© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/18-01/19 / 21./28. Dezember 2018

Jede Minute zählt
Reporter Billy Six in den Fängen des venezolanischen Geheimdienstes: „Hungerstreik“ als letztes Mittel
Martina Meckelein

Er friert. Er hat keine Kleidung zum Wechseln. Er steht unter Kontrolle von Wächtern. Inhaftiert in einem der schlimmsten Gefängnisse des venezolanischen Regimes, El Helicoide, genannt das Schneckenhaus. Seit Donnerstag, dem 13. Dezember, ist Billy Six im Hungerstreik. Die Situation eskaliert. Von einer schnellen Lösung im Fall des entführten und inhaftierten deutschen Journalisten und JF-Reporters kann im Moment keine Rede sein. Seit 35 Tagen hat Billy Six keinen Kontakt zur Außenwelt. Er ist abgeschnitten von jeglicher Kommunikation. Billy Six hat keinen Anwalt. Er hat keinen Kontakt zur deutschen Botschaft. Zum Glück setzen sich immer mehr Politiker für den Journalisten ein.

„Früher konnten wir ja nur in den Osten fahren“ 

„Ich gehöre zur selben Berufsgruppe“, sagt Armin-Paul Hampel, Bundestagsabgeordneter der AfD. Hampel war selbst Journalist, arbeitete für die öffentlich-rechtlichen Medien ab den neunziger Jahren. Hampel kann aus eigenem Erleben nachempfinden, wie Six sich jetzt fühlen muß: „Ich recherchierte damals in Afghanistan, es war 1998. Mich nahmen die Taliban fest. Ich stand unter Hausarrest. Der Vorwurf gegen mich lautete: Ich hätte angeblich Frauen gefilmt. Ich konnte zum Glück noch über ein Satellitentelefon mein Büro in Neu-Delhi informieren. Über die Deutsche Presse-Agentur wurde damals die Deutsche Botschaft informiert. Der seinerzeitige Außenminister Klaus Kinkel hat sich für mich eingesetzt, und so kam ich schon nach ein paar Tagen frei. In dem Moment, in dem einem die Fesseln angelegt werden, merkt man, wie wichtig es ist, zuvor noch einmal Kontakt zur Außenwelt aufgenommen zu haben. Man hofft, daß die Leute in der Heimat wissen, was einem passiert. Als ehemaliger Kollege und eben weil ich das selbst erlebt habe, geht mir das Schicksal von Billy Six natürlich sehr nahe.“ Hampel hat deshalb, wie vergangene Woche schon der CDU-Bundestagsabgeordnete Hans-Jürgen Irmer – die JUNGE FREIHEIT berichtete – einen Brief an Außenminister Heiko Maas geschickt mit der Bitte, sich für Six einzusetzen, damit er schnell nach Hause kommt.

 Im fernen Goa, Indien, versuchen derweil Billy Six’ Eltern ihm zu helfen. Sie haben eine Facebook-Seite initiiert, auf der sie die neuesten Entwicklungen der Causa Six darstellen. Gerade jetzt zur Weihnachtszeit denken die beiden jeden Moment an ihren ältesten Sohn, denn am 24. Dezember 1986 wurde Billy in der Berliner Charité geboren. Vater Edward Six: „Eigentlich sollte unser Sohn Silvester zur Welt kommen, aber wie es dann so ist, es ging holterdiepolter, ich bin gerade noch rechtzeitig aus Dresden angereist. Wir hatten die gesamte Familie zu uns nach Berlin eingeladen, und alle fragten, als ich nach Hause kam, wo ist denn Ute? Ich legte ihnen dann  einfach Fotos vor und sagte, das ist Billy. Ich hab damals Fotos gemacht in der Klinik von dem Kleinen.“

 Mutter Ute Six erinnert sich: „Wir hatten uns jeden Tag gewünscht, daß er bloß nicht Heiligabend zur Welt kommt. Es ist doch so, da hat man das Gefühl, das Kind wird um den Geburtstag betrogen. Ich dachte, welches Kind, welcher Schulfreund, kommt denn am Heiligabend zum Kindergeburtstag nach Hause zu uns? Deshalb feierten wir seinen halben Geburtstag immer am 24. Juni. So kommt er nicht zu kurz, und seine Klassenkameraden zur Geburtstagsfeier. Bei einer Schuluntersuchung wurde er mal gefragt, wann er Geburtstag habe, da sagte er, irgendwann im Sommer. Wissen Sie, er hat sich für Zahlen nie so interessiert.“ Was insofern die Eltern natürlich irritierte, weil die Mutter Diplom-Mathematikerin und der Vater Diplom-Ingenieur Maschinenbau ist. „Na später hat sich das gebessert“, sagt seine Mutter. „Er ist Finanzwirt geworden.“ Da scheinen sich die elterlichen Gene durchgesetzt zu haben.

Doch woher kommt diese Abenteuerlust, die Reiselust in der Familie? Ute und Edward Six in Goa, der jüngere Sohn reist als Zauberer durch die Welt, Billy berichtet über Kriegsschauplätze in fernen und eben auch gefährlichen Regionen. „Die Reiselust kommt wohl von mir“, sagt Vater Edward Six. „Früher konnten wir ja nur in den Osten fahren“, sagt er, „nach Bulgarien, aber später ging es weiter weg.“ Seit zwei Jahre fahren die Eltern schon mit ihren Fahrrädern durch die Welt.

 „Man glaubt, man sei in einem James-Bond-Film“

„Bei Billy fing dieser Wunsch zu berichten nach dem Ende des Jugoslawien-Kriegs an“, erzählt seine Mutter. „Er hat sich schon früh für Politik interessiert. Mit zehn Jahren las er jeden Tag die Zeitung. Für Politik und Geschichte interessierte er sich ebenfalls, und er hat schon immer viel geschrieben. Nach dem Jugoslawien-Krieg war er in Bosnien. Es war eine Schulreise. Billy war mit KFOR-Truppen dort. Jugendliche sollten über ihre Eindrücke schreiben. Das war meines Erachtens Billys Knackpunkt. Da hat er erstmals festgestellt, daß das, was in den Nachrichten berichtet wird, nicht die volle Wahrheit ist. Da war er 14 Jahre alt.“

 Billy Six’ Interesse für Politik und seine Begeisterung, darüber zu berichten, wurden sein Lebensinhalt, seine Berufung. Er reiste 2011 für diese Zeitung nach Libyen, 2012 nach Syrien. Dort wurde er entführt und saß drei Monate im Gefängnis. 2015 recherchierte er über die erste Flüchtlingswelle. Er schloß sich den Migranten, die über die ungarische Grenze marschierten an und berichtete über die Motive der Menschen, in den Westen zu ziehen. Er reiste 2014 in die Ostukraine, berichtete von der Front. Er recherchierte über den Absturz der Malaysia-Airlines-Flug 17 (Flugnummer MH17) am 17. Juli 2014 mit 298 Toten.

 Vater Six: „Vor zwei Jahren haben wir uns aufgemacht, wir sind noch rüstig und wir dachten, die Kinder stehen mit beiden Beinen im Leben.“ Doch zur Zeit können Billy Six’ Eltern einfach nicht von der Stelle kommen. Denn am 24. November, so die Mutter, schickte ihr jüngerer Sohn ihr eine Nachricht, daß Billy im Gefängnis sitzte. „Ich fühlte das gleiche wie vor fünf Jahren, als Billy in Syrien in Gefangenschaft geriet. Man glaubt, man sei in einem James-Bond-Film, es ist völlig unwirklich.“

 Über geheime Kanäle, die Eltern möchten nichts Genaueres sagen, konnte Billy mehrfach Kontakt zur Außenwelt herstellen. In seinem letzten Kassiber kündigte er an, in den Hungerstreik zu treten. Seine „Hungerstreik-Deklaration“ stammt laut Datum vom 10. Dezember 2018. Six erklärt darin, daß er zwar von Ärzten einem Bluttest wegen seines Dengue-Fiebers unterzogen worden sei, die Ergebnisse würden ihm allerdings verwehrt. Er habe keinen Kontakt zu seiner Familie, genausowenig zur Deutschen Botschaft in Caracas. Auch eine Kontaktaufnahme zu einem zivilen Rechtsanwalt werde ihm verwehrt. Aber das ist nicht alles. 

Six schreibt, daß er durch einen Beamten des militärischen Geheimdienstes schon am 18. November während seiner Verhaftung in Punto Fijo bestohlen worden sei. Der habe seine Bankkarte und den Zettel mit allen Pin-Nummern sich selbst in die Tasche gesteckt. Bei der späteren Kontrolle aller sichergestellten Dinge waren die Bankkarte samt Pin verschwunden. „Ich muß davon ausgehen, daß jemand meine Bankkarte und das Online-Banking jetzt illegal nutzt“, schreibt Six in der herausrausgeschmuggelten Nachricht.

Am 17. Dezember meldete die Familie erste Erfolge: Billy konnte mit der Deutschen Botschaft telefonieren.  Doch Six will im Hungerstreik bleiben, bis alle seine Forderungen erfüllt sind. „Die Vorwürfe gegen ihn vor dem Militärgericht in Venezuela lauten auf Spionage, Rebellion und Verletzung der Sicherheitszonen“, berichtete Edward Six dieser Zeitung (JF 51/18). „Doch sie sind haltlos“, so der Vater. „Wir haben jetzt eine Internetseite bei Facebook („Free Billy Six“)  ins Leben gerufen, wir telefonieren mit Journalisten, mit dem Auswärtigem Amt, wir beantworten per E-Mail Presseanfragen, und wir hoffen einfach, daß wir es schaffen, durch unsere Arbeit Billy zu unterstützen und ihn wieder freizubekommen.“ Ute Six: „Ich denke jede Minute an meinen Sohn.“