© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/19 / 04. Januar 2019

Pfusch am Bau
Berlin: Nirgendwo ist die Politik so feindlich gegenüber Investoren gesinnt wie in der Hauptstadt
Björn Harms

Die Hauptstadt ächzt unter steigenden Mieten. Bezahlbarer Wohnraum ist allerorts Mangelware. Doch während die Gründe dafür vielfältig sind, scheint die Berliner Linkspartei zumindest eine simple Lösung für das Problem gefunden zu haben: Enteignung! Ohne Gegenstimmen und unter lang anhaltendem Applaus schlossen sich die Genossen auf ihrem Parteitag Mitte Dezember dem Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ an. 

Die SED-Nachfolgepartei und die Initiatoren berufen sich dabei nicht etwa auf die DDR-Verfassung, sondern auf Artikel 15 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. „Grund und Boden können zum Zwecke der Vergesellschaftung in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden“, heißt es dort. Angewendet wurde der Artikel jedoch noch nie, Juristen sprechen häufig von einem „Verfassungsfossil“. Und die Sache hat weitere Haken. 

„Horrende Preise zu          Lasten der Steuerzahler“

Zunächst muß laut Gesetz nachgewiesen werden, daß es keine anderen Möglichkeiten zur Wohnraumversorgung gibt. In Berlin aber werden überall, wenngleich zu wenig, neue Wohnungen gebaut. Des weiteren müßten die zu enteigneten Konzerne entschädigt werden. Allein der Immobilienriese Deutsche Wohnen besitzt 117.000 Wohnungen. Schätzungen gehen von Kosten von bis zu 14 Milliarden Euro aus. Wie Berlin das bezahlen soll, bleibt unklar. Dennoch gibt es auch beim Koalitionspartner SPD Sympathien für den Volksentscheid, der demnächst mit einer Unterschriftensammlung starten soll. „Unser erklärtes Ziel muß eine Vergesellschaftung des Wohnraums sein“, forderte etwa ein Beschluß der Jusos, der im SPD-Landesverband allerdings nicht mehrheitsfähig ist. Noch nicht.

Die angedrohten Enteignungen sind derweil nur der jüngste Höhepunkt einer sich seit Jahren andeutenden Fehlentwicklung in der Bau- und Wohnungspolitik der Hauptstadt. Verantwortlich dafür macht die Opposition aus CDU, FDP und AfD vor allem Bausenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei). Denn obwohl die Hauptstadt bis 2030 fast 200.000 neue Wohnungen benötigt, ist man von den 30.000 städtischen Wohnungen, die die rot-rot-grüne Koalition bis 2021 versprochen hat, derzeit meilenweit entfernt. 

Statt dessen kauft der Senat mittels kommunalen Vorkaufsrechts, bei dem das Land während eines Eigentümerwechsels einer Immobilie einschreiten und selbst zugreifen kann, Häuser auf, um sie in die öffentliche Hand zu bringen – häufig genug Gebäude, die unter der rot-roten Vorgängerregierung an private Immobilienfirmen verhökert wurden. „Das Ziehen von Vorkaufsrechten zu horrenden Preisen auf Steuerzahlerkosten ist alles andere als gerecht“, beklagt der Sprecher für Bauen und Wohnen der Berliner AfD-Fraktion, Harald Laatsch, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. „Es belastet den Haushalt zugunsten weniger Mieter und bindet Kapital, das für Neubauten nicht zur Verfügung steht.“ 

Neubauten, die bisweilen auf sich warten lassen. Denn auch die Dauer der Bebauungsplanverfahren läßt in Berlin zu wünschen übrig. Was nicht zuletzt daran liegt, daß Lompscher der Bürgerbeteiligung eine höhere Priorität als alle ihre Amtsvorgänger einräumt. Neubau brauche Akzeptanz in der Nachbarschaft, argumentiert sie. Doch die Investoren verzweifeln, wenn wegen Kleinigkeiten immer wieder neue Treffen einberufen werden. So gibt das Land Berlin im Baugesetzbuch für ein vereinfachtes Bebauungsplanverfahren etwa 18 Monate an, für ein normales rund 36 Monate. Die 2017 festgesetzten Bebauungspläne wiesen jedoch eine unglaubliche Bearbeitungszeit von 145 Monaten (12,1 Jahre) auf. 

Zu den chaotischen Zuständen in der Verwaltung gesellt sich auch der immer wiederkehrende Vorwurf, Posten würden bei Lompscher nach Parteibuch besetzt werden. Als im März etwa ein Abteilungsleiterposten für den Wohnungsneubau frei wurde, lud die Senatorin von zehn Bewerbern mit den entsprechenden Fachkenntnissen nur zwei zu einem gemeinsamen Vorstellungsgespräch ein – neben einem Referatsleiter aus der Stadtentwicklungsverwaltung auch die der Linkspartei nahestehende Jugendstadträtin Sandra Obermeyer. Im Gespräch soll es dann nicht etwa um fachliche Konzepte, sondern Frauenförderpläne gegangen sein. Daß der Job danach an Obermeyer ging, ist kaum verwunderlich.

Gleichzeitig sei auch der „niedrige Wohneigentumsanteil in Berlin katastrophal“, gibt AfD-Politiker Laatsch zu bedenken. Während 70 Prozent der EU-Bürger in Eigentum wohnen, sind es in Berlin nur 14,9 Prozent. „Der rot-rot-grüne Senat macht wenig Anstalten, diese Quote zu heben, um Wohnen damit unabhängiger und sicherer vor Gentrifizierung, Mieterhöhung und Altersarmut zu machen“, so Laatsch. „Privates Eigentum scheint der Worst Case im sozialistischen Denken zu sein.“

Ein sozialistisches Denken, das auch der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (Grüne), genauestens verinnerlicht haben dürfte. Mit seinen öffentlichkeitswirksamen Investorenschelten wurde er auch überregional bekannt. Der 43jährige Soziologe, der kein Problem damit hat, bei der Interventionistischen Linken als Gastredner aufzutreten, bedient bisweilen gängige antikapitalistische Klischees und will Investoren zwingen, im Bezirk zu seinen Bedingungen zu kaufen. Erst im Sommer hatte er sich mit dem umtriebigen Bauunternehmer Christoph Gröner, Gründer und Vorstandschef der CG Gruppe AG, eine mediale Schlammschlacht geliefert. Dieser wollte das ehemalige Postscheckamt in Kreuzberg erwerben und im leerstehenden Hochhaus eine Mischung aus Wohnungen und Büros unterbringen. Die Verhandlungen zogen sich hin, Gröner wurde eigenen Angaben zufolge in den Sitzungen angefeindet, verhöhnt und als Bedrohung wahrgenommen. 

„Keine schlechtere          Stadt als Berlin“

Zuletzt gab es einen wüsten E-Mail-Austausch zwischen Gröner und Schmidt persönlich. Bis dem Unternehmer der Kragen platzte. Kurzerhand ließ er am ehemaligen Postscheckamt, für jeden weithin sichtbar, ein riesiges Plakat aufhängen. „Hier verhindert Rot-Rot-Grün 623 Wohnungen, davon 182 geförderte Einheiten und 55 preisgedämpfte Wohneinheiten. Der Berliner Senat sieht zu“, war auf der gigantischen Plane zu lesen. Gröners Fazit: „Es gibt keine schlechtere Stadt zum Bauen als Berlin.“ 

An den zahlreichen Freiflächen in Berlin, die nutzbar wären, liegt das indes nicht. Doch wo genau diese liegen und ob auf ihnen gebaut werden kann, weiß offenbar nicht einmal die Bausenatorin. Als bei einer öffentlichen Veranstaltung die Frage aufgeworfen wurde, ob sie alle verfügbaren Brachen in Berlin kenne, antwortete Lompscher: „Das kann ich klar verneinen“ – und erntete damit fassungslose Blicke. „Keine andere Stadt Europas verfügt über so zahlreiche Baulücken wie Berlin – und keine andere Stadt verwaltet sie zugleich so miserabel“, höhnte der Fraktionsvorsitzende der FDP im Berliner Abgeordnetenhaus, Sebastian Czaja, im Tagesspiegel. Dabei sei die systematische Erfassung von Baulücken, deren Eigentumsverhältnisse sowie die Qualität der Freiflächen eine zentrale Voraussetzung für eine Wohnbau-Offensive. Die ist unter den derzeitigen Bedingungen in Berlin jedoch eher unwahrscheinlich.