© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

Merkels Mädchen
Annegret Kramp-Karrenbauer: Die neue CDU-Chefin führt eine gespaltene Partei
Birgit Kelle

Mehr waren es nicht als eine Handvoll Stimmen, die über den Fortgang der CDU auf dem Hamburger Parteitag entschieden haben und mit Annegret Kramp-Karrenbauer und knapper Mehrheit erneut eine Frau auf den Platz des Vorsitzes der CDU getragen haben. Müßig zu spekulieren, ob die entscheidenden Stimmen von der Jungen Union kamen, deren Vorsitzender Paul Ziemiak überraschend anschließend zum Generalsekretär avancierte, während beide beteuern, es habe weder Absprachen noch Deals gegeben. 

Wenn es sie doch gab, wäre es jedenfalls ein Beweis, daß die oft etwas farblos wirkende Kramp-Karrenbauer mit der leicht sonoren Stimme, die ihre Blaser mit der gleichen Ungelenkigkeit wie ihre Vorgängerin trägt, doch mehr drauf hat, als man ihrer optisch neutralen Rita-Süßmuth-haftigkeit zutrauen würde. Müßig, denn nun ist sie halt da, um im Jargon ihrer Förderin Angela Merkel zu formulieren. 

Doch auch wenn nun alle innerhalb der Union bemüht sind, den innerparteilichen Wahlkampf Merz-Spahn-AKK als demokratische Meisterleistung einer Volkspartei darzustellen, sieht die Bilanz nach 18 Jahren Merkel freilich anders aus. Der Durst nach Veränderung und Rückkehr zu dem, was diese Partei einst ausmachte,  brachte eine derartige Spaltung, daß man mit Friedrich Merz um ein Haar bereit war, quasi einen Fahnenflüchtigen nach neun Jahren Parteiabstinenz aus dem Nichts zum neuen Bundesvorsitzenden zu wählen.

Einen Mann, der die vergangenen Jahre mehr von seinem Mythos lebte, als durch Realpolitik auffiel, aber für eine verläßliche, rechtssichere, wirtschaftskompetente und nicht zu vergessen: konservative CDU-Politik steht. Hätte die Parteibasis statt der vielen hauptamtlichen Delegierten-Apparatschiks wählen dürfen, stünde jetzt Merz an der Spitze einer Partei, in der die satte Führungsriege gerade aufatmet, daß das kleine Demokratie-Experiment nochmal glimpflich ausging. Auch wenn AKK nun ankündigt, alle Flügel einbinden zu wollen, werden ein fröhliches „Weiter so“ und ein paar Zuhör-Touren weder den Wirtschaftsflügel und auch nicht jene befrieden, die sich endlich eine Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik wünschen. 

Die Personalie Ziemiak sollte wohl ein Zugeständnis an das konservative Lager sein, seine Wahl mit nur 62 Prozent ohne Gegenkandidat dürfte eine erste Antwort sein, wie ernst man vorhat, den jungen Mann als General der CDU zu nehmen. Ob und in welcher Position Merz für die Partei nach der Niederlage zur Verfügung steht, wird uns sein Ego sicher demnächst wissen lassen. Der zweite „Verlierer“ Jens Spahn könnte derweil als einziger Sieger aus der Sache hervorgehen. Gekonnt wechselte er sofort auf die Seite der Siegerin, wo er gefahrlos auf die nächsten zu verteilenden Posten warten kann. Alle anderen Minister und auch -innen können aufatmen, ein Personalkarussell ist mit der neuen Vorsitzenden nicht zu erwarten. Bleiben Sie ruhig, gehen Sie weiter, es ist nichts passiert!

Wie bei der Vorgängerin kommt die größte Freude entsprechend aus den politischen Lagern, die niemals vorhätten, eine Kramp-Karrenbauer selbst zu wählen: Rot-Grün. Hier schlägt voll der Vorgängerinnen-Mutti-Faktor durch. Jürgen Trittin ist begeistert, Martin Schulz konnte Sonntagabend bei Anne Will seine Sympathie kaum verbergen. Was ein Schulz offenbar intellektuell nicht begreift, sprach hingegen mein SPD-Ortsverbandsvorsitzender beim Glühweinumtrunk aus: Um die eigene Partei vor der selbstgewählten Bedeutungslosigkeit zu bewahren, hätte die Alte Tante SPD einen Merz als Reibungsfläche gebraucht. Die SPD wird also auch weiterhin den Weg des Niedergangs in dieser Großen Koalition bestreiten. Morgenluft wittert die FDP und macht die Türen nicht nur im Advent hoch und weit für CDUler mit Abwanderungstendenz. Christian Lindner will auffangen, was an enttäuschtem Potential abwandert, damit es nicht zur AfD geht. 

Ja, die AfD. Der Angstgegner, das Schmuddelkind des Bundestages, da dürften ein paar Sektkorken geknallt haben. Wie schön, daß die sanfte Annegret das Rennen gemacht hat, statt Friedrich-„Ich halbier euch“-Merz. Das wird sich sicher bei den kommenden Landtagswahlen 2019 in Thüringen, Sachsen und Brandenburg in den Wahlergebnissen niederschlagen. Die CDU bleibt wie eh und je zuverlässiger Stimmlieferant der AfD und wird den gesamten Osten des Landes bald verlieren. Nur ist jetzt nicht mehr Merkel, sondern Kramp-Karrenbauer schuld. Auch Spahn kann damit einen Sekt aufmachen. Denn alle Fehler und kommenden Wahlniederlagen gehen auf das Konto von AKK, im Zweifel kann er in Ruhe auf den nächsten Anlauf warten. 

Die neue Vorsitzende muß also liefern. Zuallererst, um den Makel der „Mini-Merkel“ loszuwerden, was sie offenbar jetzt schon als Verbalattacke derart nervt, daß sie sich bemüht, ein eigenes Profil aufzubauen. Gut so. Die Quadratur des Kreises wird bleiben, wie sie tatsächlich Veränderungen durchsetzen will, ohne die Fehler ihrer Vorgängerin und Noch-Kanzlerin zu benennen und zu korrigieren. Hätte Kramp-Karrenbauer Kanzlerinnen-Format? Gott bewahre, nein. Vielleicht unterschätzen wir aber auch alle die Dame aus dem Saarland. 

Bei Merkel hatten die meisten das auch getan. „Kohls Mädchen“ mit dem seltsamen Haarschnitt, der DDR-Vergangenheit und den Batikblusen hat keiner wirklich ernst genommen, bis sie den Laden für manche überraschend übernahm und ihren ehemaligen Gönner und den Ehrenvorsitzenden Kohl am Ende eiskalt von der Parteikante schubste. Wer sagt eigentlich, daß „Merkels Mädchen“ das nicht auch drauf hätte?