© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

Ein Kind ist keine Krankheit
Werbeverbot für Abtreibungen: Die SPD drängt auf Abschaffung von Paragraph 219a / Jusos wollen Schwangerschaftsabbruch legalisieren
Sandro Serafin

Es ging hoch her beim Bundeskongreß der Jusos Anfang Dezember. „Dumm“, „unfaßbar“, „lächerlich“, schoß eine Delegierte gegen ihre Vorredner. Die hatten sich gerade gegen einen Antrag positioniert, der unter anderem die Abschaffung des Paragraphen 218 im Strafgesetzbuch, also eine Legalisierung von Abtreibungen vorsieht. Dadurch würde es möglich, „zu jedem Zeitpunkt in der Schwangerschaft diese ohne medizinische Indikation abzubrechen“, warnten sie. 

Als „pathetisch“ empfanden viele die Rhetorik der Antragsgegner. Man müsse „für die Lebenden, für die Frauen, für ihre Selbstbestimmung und nicht für irgendwelche Ungeborenen“ einstehen, so die aufgebrachte Rednerin. Ungeborene hätten vor der Geburt „einfach kein Recht“: „Die Grundrechte, das Menschenrecht gilt zuerst mal für die Frau und dann für alles andere.“ Der Antrag zur Aufhebung des Abtreibungsverbots wurde schließlich angenommen.

Die Forderung der Jusos kommt zu einem Zeitpunkt, da vor allem über den Paragraphen 219a diskutiert wird. Er stellt die Anbietung, Ankündigung und Anpreisung von Schwangerschaftsabbrüchen unter Strafe und steht seit einem Jahr unter Beschuß. Im November 2017 hatte das Amtsgericht Gießen die Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel zur Zahlung von 6.000 Euro verurteilt, weil sie auf ihrer Webseite Informationen über Abtreibungen anbietet.

Hänel trat daraufhin den Weg durch die Instanzen an. Im Oktober wurde die Strafe zwar in zweiter Instanz bestätigt. Der Richter äußerte sich jedoch kritisch zur Gesetzeslage. Er empfahl Hänel, das Urteil wie einen „Ehrentitel“ im Kampf für ein besseres Gesetz zu tragen. Die Ärztin spekuliert darauf, daß das Bundesverfassungsgericht den Paragraphen kippt.

Noch davor könnte es allerdings zu einer politischen Änderung kommen. SPD, Grüne, FDP und Linke machen sich für eine Streichung oder Aufweichung von Paragraph 219a stark. Sie sehen den Zugang der Frauen zu Informationen in Gefahr. Im Frühjahr hatte es kurzzeitig so ausgehen, als könnte eine Abstimmung darüber im Bundestag – wie bei der „Ehe für alle“ – zur Gewissensentscheidung erklärt und der Koalitionszwang aufgehoben werden. Auf Druck der Union zog die SPD einen entsprechenden Antrag jedoch wieder zurück (JF 12/18).

Seitdem gärt es bei den Sozialdemokraten. Im April beschloß der Bundesvorstand, daß es bis zum Herbst eine Lösung geben müsse. Familienministerin Franziska Giffey, Justizministerin Katarina Barley (beide SPD), Gesundheitsminister Jens Spahn, Kanzleramtsminister Helge Braun (beide CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) suchen seit längerem nach einem Kompromiß – bis in den Dezember hinein ohne Ergebnis.

„Zwischenschritt zur vollständigen Legalisierung“

Zuletzt nahm die Unruhe in den Reihen der SPD deshalb immer mehr zu. Bereits im November setzte eine Gruppe von Parlamentariern Nahles unter Druck. Am Sonntag warf der Bundestagsabgeordnete Florian Post der Parteichefin einen „strategischen Fehler“ und „vorauseilenden Gehorsam gegenüber der Union“ in der Frage des Werbeverbots vor. Wenn nicht zügig eine Entscheidung herbeigeführt werde, wolle er eine Gewissensentscheidung beantragen, drohte der Parlamentarier in der Bild am Sonntag. Auch aus den Ländern kommt Druck: Am Montag vergangener Woche sprach sich der Niedersächsische Landtag mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP für eine Abschaffung des Werbeverbots aus – gegen die CDU, die eigentlich mit den Sozialdemokraten regiert.

Für die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ist der Streit eine erste Bewährungsprobe. Die Katholikin hatte kurz vor ihrer Wahl bekräftigt, daß sie das Werbeverbot erhalten will. Sie ließ sich jedoch eine Hintertür offen: Der Zugang zu Informationen müsse sichergestellt sein. Während einige Christdemokraten den Paragraphen 219a als wichtigen Teil des Schutzkonzepts für das ungeborene Kind verteidigen und deshalb gar nicht ändern wollen, signalisieren andere bereits, daß sie sich eine „Modernisierung“ des Paragraphen durchaus vorstellen können. Auch der Deutsche Ärztetag ist gegen eine Streichung des Paragraphen, mahnt aber zugleich eine „maßvolle Änderung“ an. 

Anfang der Woche zeichneten sich dann mögliche Kompromißlinien ab. Die rechtspolitische Sprecherin der Unions-Fraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker, zeigte sich gegenüber der Rhein-Neckar-Zeitung offen für „eine aktuelle, deutschlandweite Adreßliste im Internet, die alle Arztpraxen und Kliniken benennt, die einen Abbruch durchführen“. In Teilen Deutschlands ist dieser Vorschlag bereits Realität. Zuletzt setzte sich auch der Hessische Landtag für die Erstellung einer solchen Liste ein. Ob der Vorschlag die SPD zufriedenstellen kann, ist jedoch fraglich.

Lebensschützer warnen indes eindringlich: „Die Abschaffung des Werbeverbots ist nur ein Zwischenschritt, um Abtreibung vollständig zu legalisieren“, so etwa die Publizistin Birgit Kelle. Mehrere Lebensrechtsinitiativen starteten deshalb zuletzt verschiedene Kampagnen. Der katholische Verein „Durchblick“ schickte Briefe an Bundesminister und Bundestagsabgeordnete, um vor einer „Banalisierung von Abtreibung“ zu warnen. Abtreibungs-Lobbyisten versuchten, die Tötung eines Kindes im Mutterleib zu einer Dienstleistung zu erklären. Eine Schwangerschaft sei jedoch „keine Krankheit und Abtreibung keine Heilung“.