© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

Beschützerin der Heimaterde
Einsamer Kampf um Mutter Natur: Eine Umweltaktivistin behütet das isländische Hochland in Benedikt Erlingssons „Gegen den Strom“
Sebastian Hennig

Der erste Film des isländischen Regisseurs Benedikt Erlingsson hatte den sprechenden Titel „Von Menschen und Pferden” (JF 8/15). Die nordische Insellandschaft bestimmt auch seinen zweiten Spielfilm „Gegen den Strom“. Doch die wilde Natur ist diesmal nicht allein Handlungsort. Sie ist zugleich der umkämpfte Gegenstand.

Die Chorleiterin Halla (Halldóra Geirharðsdóttir) führt ein Doppelleben. In der Stadt dirigiert sie ihre Mitmenschen zu einvernehmlichen Wohlklang, während sie ihnen draußen in der spröden Heidelandschaft als Bergfrau das Licht ausknipst. Ihre Kriegserklärung gilt einer stromfressenden Aluminiumhütte. Den Vertragsabschluß mit einem ausländischen Großinvestor will sie verhindern und wird als die „Bergfrau“ zum unerkannten Staatsfeind Nummer eins. Ihre einsamen Aufbrüche entbehren der selbstsicheren Nestwärme Hambacher Baumhäusler. Ihr geht es erst einmal um die Unversehrtheit der konkreten Heimat. Kameras sind dabei unerwünscht. Denn es zählt das Ergebnis und nicht die Bildwirkung. Soweit die Logik der Handlung, die paradoxerweise nur durch die Kamera mit beeindruckenden Bildern wirkt. Der Film spielt launig mit dem Widerspruch und umgeht durch geistreiche Assoziationen das schwerblütige Moralisieren.

Unter der großen Überlandleitung angelangt, entnimmt Halla ihrem Rucksack einen Reflexbogen, baut ihn zusammen und schießt ein Seil über die Hochspannungskabel. Mittels des nachgezogenen Drahts schließt sie die Leitung kurz. Inmitten der kahlen Landschaft wittern helle Blitze um den Stahlgiganten. Im Hüttenwerk kommt es zum Stillstand der Produktion. Sofort wird der Notplan ausgelöst. Tanklaster durcheilen das Land. Ein harmloser spanischer Fahrradtourist (Juan Camillo Roman Estrada) wird in der Nähe der Fabrik aufgegriffen und in Gewahrsam genommen. Er wird immer wieder zur falschen Zeit am falschen Ort sein.

Der Film spielt mit mythischen Urbildern

Die Heldin lebt weitgehend beziehungslos; die emanzipierte Frau wirkt als eine alte Jungfer auf der Suche nach fester Bindung. Nur die Heimaterde kann ihr Partner sein. Doch letztlich ist auch sie  der Hilfe anderer Menschen bedürftig.

Bislang war ein Chormitglied Hallas einziger Mitwisser. Der nervöse Baldvin (Jörundur Ragnarsson) arbeitet im Ministerium. Sie konspirieren während der Chorpausen in der Küche. Die Telefone werden derweil ins Gefrierfach gesperrt. Im Freien wird der Bauer Svein-

bjorn (Jóhann Sigurðarson) zum Retter. Wie Odysseus aus der Höhle Polyphems gelangt sie mit seinen Schafen in Sicherheit. Sveinbjorn entpuppt sich als ihr Vetter. Die Ausgekühlte schafft er zu einer heißen Quelle. Dem Regisseur sind die mythischen Urbilder bewußt: „Unsere Heldin spielt in dieser Welt eine Art Artemis, die Beschützerin der unberührten Wildnis. Völlig allein, konfrontiert mit den rasend schnellen Veränderungen unseres Planeten, übernimmt sie die Rolle der Retterin von Mutter Erde für die zukünftigen Generationen. Wir sehen die Welt durch die Augen unserer Heldin und verstehen dadurch sehr gut, was sie antreibt.“ Im Gegensatz zu Mitteleuropa besteht Island tatsächlich zu großen Teilen aus unberührter Natur. Offenes Weideland, nur einige Stauseen und Geothermiekraftwerke verlieren sich in der Weite des isländischen Hochlandes. 

Der Film ist als Märchen angelegt. Er spielt mit dem Künstlichen des Genres, indem das Filmmusiktrio mit Schlagzeug, Sousaphon, Akkordeon und Klavier selbst musizierend in Szene tritt. Dem Regisseur gelten die Musiker als „die inneren Kräfte, mit denen die Seele unserer Heldin kämpft“. Später singen auch noch drei Frauen in ukrainischer Volkstracht. Als die chinesische  Delegation von der Regierung auf einen Thingplatz der Wikinger geführt wird, finden sich die Politiker unbewußt in einem Kreis zusammen. Wie Halla mit einem Pfeilanker eine Drohne am Seil herabreißt, erinnert an eine hellseherische Situation aus Ernst Jüngers Erzählung „Die gläsernen Bienen“.  

Aktuellen Formen des Ungehorsams werden die Muster archaischen Aufbegehrens unterlegt. Erlingsson gedenkt zweier Umweltaktivistinnen aus Süd-amerika, die in jüngster Zeit ermordet wurden, und erwähnt zugleich den isländischen Mythos um Halla und Eyvindur.  „Sie waren die letzten Gesetzlosen, die es im 17. Jahrhundert schafften, auf der Flucht zwanzig Jahre im Hochland zu überleben. Sie waren echte Bergbewohner, Schafdiebe und Rebellen, und es gibt viele Geschichten über ihre Abenteuer und Kämpfe.“

Der Film bleibt amüsant und verzichtet auf Belehrungen. In Hallas Wohnung blicken von Riesenfotos Gandhi und Mandela herab. Hauptdarstellerin  Geirharðsdóttir ist in ihrer Heimat eine berühmte Bühnenschauspielerin. In „Gegen den Strom“ verkörpert sie zudem noch ihre Zwillingsschwester Ása, eine Yogalehrerin. Ihre konzentrierte Schauspielkunst und die Landschaft Islands sind die Säulen, auf denen dieses moderne Märchen ruht.

Kinostart am 13. Dezember 2018

 www.gegen-den-strom-film.de