© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/18 / 07. Dezember 2018

Weihnachten wollte er zurückkommen
Caracas: Kriegsreporter Billy Six wird vom venezolanischen Geheimdienst festgehalten
Martina Meckelein

Er friert. Er ist krank. Er sitzt seit knapp drei Wochen in dem berüchtigtsten Gefängnis Venezuelas. Der deutsche Kriegsreporter Billy Six wurde durch Mitarbeiter des SEBIN (Servicio Bolivariano de Inteligencia Nacional), des venezolanischen Geheimdienstes, in das Gefängnis Sebin Helicoide nach Caracas verschleppt. Die Haftanstalt untersteht dem Nachrichtendienst. Familie und Freunde kämpfen jetzt um Billy Six’ Freiheit. Dem deutschen Auswärtigen Amt ist der Fall bekannt. Was ist passiert?

„Billy wurde am 17. November im Taques ­Beach Hotel nahe Punto Fijo festgenommen“, bestätigt Billys Vater Edward Six gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. „Ihm wurde am 18. November die Anklage eröffnet“, so der Vater. „Demnach ist unser Sohn angeklagt wegen Rebellion, Spionage und Übertretungen der Sicherheitsbereiche. Ihm wurde ein Anwalt verweigert, und er durfte keinen Kontakt zur Deutschen Botschaft in Caracas aufnehmen.“ Wie die Familie überhaupt von der Verhaftung ihres Sohnes Billy erfuhr, möchte Vater Edward Six nicht beantworten: „Die genauen Umstände und Dokumente sind sicher sehr interessant, können und sollten jetzt aber nicht thematisiert werden, um unsere Verbindung zu Billy nicht zu gefährden.“

Six, ein geborener Berliner, ist ein erfahrener Kriegsreporter. Seit Jahren berichtet der 32jährige an vorderster Front von den Krisenherden der Welt. Er ist als freier Journalist auch für die JUNGE FREIHEIT tätig, drehte im Herbst 2015 zusammen mit JF-TV die Dokumentation „Die Flüchtlingslüge“. Six arbeitet nicht, wie so viele zivile Kriegsberichterstatter, „embedded“, also eingebettet in einem kämpfenden militärischen Truppenteil. Er arbeitet autonom, um so eine unvoreingenommene Berichterstattung zu ermöglichen. 

So war er in Libyen, auf dem Balkan und interviewte Piraten in Somalia. „Man muß selbst dort hinfahren und gucken, ein Gefühl für die Atmosphäre ,die da vorherrscht, kriegen“, erklärte er einmal gegenüber JF-Redakteur Moritz Schwarz sein Engagement für seine Reportagen aus Krisengebieten. „Die Fakten alleine reichen einfach nicht aus.“

Sein großes Vorbild ist Peter Scholl-Latour, mit dem er bei der Deutsch-Arabischen-Gesellschaft sein in der JF-Edition erschienenes Buch „Marsch ins Ungewisse: Gefangen im Syrienkrieg“ vorstellte. Im Dezember 2012 wurde er von Assads Truppen verhaftet. Nur aufgrund der hervorragenden Zusammenarbeit des deutschen Außenministeriums auf Vermittlung des russischen Botschafters und syrischer Behörden wurde Billy Six nach drei Monaten wieder auf freien Fuß gesetzt.

Wie in Syrien handelt es sich auch diesmal um eine Inhaftierung; allerdings durch ein sozialistisches Regime. Seit gut einem Jahr arbeitete Six auf dem süd­amerikanischen Kontinent. Seine Arbeit begann er dort im Auftrag der Bewegung „Die Deutschen Konservativen“ von Joachim Siegerist in Hamburg. „Er ist in unserem Auftrag rübergeflogen“, sagt Siegerists Büroleiter Murat Temeltas der JF. „Allerdings durfte er nicht über die USA einreisen, weil er zuvor ja in Syrien war. Deshalb ging es für ihn über Kanada nach Venezuela. Er ist jetzt aber nicht mehr in unserem Auftrag unterwegs.“

Nicolás Maduro Moros ist seit 2014 Staatspräsident des Landes, führt es in einem präsidialen Einparteiensystem. Am 20. Mai 2018 gab es vorgezogene Neuwahlen. Seine Wiederwahl wurde bisher weder von den USA noch der EU anerkannt. Venezuelas Wirtschaft droht aufgrund der Politik der sozialistischen Regierung zu kollabieren. Es leidet unter einer Hyperinflation, die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) für 2018 auf ungeheure eine Million Prozent prognostiziert wird. 

Six leidet an Denguefieber und benötigt Medikamente

Oppositionspolitiker werden verhaftet. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) und ihre venezolanische Partnerorganisation ­FUNDEPRO (Stiftung für ordnungsgemäße Gerichtsverfahren) berichteten im September 2017, daß die Verfolgung von politisch Andersdenkenden stark zunimmt. Waren es im Januar des Jahres noch 114 politische Gefangene, stieg die Zahl im September schon auf 600. Dazu 5.000 willkürliche „Kurzzeitinhaftierte“. Amnesty International berichtet von Folterungen. Zwischen April und August 2017, der Zeit starker Proteste gegen das Regime, soll es 170 Tote gegeben haben. 

Das Land ist international politisch isoliert und driftet in eine Militärdiktatur. Die Menschen hungern, viele flüchten nach Kolumbien. Genau darüber berichtete Billy Six (JF 26/18 und 33/18) in seinen auch auf Youtube zugänglichen Reportagen von der Grenze zwischen den beiden Ländern.

War das der Grund für seine Festnahme? Das venezolanische Nachrichtenunternehmen „Nuevo Dia“ meldet auf seiner Internetseite einen weiteren Anhaltspunkt: „Six könnte versucht haben, die Aktivitäten des Drogenhandels, des Treibstoffschmuggels, des strategischen Materialhandels sowie des Menschenhandels zu untersuchen.“ Zeugen wollen ihn am 16. November im Nachtclub Mangles Café Bar gesehen haben. Dort soll er Gäste beim Tanzen beobachtet haben. Stunden später soll er von einer Kommission der Generaldirektion für militärische Spionageabwehr (DGCIM) angesprochen worden sein. Einer der Vernehmer soll ihn nach seinem Aufenthaltsort befragt haben.

Sicher ist, daß Six einen Tag später vom Geheimdienst festgenommen wurde. „Der Militärstaatsanwalt hat dann 45 Tage Zeit, seine Anklage zu substantiieren“, sagt Edward Six.Für einen kranken Mann jedoch sind 45 Tage eine Ewigkeit. Billy Six litt schon vor seiner Festnahme an Denguefieber, einer gefährlichen und schmerzhaften Viruserkrankung, die durch tagaktive Mücken übertragen wird. Er ist auf Medikamente dringend angewiesen. „Doch die Tabletten wurden ihm weggenommen, eine Behandlung wird ihm versagt“, so der Vater. Auf Twitter rufen Six’ Freunde dazu auf, ihm Kleidung ins Gefängnis zu schicken.

Die junge freiheit fragte bei der venezolanischen Botschaft in Berlin nach. „Der Botschafter läßt ihnen ausrichten, daß die Angelegenheit polizeiintern ist“, so eine Mitarbeiterin. „Da kriegen wir keine Informationen, da haben wir auch keine Kompetenzen.“ Gegenüber der JF bestätigte das Auswärtige Amt: „Der Fall ist dem Auswärtigen Amt bekannt. Die Botschaft in Caracas leitet die konsularische Betreuung ein.“ Auch „Reporter ohne Grenzen kümmert sich um diesen Fall“, betonte Geschäftsführer Christian Mihr auf Anfrage der JF. „Über unser Lateinamerika-Büro in Rio de Janeiro stehen wir in Kontakt mit der deutschen Botschaft in Caracas und setzen uns vor Ort dafür ein, Billy Six zu unterstützen und seine Rechte zu wahren.“ 

Murat Temeltas hatte noch vor drei Wochen Kontakt zu Billy Six. „Er plante, bald nach Deutschland zu fliegen, wollte hier Weihnachten verbringen.“