© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/18-01/19 / 21./28. Dezember 2018

„Allahu akbar“-Rufe am Weihnachtsmarkt
Frankreich: Auch die Listung in der Islamisten-Gefährderkartei konnte den Straßburg-Attentäter nicht an seinem Amoklauf hindern
Friedrich-Thorsten Müller

Erneut ist es Frankreich, das von einem islamistischen Anschlag erschüttert wurde. Der 29jährige Cherif Chekatt eröffnete in seiner Geburtsstadt Straßburg mit einem Revolver das Feuer auf Besucher des dortigen Weihnachtsmarktes und verletzte dabei unter „Allahu akbar“-Rufen fünf Personen tödlich. 

Weitere elf Passanten und Sicherheitskräfte erlitten darüber hinaus zum Teil schwere Verletzungen. Chekatt, ein französischer Staatsbürger nordafrikanischer Herkunft, wird bei dem Anschlag von Polizisten einer Anti-Terror-Einheit verletzt, kann aber per Geiselnahme eines Taxifahrers zunächst fliehen. 

Die Familie gerät ins Fadenkreuz der Ermittler

Der später freigelassene Taxifahrer wurde dadurch zu einem wichtigen Zeugen für die Motive des Attentäters, der seit langem auf der französischen Islamisten-Gefährderliste „Fiche S“ stand. Laut dem Taxifahrer soll Chekatt sich von der Hausdurchsuchung am selben Morgen in seiner Wohnung in die Enge getrieben gefühlt haben. Dem vielfach vorbestraften Attentäter war zum Zeitpunkt der Tat bekannt, daß die Polizei bei ihm unter anderem eine Granate und eine Pistole gefunden hatte. Vor allem aber rechtfertigte er seine Tat als Rache „für unsere toten Brüder in Syrien“. 

Zwei Tage lang suchten mehrere Hundertschaften französischer Spezialeinheiten nach Chekatt, bis sie ihn schließlich im stark von Einwanderern geprägten Straßburger Stadtteil Neudorf stellen konnten. Chekatt stirbt während eines Schußwechsels beim Versuch, sich seiner Festnahme zu entziehen. 

Indes reklamierte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) den Anschlag für sich und bezeichnete Chekatt postum als „einen unserer Soldaten“. Frankreichs Innenminister Christophe Castaner relativierte diese Aussage dagegen als „opportunistisch“ und hob hervor, daß es sich bei Chekatt vor allem um einen seit dem dreizehnten Lebensjahr auffälligen Schwerkriminellen handele, ohne frühere Kontakte zum IS. 

Tatsächlich war Chekatt den Behörden im elsässischen Dreiländereck bereits seit 2008 als Einbrecher bekannt. Sowohl in Frankreich als auch in der Schweiz und in Deutschland wurden deshalb mehrjährige Gefängnisstrafen gegen ihn verhängt. Erst 2017 wurde Chekatt von den deutschen Behörden nach der Teilverbüßung einer Haftstrafe nach Frankreich abgeschoben und mit einer zehnjährigen Einreisesperre belegt. Im Gegensatz zum französischen Chef-ermittler Rémy Heitz, der unterstellt, daß der Attentäter „in ausländischen Gefängnissen radikalisiert“ worden sei, ist er den deutschen Justizbehörden allerdings nicht als radikaler Islamist aufgefallen. Offenbar war den deutschen Behörden auch nicht bekannt, daß Chekatt in Frankreich zusätzlich in der Sicherheitsakte FSPRT gelistet war, die ausschließlich Personen umfaßt, denen man auch Terroranschläge zutraut.

Auch bei weiterer Betrachtung der Biographie des Attentäters stechen, neben erheblicher Kriminalitätserfahrung, typische Merkmale zukünftiger radikal-islamischer Terroristen ins Auge. Chekatt verfügte lediglich über einen der Hauptschule vergleichbaren Schulabschluß, einen Beruf hat er nie erlernt. Nach der Schule hatte er zunächst bei der Gemeinde gearbeitet, war aber bereits seit 2011 arbeitslos. Nach Angaben von France Info hielt er sich häufig in einer Bar in dem Straßburger Bezirk auf, in dem er erschossen wurde. Diese Bar wurde vor einigen Monaten wegen des Verdachts der Geldwäsche zur Finanzierung des islamischen Terrorismus geschlossen. 

Die tiefe Verwurzelung in seinem Herkunftsmilieu wird auch dadurch deutlich, daß zwei seiner sechs Geschwister sowie seine Eltern nach dem Attentat vorübergehend in Untersuchungshaft kamen. Ein weiterer Bruder, der kurz vor der Tat nach Algerien ausgereist war und ebenfalls auf der Gefährderliste „Fiche S“ stand, konnte dort inzwischen festgenommen werden. Drei weitere mutmaßliche Helfer aus dem Umfeld Chekatts sitzen unter dem Verdacht logistischer Hilfe in Frankreich in Untersuchungshaft. Chekatts Vater Abdelkrim rechtfertigte sich indes gegenüber dem Fernsehsender France 2, seinen Sohn vor dem IS gewarnt zu haben.

Unter dem Eindruck des hohen Aufwands, 20.000 Gefährder polizeilich zu observieren, fordert der Vorsitzende der Republikaner, Laurent Wauquiez, eine Verfassungsänderung hin zu „vorbeugendem Hausarrest“. Und Marine Le Pen vom Rassemblement National schlug vor, schon allein den Kontakt zu islamistischen Netzwerken künftigt strafrechtlich als Hochverrat zu bewerten.