© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/18-01/19 / 21./28. Dezember 2018

Eine Lüge stiftet den Erfolg
Die filmische Apotheose der intellektuellen Kaviar-Linken: „Die Poesie der Liebe“ porträtiert an einem Schriftsteller-Ehepaar ein ganzes Milieu
Sebastian Hennig

Unter dem gleichermaßen irreführenden wie fade klingenden Titel „Die Poesie der Liebe“ gelangt der französische Film „Monsieur & Madame Adelman“ in unsere Kinos. Besser wäre er mit „Poesie der Lüge“ benannt. Regisseur und Hauptdarsteller Nicolas Bedos hat das Drehbuch gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Doria Tillier geschrieben. An der Entstehung der Filmmusik hat er ebenfalls mitgewirkt.

Das Paar Bedos/Tillier spielt das Ehepaar Adelman. Sie stellen im Film ein Unternehmen in Sachen Literatur dar, wie sie in der Wirklichkeit eines im Filmgeschäft sind. Schöpferisch ringender Schriftsteller ist Victor de Richemont wohl nur bis zu dem Zeitpunkt, da ihn die zielstrebige Sarah Adelman ganz für sich erobert hat. Indem sie sich erst einem Freund, dann dem Bruder Victors prostituiert, erbeutet sie Victor regelrecht, um ihn fortan zu lenken und zuzurichten. Sie entwirft seinen und damit auch ihren Erfolg planmäßig und setzt ihn zielstrebig durch. In der kalkulierten Ausbeutung des Talents und dem Ausleben egoistischer Begierden besteht der Pakt zwischen den beiden, den das Publikum als Liebesbund bewundern und dessen Frivolität als Eleganz verstanden werden soll.

Damit die Leichtfertigkeit nicht verstimmend wirkt, wird zusätzlich eine hehre Absicht vorgeschützt. Das Hauptthema des Films sei nicht so sehr der Autor, sondern seine Ehefrau, meint Bedos. Sarah Adelman stünde für jene „Frauen im Schatten“ großer Männer, welche beispielsweise jeweils die Berühmtheit von Paul Morand, Antoine de Saint-Exupéry und Céline bewirkten. Ein solcher Rang kann dem Filmschriftsteller Victor zwar nicht zugebilligt werden, ebensowenig bringt seine Gattin die Noblesse der Dichtergefährtinnen auf. 

Ein grausames Bonmot des Films besteht in den Umständen, die den Erfolg erzwingen. Denn der wird dem Schriftsteller de Richemont erst mit einem unter dem Nachnamen seiner Frau veröffentlichten Roman zuteil. Vor allem aber deshalb, weil damit suggeriert ist, die Saga einer ostjüdischen Familie beleuchte dessen eigene Herkunft. Dabei entstammt Victor tatsächlich einer erzreaktionären Familie. Die Lüge stiftet den Erfolg, aus dem wiederum alle folgenden Verstrickungen erwachsen.

Die Namensänderung stellt eine geistige Adoption dar  

Die Ungezwungenheit und herzliche Familiarität der Adelmans steht im leuchtenden Gegensatz zur düsteren Lieblosigkeit der Richemonts. Während Victors Vater ein bärbeißiger Menschenfeind und seine Mutter in den Alkohol geflüchtet ist, palavern Sarahs Vater und Großmutter ungehemmt, was ihnen gerade einfällt, auf Jiddisch. Sie leben in bescheidenen Verhältnissen mit Wänden voller Bücher. Über das Geschlechtliche nehmen sie gegenüber den jungen Leuten erst recht kein Blatt vor den Mund, geradeso wie die ausschließlich jüdisch-amerikanischen Autoren Saul Bellow und Philip Roth, die dem Schwiegersohn in spe als Vorbilder gepriesen werden. 

 Die Episode der Namensänderung, die eine geistige Adoption darstellt, erzählt der Film in zwei Versionen. Einmal geht die Initiative von Victor und ein andermal von Sarah aus. Dieser laufbahnbrechende Namenswechsel des Autors steht im Originaltitel. Das dieser Kniff hierzulande nicht ebenso herausgestellt wird, könnte eine gewisse Schamhaftigkeit bezeugen, die sich zum einen aus einer anderen Auffassung von schriftstellerischem Ethos, aber natürlich auch aus dem spezifisch deutschen Umgang mit der Vergangenheit ergibt. Darum muß dieser Bruch mit Liebe und Poesie zugekleistert werden. Doch der Opportunismus liegt eben nicht nur in dieser Äußerlichkeit. Was hier der Wunderkraft der Liebe zugeschrieben wird, ist nur Machtinstinkt und Griff nach Deutungshoheit. 

Erzählt wird im Rückblick. Kapitelweise zieht das Leben der beiden vorüber, vom Jahr 1970 bis zum Begräbnis des Autors 2016. Hinter dem Schreibtisch des romantischen Dichters Lamartine, den der Verstorbene zu seinem Siebzigsten geschenkt bekam, erzählt die Witwe dem Journalisten Antoine Grillot (Antoine Gouy) am Rande der Trauerfeier die verblüffende Lebensgeschichte. Sie flüchtet sich vor der lärmenden Gesellschaft in die Wahrheit. 

Die Szenen einer Künstlerehe verdanken ihre Entstehung dem launigen Spiel der Schauspieler in ihrem privaten Umfeld. Über Jahre hatten Tillier und Bedos immer wieder ähnliche Situationen frei improvisiert. Einige der so entstandenen Dialoge hatte sie aufgezeichnet. Daraus erwuchs dann die Idee zu dem Drehbuch als fortlaufender Geschichte. Die ist unterhaltsam, aber zugleich konventionell. Ihre Frivolität kann den nicht befremden, der den äußeren Erfolg zum absoluter Richtwert über die Bedeutung einer Bemühung setzt. Die größte technische Leistung dieser filmischen Apotheose der intellektuellen Kaviar-Linken besteht im Maskenbild. Die Hauptdarsteller spielen vom Jüngling bis zum Greis ihre Rolle durch. Bis zu sechs Stunden wurde an den Altersgesichtern präpariert.