© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/18 / 07. Dezember 2018

Chinese verändert Zwillinge genetisch
Forscherwelt entrüstet / Technik war bekannt, doch die Risiken und Folgen sind nicht abschätzbar
Karsten Mark

Die Frage war längst nicht mehr ob, sondern wann es geschehen würde. Anfang vergangener Woche war es dann soweit: Ein chinesischer Biophysiker präsentierte der Welt ein gerade geborenes Zwillingspärchen, dessen Erbgut er verändert haben will. He Jiankui ging für einen seriösen Forscher, als der der 34jährige bislang international galt, einen ungewöhnlichen Weg an die Öffentlichkeit: Er präsentiert die Geschichte der Kinder unter den Decknamen Lulu und Nana auf der Internet-Videoplattform Youtube – also zwischen Katzenvideos und Anleitungen zur Autoreparatur. Nach einem prompten Aufschrei der internationalen Forschergemeinde beeilte sich He zu behaupten, diese Veröffentlichung sei voreilig ohne sein Wissen geschehen. Die wissenschaftliche Studie dazu befinde sich bei einer Fachzeitschrift in der üblichen Begutachtung.

Hes Video indes zeigt einen strahlenden Forscher, der der Welt seinen großen Scoop präsentieren will und sich dabei durchaus als Wohltäter der Menschheit sieht: Schließlich soll die künstliche Veränderung im Erbgut die Kinder vor Aids-Ansteckung etwa durch ihren HIV-infizierten Vater schützen, sie sogar gänzlich immun gegen die tückischen Viren machen. Warum dann all die Aufregung und Empörung?

Nur teilweise deaktiviertes Gen bei einem Zwilling

Weil He Jiankui, so sich denn seine Behauptungen als richtig erweisen sollten – und das erscheint durchaus plausibel – als erster direkt in das menschliche Erbgut eingegriffen hat. Mit der als „Genschere“ bekannt gewordenen Methode CRISPR/Cas (JF 18/17) will er die embryonalen Stammzellen der im Reagenzglas gezeugten Kinder verändert haben.

Die Genmanipulationen wirken sich also auf sämtliche Körperzellen der Mädchen und damit auf alle ihre Nachkommen aus. Konkret will He ein Gen ausgeschaltet haben, das dem HI-Virus ermöglicht, das menschliche Immunsystem zu befallen und zu schwächen. Ist das Gen CCR5 ausgeschaltet, sollte der Mensch immun gegen Aids werden. Allerdings dürfte das deaktivierte Gen auch Auswirkungen auf andere Virusinfektionen haben, so sollte durch das Entfernen dieses Gens die Anfälligkeit für das West-Nil-Virus ebenfalls verringert werden. Aber etwa die Anfälligkeit für andere Viren zum Beispiel Grippe könnte erhöht sein, denn die wenigsten Gene bestimmen nur ein einziges Merkmal. Außerdem hat He bereits eingeräumt, die vollständige Deaktivierung sei nur bei einem der Mädchen gelungen, bei dem anderen nur teilweise.

Folgen für die Kinder sind kaum absehbar

Daß es nur eine Frage der Zeit war, bis der erste Genforscher den Tabubruch wagen würde, liegt auch an der einfach zu handhabenden CRISPR/Cas-Methode, die leicht verfügbar und auch nicht teuer ist. Ihre Möglichkeiten sind immens, wenn etwa Erbkrankheiten ausgeschaltet werden können.

Seit fünf Jahren hat sich die Genschere als allgemein gebräuchlicher Standard in der Gentechnologie durchgesetzt. Eine der beiden Erfinderinnen der Genschere, die US-Biochemikern Jennifer Doudna, hatte schon vor Jahren appelliert, Eingriffe in die Keimbahn generell zu verurteilen. Bislang hatte dieser Konsens der Genforscher gehalten; und bis heute war man sich in der internationalen Forschungsgemeinschaft zumindest darüber einig, daß es für solche Eingriffe noch viel zu früh sei, weil die Folgen in jedem Fall gravierend, die Risiken aber – da auch mögliche Kinder dieselbe genetische Veränderung tragen werden – bislang kaum absehbar sind.

Noch vor gut einem Jahr schien es, als teile auch He Jiankui diese Ansicht. Bei einer Tagung im Sommer 2017 in den USA mahnte auch er öffentlich zur Vorsicht, um nicht das gesamte Forschungsfeld in Verruf zu bringen. Genau das werfen ihm nun 122 seiner chinesischen Kollegen in einem Protestbrief vor, in dem sie Hes Eingriff „verrückt“ nennen.

Um der erste in den Büchern zu sein?

Auch die chinesische Gesundheitsbehörde verurteilt Hes Vorgehen scharf und ordnete eine Untersuchung sowie den Stopp weiterer Versuche an. Alle Beteiligten sollen bestraft werden, heißt es aus Peking. Hes Verbleib ist derzeit unklar. Weiter zog die Chinesische Gesellschaft für Wissenschaft und Technologie ihre Nominierung für einen nationalen Wissenschaftspreis zurück. Die Universität von Shenzhen, an der He forscht und lehrt, reklamierte eine Verletzung akademischer Ethik und Normen. He ist dort seit Februar freigestellt und betrieb seine jüngsten Forschungen auf eigene Faust und im verborgenen.

Der Stammzellenforscher Hans Schöler kritisierte im Deutschlandfunk: „Es ist ganz schlimm, wenn das tatsächlich so durchgeführt worden ist. Es wird immer Leute geben, die versuchen, als erste in den Büchern zu stehen.“

 Ein Mitwisser Hes soll sein ehemaliger Doktorvater Michael Deem von der renommierten Rice University in Texas sein, der auch geschäftlich mit ihm verbunden ist. Er bestätigte die Versuche. „Natürlich hat die Arbeit stattgefunden. Ich traf die Eltern. Ich war für die Einwilligung der Eltern da“, sagte Deem der Nachrichtenagentur AP.

Der vielleicht prominenteste Kritiker Hes ist indes der Nobelpreisträger und Gentechnik-Pionier David Baltimore. Als He am Mittwoch vergangener Woche bei einer Tagung in Hongkong sein Projekt erläuterte und einräumte, es sei noch ein drittes, von ihm genetisch manipuliertes Baby unterwegs, trat der 80jährige prompt vor und bezeichnete Hes Vorgehen als unverantwortlich und medizinisch nicht notwendig. Es gebe bereits andere Wege, eine HIV-Infektion von Babys infizierter Eltern zu verhindern. He sieht das explizit anders: Der Zugang zu Aids-Medikamenten sei in China schwierig und eine Impfung immer noch nicht verfügbar. Die freiwillig an Hes Studie teilnehmenden Eltern, von denen jeweils nur die Väter HIV-infiziert sind, fand der Forscher in einer Aids-Selbsthilfegruppe. Er beteuert, sie über die Risiken aufgeklärt zu haben.

Sollte sich die Erbgutmanipulation bestätigen, dürfte Hes Eingriff einst in einem Atemzug mit dem ersten Retorten-Baby (1978) und Klonschaf Dolly (1996) genannt werden. Rein technisch allerdings hätte ihn wohl auch ein weniger brillanter Kopf durchführen können.

Fachkonferenz „Second International Summit on Human Genome Editing“ an der Universität von Hongkong / Hes Youtube Erklärung

 nationalacademies.org

 youtu.be/th0vnOmFltc





Gen-Schere CRISPR/Cas9

Die Methode, mit der sich Erbgut von pflanzlichen, tierischen und menschlichen Zellen sehr gezielt verändern läßt, ist direkt der Natur abgeschaut: Bereits Ende der achtziger Jahre wurde entdeckt, daß sich im Erbgut von Bakterien bestimmte Abschnitte des genetischen Codes spiegelverkehrt wiederholen. Diese werden von Genetikern in einer Abkürzung als CRISPR-Sequenzen bezeichnet. In der Nähe dieser Abschnitte fanden Forscher „Cas“ genannte Gene. 2005 wurde das CRISPR/Cas-System erstmals im Zusammenspiel entschlüsselt: CRISPR-Sequenzen und Cas-Gene dienen dazu, daß sich ein Bakterium gegen eine Infektion durch Viren, die ihr Erbgut ins Bakterium einschleusen wollen, verteidigen kann.

Obwohl diese Immunabwehr bis heute nicht vollständig entschlüsselt ist, gelang es Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna 2011, den Mechanismus zu einem einfach zu handhabenden Verfahren einer zielgenauen „Genschere“ zu entwickeln. Einzelne Gene können damit deaktiviert, ausgeschnitten oder eingefügt werden.