© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

Ratlose Ratgeber
Gewerkschaften: Zum Verdruß der Arbeitnehmervertretungen wählen ihre Mitglieder immer häufiger die AfD / Forderung nach „Schulterschluß gegen Rechts“
Paul Leonhard

Wird irgendwo in Deutschland zum zivilen Ungehorsam „gegen Rechts“ aufgerufen, dann stehen hauptamtliche Funktionäre des eigentlich parteineutralen Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und von Einzelgewerkschaften wie Verdi und IG Metall garantiert mit Trillerpfeife und roten Fahnen in der ersten Reihe. Offenbar jedoch verkörpern die Gewerkschafter nicht die Mehrheit der bei ihnen organisierten Arbeitnehmer. 

Nicht anders ist zu erklären, daß etwa in Ingolstadt, wo 30.000 Menschen bei Audi arbeiten, die AfD bei der Bundestagswahl 2017 zweitstärkste Partei wurde. Bundesweit stimmten nach Berechnungen des DGB mit 15 Prozent, in den neuen Ländern sogar 22 Prozent, überproportional viele Gewerkschaftsmitglieder für die AfD. Mit teuren Kampagnen in den Betrieben rieten daraufhin die bayerischen Gewerkschaftsspitzen den Arbeitern, bei den Landtagswahlen „klare Kante“ gegen die „Rechtspopulisten“ zu zeigen. Das Ergebnis: 14,5 Prozent wählten die AfD. 

Daß eine Partei an der Gewerkschaftsbasis Unterstützung findet, die den „zutiefst gewerkschaftlichen Grundwerten von Solidarität, Mitbestimmung und Demokratie widerspricht“, kann DGB-Vizechefin Annelie Buntenbach nicht verstehen. Auch nicht, daß ihre Funktionäre die Sache mit diffusen Positionspapieren wohl eher verschlimmern. Der Hessische Landtag dürfe „keine Bühne für Rassisten und Neofaschisten“ werden, hieß es etwa in Flugblättern vor der Hessen-Wahl. Michael Rudolph, DGB-Chef von Hessen-Thüringen, lehnte jeglichen Dialog mit der Partei ab. 

Schlußendlich stimmten 17 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für die AfD, bei Männern waren es sogar 20 Prozent. „Die Gewerkschaften schwächen sich selbst mit ihrer atemberaubenden Selbstgerechtigkeit und Ausgrenzung gegenüber AfD-Wählern“, sagt der hessische AfD-Landessprecher Robert Lambrou. Das sehen die mit dem DGB an einem Strang ziehenden SPD-Genossen natürlich anders.

Methoden erinnern an zurückliegende Diktaturen

So fordert das SPD-Zentralorgran Vorwärts einen Schulterschluß zwischen Gewerkschaften und Unternehmen gegen die AfD: „Ein Bündnis zur Abwehr der Rechten wäre sehr hilfreich, wenn also z. B. der Vorsitzende der IG Metall, der der Geschäftsführung und der des Gesamtbetriebsrats der VW AG mit einer Stimme sprächen.“ Man müsse den Sympathisanten der Rechten unablässig zu verstehen geben: Wer sich mit der AfD einläßt, hat Mächtige gegen sich. Wer AfD wählt, steht alleine da. 

Die Methoden, die dazu vorschlagen werden, erinnern an zurückliegende Diktaturen: Betriebsversammlungen, Teambesprechungen, Pausen- und Kantinengespräche in den Unternehmen seien zu nutzen, um die Rechten auszugrenzen. Das Betriebsverfassungsrecht biete „die einschlägigen, Straftatbestände sanktionierenden Paragraphen“, damit „der Hetzer auf keine Straflosigkeit spekulieren kann“. Paradoxerweise wird in dem Beitrag auch der einst vor den Nationalsozialisten geflüchtete Politikwissenschaftler Franz Neumann zitiert, der darauf hinwies, wie sehr kollektive Angst den freien Willen in einer demokratischen Gesellschaft hemmt.

Ein Dorn im Auge vieler Gewerkschaftsbosse sind insbesondere die neuen Bundesländer. Man habe bei Befragungen festgestellt, daß die gleichen IG-Metall-Gewerkschafter, die in ihren Betrieben viele Mitglieder werben und sich sehr engagiert an Arbeitskämpfen beteiligen, nichts dabei finden, auch Busse zu Pegida-Demos zu organisieren, zitiert die Welt den Gewerkschaftsforscher Klaus Dörre aus Jena. „Im Osten gibt es Geschäftsstellen, in denen Teile der ehrenamtlichen Funktionsträger heimlich mit der AfD sympathisieren.“ Aus Dörres Sicht haben die hauptamtlichen Gewerkschafter inzwischen Angst, daß „ihnen der Laden um die Ohren fliegt“. 

Der Politologe Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel hat dafür eine einfache Erklärung parat: Die Rechtspopulisten hätten die Wortwahl von Links-

populisten übernommen. Nun tun sie so, als „würden sie Klassenkampf für die deutschen Arbeiter“ führen.