© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

Wirtschaftskrieg hinter den Kulissen
Energiepolitik: Das Pipelineprojekt Nordstream-2 soll torpediert werden / US-Kongreß droht mit Sanktionen
Albrecht Rothacher

An den Weltenergiemärkten werden die Karten derzeit neu gemischt. Bei der aktuellen Opec-Sitzung in Wien verbünden sich Nichtmitglied Rußland und Saudi-Arabien für höhere Ölpreise. Das Emirat Katar kündigt seinen Austritt aus dem Ölkartell an, womöglich, um Donald Trump zu gefallen, der per Twitter niedrigere Ölpreise verlangt. Gleichzeitig drohen aus dem US-Kongreß massive Sanktionen gegen europäische Firmen, die sich am Bau der Nordstream-2-Pipeline durch die Ostsee beteiligen, die den russischen Gas-Transit durch die Ukraine, Weißrußland und Polen überflüssig machen wird.

Die Fronten sind unübersichtlich. Das Energiebillard wird über mehrere Banden gespielt. Deutschland, Ausstiegsweltmeister bei Atomstrom, Kohle und bald Diesel, ist in Ermanglung eigener Energiequellen und Rohstoffkonzerne weitgehend Zuschauer und Zahler. Nur die SPD-Gasprom-Lobby um Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder und seine Zöglinge Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier weiß, was sie  – für fürstliche Honorare – tut.

Der große Energiepoker geht in die nächste Runde

Trieben die Sanktionen gegen den Iran den Ölpreis Anfang Oktober noch auf 85 Dollar pro Faß (159 Liter), so fiel er nach dem öffentlichen Druck Trumps auf die Saudis, sie sollten nach dem Mord an dem Journalisten Jamal Kashoggi, die Ölförderung in zwei Monaten um 30 Prozent erhöhen, um den Preis auf 60 Dollar je Faß zu drücken. West- und Süddeutsche bekamen von dieser Verbilligung wegen der Nachschubprobleme durch das Rhein-Niedrigwasser nichts mit. Und in Norwegen, den Niederlanden oder Italien sind die Spritpreise schon jetzt höher als in Frankreich – selbst wenn man dort Emmanuel Macrons Ökosteuer draufschlagen würde.

Für die saudischen und russischen Staatshaushalte, die weitgehend von Öl- und Gasexporten finanziert werden, sind niedrige Ölpreise eine Katastrophe. Ihre teuren außenpolitischen Kriegsabenteuer, Prestige- und Rüstungsprojekte sind dann nicht mehr finanzierbar, von sozialen Wohltaten an die unzufriedene eigene Bevölkerung ganz zu schweigen.

So kam es zu jener unwahrscheinlichen Achse Moskau-Riad. Beide wollen im Rahmen des Opec-Kartells, mit dem Rußland ebenso wie Mexiko als Nichtmitglied verbündet ist, die gemeinsame Tagesproduktion von 33 Millionen Faß um 1,3 Millionen Faß zurückfahren, wobei Rußland 300.000 Faß zu den Kürzungen beisteuern soll. Dies soll trotz der schwächelnden Weltkonjunktur, die die Energienachfrage bremst, die Preise wieder auf 70 Dollar je Faß erhöhen. Zuletzt haben die Absprachen koordinierter Produktionskürzungen der Ölerzeuger Ende 2016 für einen Preisauftrieb gesorgt.

Nun hat der saudische Erzfeind Katar, der mit dem Iran, der Türkei und den USA verbündet ist, und von Saudi-Arabien seit dem Juni 2017 wegen seiner Unterstützung islamischer Rebellen im „Arabischen Frühling“ mit einem Wirtschaftsembargo belegt wurde, angekündigt, aus dem Opec-Kartell, das ein Drittel der Weltförderung kontrolliert, ab Januar auszutreten.

Katar, das Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt, ist mit einer Million Faß täglich nur ein kleinerer Ölproduzent, sitzt aber auf den größten bekannten Erdgasreserven der Welt. Der Ölpreis ist für das Emirat weniger wichtig, wenn es für die Sabotage der Opec-Absprachen bessere US-Sicherheitsgarantien erhält. Gleichzeitig laufen katarische Flüssiggastanker das pommersche Swinemünde an: Mit der neuen Lieferquelle will sich Polen vom russischen Gasprom-Monopol unabhängiger machen.

Im 60 Kilometer entfernten Greifswald und vor der finnischen Küste läuft die Verlegung der Nordstream-2-Gasrohre nach Plan – trotz der US-Sanktionsdrohungen. Wie der dänische Journalist Jens Høvsgaard enthüllte, hatte Schröder seine sozialdemokratischen Kollegen, die Ex-Premiers Göran Persson und Paavo Lipponen mit üppigen Jahresgagen erfolgreich als Gaspromlobbyisten gewonnen, um die Verlegungsrechte für schwedische und finnische Gewässer rechtzeitig zu bekommen. Die Dänen wurden mit Exportaufträgen für Bier und Schweinefleisch nach Rußland gelockt.

Ende 2019 könnte die 1.250 Kilometer lange Nordstream-2-Pipeline einsatzfähig sein. Mit beiden Leitungen wird Rußland 80 Prozent seiner Gasexporte – 110 Milliarden Kubikmeter – nach Deutschland pumpen und dann über die links der Oder von Lubmin nach Böhmen und Thüringen führende „Opal“ (Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung) in das mitteleuropäische Fernleitungsnetz einspeisen. Nur hat das Projekt den Schönheitsfehler, daß es Europas Abhängigkeit vom russischen Erdgas bei der rückläufigen niederländischen Gasförderung verstärkt und die Ukraine sowie Weißrußland und Polen von lukrativen Transitgebühren abschneidet.

Die zu Sowjetzeiten gebauten Sojus- und Jamal-Gaspipelines werden für den Transit überflüssig – ein Schachzug, der Rußlands Präsidenten Wladimir Putin 9,5 Milliarden Euro für seine Röhren in der Ostsee gekostet hat. Vor allem der rußlandfeindliche US-Kongreß droht nun mit massiven Sanktionen gegen alle 400 Firmen, die am Nordstream-2-Bau beteiligt sind. Ebenso wie im Fall von Trumps Iran-Sanktionen müssen die Firmen ihr in der Regel massives US-Geschäft mit ihrem recht bescheidenen Gasprom-Engagement abwägen. Die BASF-Tochter Wintershall wird ebenso betroffen sein wie die Düsseldorfer Uniper SE, der einstige Rohstoffarm des Energiekonzerns Eon.

Die USA sind noch kein starker Erdgasexporteur

Der Milliardenkonzern Gasprom wird in der Lage sein, seine Investitionskosten auch ohne die Hilfe europäischer Banken zu stemmen, nicht aber so spezialisierte Leistungen wie jene der italienischen Reederei Saipem, die nahezu als einzige in der Welt Pipelines auf hoher See verlegen kann. Stehen US-Energieinteressen hinter der Lust nach neuerlichen Sanktionen oder eher die Rachsucht der Clinton-Demokraten nach den verlorenen Präsidentschaftswahlen 2016?

Die USA sind kein großer Flüssiggasexporteur, und was sie exportieren geht nach Fernost, wo höhere Preise gezahlt werden als in Europa. Japan – nach Deutschland zweitgrößter Gasimporteur der Welt – könnte sich so von Lieferungen aus Rußland oder der islamischen Welt unabhängiger machen. So spricht alles für ein Motivbündel aus Revanchefoul und antirussischem Kalkül. In Deutschland dagegen wird in der Diskussion von den CDU-Atlantikern bis zu den Grünen zum Thema Nordstream 2 nur infantil moralisiert. Putin müsse für seine Missetaten in Syrien und der Ukraine bestraft werden, so als könne man mit Solarpanelen und Windrädern Automobil- und Stahlwerke betreiben und alle Wohnungen mit Holzpellets und Kuhdung beheizen.

Studie „USA gegen Nord Stream 2 – Auf dem Weg zur amerikanischen Energiedominanz?“, in Ifo Schnelldienst (17/18):  cesifo-group.de