© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/18-01/19 / 21./28. Dezember 2018

Anleitung für eine gelungene Lebensführung
Plädoyer für eine berechtigte Renaissance: Alexander von Schönburgs kurzweiliger Spaziergang durch die Welt der Tugenden
Matthias Matussek

Alexander von Schönburg, Sproß eines uralten Adelsgeschlechts, dessen Stammsitz in Glauchau eine mittelalterliche Burg war, die erst im 16. Jahrhundert zur Schloßanlage ausgebaut wurde. Die von Schönburg und Glauchau „waren bereits im 18. Jahrhundert hoffnungslos veraltet“, bekennt er in seinem Buch der Tugenden „Kunst des lässigen Anstands“. 

Schönburg hat ein sympathisches, wenn auch ein lässig lektoriertes Buch geschrieben, in dem er die ritterlichen Tugenden für das 21. Jahrhundert nutzbar machen möchte. „Die Wertedebatten der vergangenen Jahre waren ein Anfang, auch wenn ihr biederer Grundton abstoßend war, aber sie zeigten immerhin, daß uns langsam unwohl bei dem Anblick des sich immer rascher leerenden Reservoirs tradierter Vorstellungen wird.“ Er erwähnt die Tugend des Maßhaltens. „Dieses Kapitel steht hier, obwohl ich gestern abend drei Nogger gegessen habe, nicht nach, sondern zum Abendessen.“ 

Soviel Aufrichtigkeit muß sein, denn auch ihr ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Neben anderen Tugenden wie Klugheit, Humor, Weltoffenheit, Bescheidenheit, Höflichkeit, Demut, Treue, Keuschheit, Mitgefühl, Geduld, Gerechtigkeit und vielen weiteren, insgesamt 27, darunter Zucht, Fleiß und andere unpopuläre Disziplinen. Er vergißt nicht, daß Christentum und Adel oft zusammengedacht wurden, ganz selbstverständlich, was Schönburg den „christlichen Twist“ nennt.

Er verachtet Rollkoffer und liebt Gott

Viele der vergessenen Tugenden sind der Nikomachischen Ethik des Aristoteles entlehnt, die Tugenden des lebensklugen Mittelwegs sind, der Zügelung des Temperaments mit dem Ziel, ein glückliches Leben, eines der eudaimonia zu führen. Ohne Bezüge zur Popkultur ist das offenbar kaum verständlich zu machen. Also geht es darum, „die Menschenfreundlichkeit eines Ned Flanders von den ‘Simpsons’ mit der Härte eines Kriegers à la Django unter einen Hut kriegt“.

Aber wie überhaupt ist der Adel entstanden? Schwer, denn „die Entstehung des Adels in Europa fällt in eine Epoche, die schlecht beleuchtet ist“. Aber soviel steht fest: „Ein Ritter ist nicht per se ein Mr. Niceguy, aber er verteidigt das Gute und kämpft für die Schwachen.“ In einer Zeit des Übergangs ist der Adlige wahrscheinlich der einzige, der glaubhaft die alte Nobilität herüberretten kann, als Brückenfigur, denn in diesem Fall ist der Autor, ein Aristokrat, gleichzeitig einer, der sich sehr bürgerlich seinen Lebensunterhalt verdient, und zwar durch allerhärteste Arbeit. In seinem Fall als Gesellschaftsreporter der Bild-Zeitung. Jeder, der sich einmal den Tort angetan hat, den happy and few der Glamourkaste ein paar Körner für die Abteilung „Klatsch und Tratsch“ abzujagen, weiß, daß er sich dabei nicht scheuen darf, den Rücken krumm zu machen. 

Adlige, so Alexander von Schönburg, sind wie alle anderen Menschen, durch ihre Adern fließt das gleiche Blut, Stoffwechsel und Verdauung funktionieren nicht gleich, aber immerhin „ähnlich“. „Wenn es etwas gibt, das uns unterscheidet, dann ist es nur der Umstand, daß wir früher damit angefangen haben, uns zusammenzureißen.“ Lässiger kann man es nicht zusammenfassen.

Kurz: Von Schönburgs Ritt durch das Abendland ist der eines draufloserzählenden katholischen Punk-Insiders mit Adelstitel, er, der Bruder der fröhlichen Gloria von Thurn und Taxis, ist wie sie von sympathischer Exzentrik, einer, der sich mit Recht auf die Suche nach den verlorenen Tugenden begibt, allerdings durchaus, wie man in London sagen würde, „with an attitude“.

Sein Buch birst förmlich vor Anekdoten und originellen Funden, Beispielen von Zen-Mastern und Shakespeare-Zitaten, und es vergißt über alle ritterliche Zucht – mit Liebe zu Gott und Haß auf den Rollkoffer – die Freuden des Lebens nicht. Das „Berghain“ in Berlin oder das legendäre „Amnesia“ auf Ibiza bieten zwar nur synthetische Rauschzustände für Büromenschen, aber der völlige Verzicht auf gelegentlichen Exzeß oder völlige Abstinenz in ihrer Leib- und Freudlosigkeit sind nicht minder armselig. Und er zitiert C.S. Lewis, der den Irrtum ausräumt, die Christen müßten Abstinenzler sein: „Die Religion der Abstinenzler ist der Islam.“Das Kapitel über die wertvolle Coolness zitiert eine Begegnung mit William Burroughs, dem Duke der Beats, aber auch Chilon von Sparta. Ergebnis: ein wundervoll plaudernder Leitfaden zur eudaimonia im 21. Jahrhundert.

Alexander von Schönburg: Die Kunst des lässigen Anstands. 27 altmodische Tugenden für heute. Piper Verlag, München 2018, gebunden, 388 Seiten, 20 Euro