Erduldens – ist mittlerweile Konsens.“

10./11. Dezember 2009 

Der Europäische Rat verabschiedet das Stockholmer Programm. Deren Punkt 6.1.2 betont, daß „weitere Schritte unternommen werden müssen, damit die positiven Auswirkungen von Migration auf die Entwicklung im Einklang mit dem Gesamtansatz zur Migrationsfrage maximiert und die negativen Auswirkungen minimiert werden“.

Mai 2011

Gründung des Expertengremiums „Global Knowledge Partnership on Migration and Development“ (Knomad). Initiiert von der Weltbank, mitfinanziert durch das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, arbeitet Knomad  in enger Abstimmung mit dem GFMD und den UN-Migrationsorganisationen zusammen. 

18. November 2011

Die EU-Kommission präsentiert das Programm „EU-Gesamtansatz Migration und Mobilität“ (GAMM). Es verfolgt vier zentrale Ziele: legale Migration erleichtern, Menschenhandel und irreguläre Migration verhindern, internationalen Schutz fördern und die Entwicklungschancen in den Herkunftsländern erhöhen. 

23. Oktober 2013

 Der „Global Agenda Council on Migration“ des Weltwirtschaftsforums (WEF, Davos) präsentiert die Publikation „Wirtschaftliche Gründe für Migration“. Er geißelt die „ einwanderungsfeindlichen Stimmung“ in Europa.

31. März 2015

Der Sonderbeauftragte Peter Sutherland fordert eindringlich, die Chancen und Herausforderungen der Migration endlich anzunehmen. Die Stimmung gegen Einwanderer beruhe „weitgehend auf Fehlinformationen“.

1. Januar 2017

Gemeinsam mit Marokko übernimmt Deutschland den Co-Vorsitz des 11. GFMD-Treffens. Zur Eröffnung erklärt Außenminister Sigmar Gabriel: „Wir brauchen für eine gelungene Migrationspolitik eben nicht nur Verbote, sondern auch Regeln, die uns ermöglichen, Einwanderung als Chance zu nutzen.“ 

19. Juni 2017

Der Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO) fordert die Bundesregierung auf, für mehr Beteiligungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft an den Runden Tischen der GFMD einzusetzen. 

18. April 2018 

Das EU-Parlament billigt mit 516 Stimmen den UN-Migrationspakt. 137 Abgeordnete stimmen dagegen. 43 enthalten sich.

13. Juli 2018

Die UN präsentiert die Endfassung des Migrationspaktes. Louise Arbour,  Sonderbeauftragte des Generalsekretärs für internationale Migration, erklärt: Die Menschen in Transit- und Zielländern sollen Migranten nicht als Belastung oder gar als Bedrohung für sich selbst oder ihre Lebensweise betrachten.

31. Oktober 2018

Österreich zieht sich aufgrund „erheblicher inhaltlicher Bedenken“ aus dem Migrationspakt zurück.  Wien fürchtet den Verlust österreichischer Souveränität in der Migrationspolitik und eine Verwässerung zwischen legaler und illegaler Migration. Vor allem die Übertragung von kommenden Ansprüchen der Migranten in die Sozialversicherung stößt Wien auf. Neben Österreich lehnen auch die USA, Ungarn, Tschechien, Polen, Bulgarien, die Slowakei, Israel und möglicherweise Italien den Pakt ab.  

21. November 2018

Die Schweiz erklärt, dem UN-Migrationspakt vorerst nicht zustimmen zu können. Das Parlament müsse noch darüber abstimmen. Zuvor hatte die Außenpolitische Kommission des Nationalrats die wachsende Rolle des „Soft Law“ in den internationalen Beziehungen und die daraus resultierende „schleichende Schwächung der demokratischen Rechte der Parlamente“ kritisiert. 

29. November 2018 

Bundestag: 372 Abgeordnete stimmen für den Pakt. 153 stimmen dagegen, 141 enthalten sich.   

10./11 Dezember 2018

Staats- und Regierungschefs sowie hohe UN-Vertreter sollen in Marrakesch, Marokko, den Migrationspakt verabschieden.