© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/18 / 07. Dezember 2018

In der Einen Welt wird jeder Krieg zum Bürgerkrieg
David Armitage will das Wesen innerstaatlicher Konflikte ergründen, bleibt aber auf der Definitionsebene gefangen
Konrad Adam

Seit jeher und bei allen Völkern galt der Krieg als das größte von allen Übeln, übertroffen einzig von seinem häßlichen Bruder, dem Bürgerkrieg. Bürgerkriege werden im Namen von irgendwelchen hohen oder höchsten Mächten ausgefochten. Sie kennen weder Schonung noch Kompromiß, machen den Gegner zum Feind, der nicht bekämpft, sondern vernichtet werden muß – und kommen erst dann ans Ende, wenn alles Zerstörbare zerstört worden ist. Einigkeit ist der gesunde, Aufruhr der kranke Zustand des Staates, sagt Thomas Hobbes; und Bürgerkrieg sein Tod. Er wußte auch, warum, denn er hatte die Schrecken des Krieges erlebt, der England vierzig Jahre lang zerrissen hatte. 

In Syrien, in Venezuela, im Jemen und sonstwo auf der Welt machen die Menschen diese Erfahrungen heute noch beziehungsweise heute wieder. Sie werden sie auch weiterhin machen, weil die Großmächte übereingekommen sind, die Kriege, die sie auf eigenem Boden nicht mehr führen wollen, ins Ausland zu verschieben. In der Einen Welt, die uns die Vorkämpfer der Humanität, gleich ob aus religiösen, strategischen oder ideologischen Gründen, schmackhaft machen wollen, wird jeder Krieg zum Bürgerkrieg. In einer solchen Welt sollte ein Buch, das sich diesem Thema widmet, mit beträchtlicher Aufmerksamkeit rechnen können.

Das Leben ist kurz im Krieg aller gegen alle

Aber das Buch enttäuscht. Zumindest den, der von ihm mehr erwartet als eine aufwendige Begriffsgeschichte oder, wie es in der kapriziösen Sprache des Autors heißt, eine Geschichte nicht von, sondern in Ideen. Mit Ausnahme der römischen Bürgerkriege, die mit der Rivalität zwischen Marius und Sulla begannen und mit Augustus zu Ende gingen, erfährt man wenig über Gründe und Hintergründe, um so mehr dagegen über die richtige Wortwahl. Dreihundert Seiten lang geht es um Wörter, nichts als Wörter, „denn gerade, wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein“. 

Bürger- oder Glaubenskrieg, Aufruhr oder Abspaltung, Rebellion oder Revolution: die Auswahl ist groß, führt aber nicht viel weiter, da der Autor jede schlüssige Begründung verweigert. Und das, obwohl sein Stichwort, der Bürgerkrieg, doch aus zwei Teilen besteht. Weshalb es nahegelegen hätte, neben dem Krieg auch der zweiten Worthälfte, dem Bürger, etwas genauer nachzuspüren. Auch dieser Begriff ist ja alles andere als eindeutig, zumindest in der Antike, in Rom und Griechenland, kannte man ein mehrfach abgestuftes Bürgerrecht. Und nicht nur damals, auch heute, wo man uns zumutet, sogar Barbaren als ausländische Mitbürger zu begrüßen, ist die Frage offen, wer als Bürger zu betrachten ist und wer nicht.

Auf solche Fragen läßt sich der Autor allerdings nicht ein. Ihn interessiert nicht der Bürger, sondern der Krieg, und auch der nicht als ein blutiges Geschehen, sondern als bloßes, nacktes Wortgerippe. Er sucht nach einem theoretischen Rahmen, setzt auf Projekte, sammelt Daten und Wörter. Wenn die seinen Anforderungen genügen, ist er zufrieden und sagt: Jawohl, hier haben wir es mit einem Bürgerkrieg zu tun! Wenn nicht, teilt er den Betroffenen mit, daß sie sich leider geirrt hätten. Sie wären nicht einem Bürgerkrieg, sondern einem National-, einem Glaubens-, einem Sezessionskrieg oder sonst was zum Opfer gefallen. Wofür die Opfer sicherlich dankbar sein werden.

Das Buch trägt seinen Untertitel zu Unrecht, denn über das Wesen innerstaatlicher Konflikte erfährt der Leser so gut wie nichts – vorausgesetzt, er betrachtet das Schicksal eines Landes und seiner Bürger als das Wesentliche, nicht  Wörter oder Zahlen. Worin das Wesen innerstaatlicher Konflikte besteht und was aus ihnen werden könnte, wenn sich nicht mehr Millionen von Landsleuten, sondern acht Milliarden Menschen als Weltbürger gegenüberstehen, auf ihre Menschenrechte pochen und gewalttätig werden, wenn sie nicht bedient werden, wissen die Götter. Dann dürfte der Mensch zur Massenware werden, billig und leicht ersetzbar, und in den Naturzustand zurückfallen, den Krieg aller gegen alle, in dem das Leben kurz, dreckig und brutal war. Auch das hat Hobbes schon gewußt.

David Armitage: Bürgerkrieg. Vom Wesen innerstaatlicher Konflikte. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2018, gebunden, 384 Seiten, 25 Euro