© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

Schnipsel ist weg
Wo befindet sich die kleine Dackeldame jetzt? / Hundediebstahl in Deutschland auf dem Vormarsch
Martina Meckelein

Früher sollten Hunde auf Herrchen und Frauchen aufpassen. Heute ist es umgekehrt. Der Bewacher wird zum Bewachten. Die Zahl der Hunde, die gestohlen werden, scheint seit einiger Zeit zuzunehmen. Eine Polizeistatistik gibt es nicht, allerdings gehen Experten davon aus, daß jeden Tag vier Hunde in einer deutschen Großstadt gestohlen werden. Dahinter steckt eine erhebliche kriminelle Energie. Es geht um viel Geld, aber auch um schreckliches Tierleid. Beim deutschen Haustierzentralregister sind derzeit 5,1 Millionen Hunde registriert – 30.500 davon sind als vermißt gemeldet. 

Ein aktueller Fall aus Berlin zeigt den Alptraum einer Familie. „Wir waren spazieren“, erzählt Gabriele Schwebig und hat dabei Tränen in den Augen. Wir, damit meint sie sich und ihren Dackel Schnipsel. Die Hundedame heißt eigentlich Babette vom Julenhof und ist sieben Jahre alt. „Mein Herzenshund“, sagt Schwebig. Den Rauhhaardackel bekam sie, als er acht Wochen alt war. „Schnipsel ist sehr zutraulich, liebt Menschen. Naja, sie hat eben auch nichts Schlimmes bisher erlebt.“ Doch seit dem 1. Dezember ist der Hund wie vom Erdboden verschwunden. „Wir spazierten nachmittags von der Glienicker Brücke am Uferweg entlang bis zum Anleger Pfaueninsel.“ Es ist kurz nach 15 Uhr, als die Hündin im Schilf am Ufer stöbert. „Ich ging weiter. Ich dachte, der Hund kommt nach.“

Doch nach nur wenigen Minuten fällt Schwebig auf, daß ihre Hündin nicht folgt. Sie ist verschwunden. Kein Rufen hilft. Kein Bellen als Antwort ist zu hören. Sie rennt zum nahe gelegenen Parkplatz. Das Tier kennt die Umgebung genau – auch den Parkplatz. Vielleicht erwartete sie hier ihr Frauchen? Aber der Hund ist unauffindbar. Eine durchwachte Nacht am Wannsee folgt. Die Familie legt sogar Schnipsels Hundedecke ans Ufer – alles in der Hoffnung, daß der Hund zurückkehrt.

Die Familie alarmiert das Suchhundezentrum K-9. Zwei speziell ausgebildete Trailerhunde nehmen am Sonntag unabhängig voneinander Schnipsels Fährte auf. Beide marschierten vom Uferweg zum Parkplatz – dort verliert sich eindeutig die Spur des Dackels. Die Familie erstattet Anzeigen bei der Polizei in Potsdam und Berlin. Sie melden den Hund beim Tierregister Tasso als vermißt, verteilen Flugblätter. Stundenlang durchforstete Tochter Maxi, angehende Tiermedizinerin, das Internet, schaute sich auf Ebay Anzeigen an, auf denen Hunde zum Verkauf angeboten werden. Ohne Erfolg. „Man hofft zuerst, da wird vielleicht jemand den Hund im Tierheim abgegeben haben“, sagt Schwebig. Doch alle Tierheime im Umkreis von 80 Kilometern rund um Berlin, die sie anrief, verneinten. Bei ihnen war keine Dackeldame abgegeben worden.

Lukrative Einnahmequelle osteuropäischer Banden

Im Internet haben Tier-vermißt-Seiten Hunderte bis Tausende an Abonnenten. Manche Hilferufe sind herzzerreißend, andere klingen nüchtern. Oftmals werden Belohnungen für das Auffinden eines Hundes ausgelobt. Für einen Rottweiler waren es kürzlich 1.000 Euro. Natürlich können Hunde auch weglaufen. Solch ein Streuner kann dann durchaus überfahren werden oder sonstwie zu Tode kommen. Viel realistischer scheint es allerdings heutzutage zu sein, daß er Opfer professioneller Diebe wird.

Die Täter, es handelt sich oft um osteuropäische Banden, stehlen ausgewachsene Rassehunde, um sie in der Zucht einzusetzen. Mit Hundezucht hat das allerdings nichts zu tun. Es geht ausschließlich um Masse. Die Welpen werden der Hündin nach vier Wochen weggenommen und verkauft. Angebote findet man im Internet. In Polen und der Tschechei werden sie direkt aus dem Kofferraum feilgeboten. Aber auch in deutschen Großstädten. In Berlin war einer der Hotspots des Welpenhandels aus dem Kofferraum der nordwestliche Verwaltungsbezirk Reinickendorf.

Aber auch Welpen oder junge Hunde werden gestohlen, um sie direkt zu verkaufen. Beliebte Rassen sind: Huskys, Golden Retriever, alle kleinen Modehunde wie Möpse, Chihuahua, seltene Terrier. Das Geschäft mit den süßen Fellnasen ist lukrativ. Ein Mopswelpe kostet bis zu 1.300 Euro, ein Chihuahua 950 Euro. Die Tiere werden aus Gärten, ihren Zwingern, sogar aus Tierheimen oder vor Ladengeschäften gestohlen. Oder eben, wie vermutlich im Fall von Schnipsel, auf einem Parkplatz.

Ein spektakulärer Fall ereignete sich am 17. Oktober. „In der Zeit von 8.00 bis 10.30 Uhr wurden von einem Grundstück in Quitzerow insgesamt zehn Labradorwelpen entwendet“, berichtete die Polizei Neubrandenburg in ihrem Pressebericht. „Bislang unbekannte Täter haben sich widerrechtlich auf das umfriedete Gelände einer Familie begeben und die zehn Labradorwelpen – fünfmal blond, zweimal braun, dreimal schwarz – im Alter von sieben Wochen entwendet. Der Wert der zehn Welpen wird auf etwa 6.500 Euro geschätzt. Das Muttertier wurde auf dem Grundstück zurückgelassen.“

Die Polizei nahm den Fall ernst. Beamte des Kriminaldauerdienstes Neubrandenburg sicherten Spuren auf und am Grundstück, die Pressestelle rief Zeugen auf, Verdächtiges oder Hinweise zum Aufenthalt der Hundebabys zu melden. Soziale Medien und Boulevardblätter berichteten über den Fall. Der Druck auf die, wie sich dann herausstellte Täterin, wurde so enorm, daß sie sechs der zehn Welpen freiwillig zurückgab. Vier Tiere hatte sie schon verkauft. Aber auch sie wurden durch die neuen Besitzer an den Züchter zurückgegeben.

Auf ein solches Happy-End hofft Gabriele Schwebig auch. Den Hundediebstahl eindämmen könnten Tierliebhaber selbst. Indem sie eben nicht übers Internet oder aus dem Kofferraum einen Hund kaufen.

Verband für das Deutsche Hundewesen:  www.vdh.de

Deutsches Haustierzentralregister:  www.tasso.net

Suchhundezentrum K-9:  suchhunde-zentrum.de





So schütze ich meinen Hund

Der Hund sollte nur auf das Kommando seines Herrchens oder Frauchens reagieren und gehorchen. Er muß schon als Welpe darauf erzogen werden, nicht zutraulich auf Fremde zuzugehen. Er sollte ebenfalls lernen, Nahrung, die ihm von Fremden angeboten wird, zu ignorieren. Hunde nur unter Aufsicht im Garten lassen. Niemals ein Tier vor einem Geschäft angeleint zurücklassen. Wichtig: Das Tier vom Veterinär „chippen“ und registrieren lassen. Dabei wird ein nur elektronisch auslesbarer Mikrochip unter das Fell impantiert. Code-Tätowierungen am Ohr sind unnütz. Sie werden von Hundedieben durch das Abschneiden des Ohres unkenntlich gemacht. Das Chippen erleichtert es, den Hund nach seinem Auffinden dem Eigentümer zuzuordnen. Im Internet oder Fremden gegenüber nicht vom monetären Wert des Tieres sprechen. Auch nicht auf Erpresser-E-Mails reagieren: Die dabei geforderten Geldüberweisungen über Bitcoin sind nur eine weitere kriminelle Masche. Wenn mit dem Hund nicht gezüchtet werden soll – kastrieren sie ihn. Damit wird er für professionelle Tiervermehrer wertlos.