© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/19 / 04. Januar 2019

Der Doppeladler ist gelandet
Schweiz: Nationalspieler provozieren mit Albaniens Statussymbol und die irritierten Eidgenossen diskutieren
Paul Leonhard

Der Doppeladler – jahrhundertelang Symbol der Reichsunmittelbarkeit der Schweizer Städte im Heiligen Römischen Reich – hat es zum Wort des Jahres 2018 in der Deutschschweiz gebracht: „Jubelnd formen Fußballspieler der Schweizer Nationalmannschaft im Spiel gegen Serbien mit ihren Händen den Doppeladler“, heißt es in der Begründung der zehnköpfigen Jury des Departements Angewandte Linguistik an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW): „Im Doppeladler konzentrieren sich so hochaktuelle und tiefgründige Themen wie Polarisierung und Ausgrenzung, Nationalismus und die Loyalität von Doppelbürgern.“

 Rücken die Eidgenossen etwa ab vom historisch jungen Schweizer Kreuz als Bundes- und Staatssymbol? Natürlich nicht. Gemeint ist nicht der Doppeladler, mit dem sich bis 1648 die Eidgenossen schmückten, sondern jener der auf der Flagge Albaniens abgebildet ist und den auch gern die Kosovo-Albaner in ihrem Land fliegen lassen würden. 

Damit ist aber das von den Nationalspielern Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri  und auch von Mannschaftskapitän Stephan Lichtsteiner im WM-Spiel im Juni in Rußland geformte Symbol eine nicht zu übersehende Provokation gegenüber Serbien. 

„Die Schweizer werden von den Albanern integriert“   

Zudem ein klarer Verstoß gegen die immerwährende Neutralität der Schweiz, noch dazu von Sportlern mit Migrationshintergrund. Er löste nicht nur in den deutschsprachigen Kantonen eine Debatte aus, die noch immer anhält. Auch die italienische Schweiz diskutiert hitzig, weswegen „gesto dell’aquila“ (Geste des Doppeladlers) zum Wort des Jahres für den Tessin gekürt wurde.

Das albanische Freiheitssymbol sei durch diesen Vorfall plötzlich viel häufiger und in einem anderen Kontext gebraucht worden, zitiert die Neue Zürcher Zeitung Daniel Perrin, den strategischen Leiter für das Wort des Jahres. Es sei über Migration, Einbürgerung und Ausgrenzung diskutiert worden und darüber, was es bedeute, Schweizer zu sein. Auch habe sich die Öffentlichkeit mit Themen wie Loyalität gegenüber Ausländern und Solidarität beschäftigt. Hatte doch der Generalsekretär des Schweizer Fußballverbandes, Alex Miescher, umgehend die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft gefordert.

Daß sich Mannschaftsführer Lichtsteiner dazu bekennt, daß seine Doppeladler-Geste ein „Solidaritätsbeweis“ für seine Mitspieler war, löst bei Roger  Köppel, Herausgeber und Eigentümer der Weltwoche,  Kopfschütteln aus: „Was für ein Anblick: Nicht die Schweizer integrieren die Albaner, die Schweizer werden von den Albanern integriert.“ Was da auf dem russischen Fußballrasen des einstigen Königsberg geschehen war, sieht Köppel so: Kaum hatten Xhaka und Shaqiri „ihre glorreichen Tore gegen den Erbfeind Serbien geschossen, verhakten sie ihre Hände zum mythischen Doppeladler, völkisches Emblem aller Albaner, Wappenzeichen der unverbrüchlichen Stammeszugehörigkeit, in diesem historischen Moment aber vor allem das Triumphsignal einer Demütigung der verhaßten Serben, an denen sich die Albaner im Schweiz-Dreß fußballerisch für das erlittene Unrecht aus zahllosen Balkankriegen rächten.“ 

Das sei keine harmlose Grußbotschaft an die Verwandten im Kosovo gewesen, wie die Spieler behaupteten, sondern „die Fortsetzung des innerjugoslawischen Bruderkriegs unter Schweizer Flagge“. Die Migrationspolitik der löchrigen Grenzen, so Köppel, habe dazu geführt, daß die einwandernden Volksgruppen ihre heimatlichen Konflikte mit in die Schweiz nehmen. Die Schweizer Fußball-Doppeladler hätten mit ihrer Aktion den schwelenden Unfrieden zwischen Albanern und Serben angeheizt.

Die Westschweiz läßt der Streit kalt

Die Aufregung um den Doppeladler erlaube einen Einblick in die Psyche der Nation, wie er sonst selten sei, spottet die Basler Zeitung. Während man beim Lesen der Weltwoche annehmen konnte, die Spieler hätten sich des Landesverrats schuldig gemacht und Europa stünde kurz vor dem nächsten Weltkrieg, postierten „sich linke Exponenten mit zum Doppeladler gefalteten Händen in den sozialen Medien, solidarisch, ernst und bereit, jeden Kampf auch aus dem Untergrund zu führen“. Für die Aargauer Zeitung ist klar, daß die „Diskussionen um Identität, um Herkunft und Heimat wieder neu entflammen“ würden.

Auch die Sprachwissenschaftler haben die erneute Diskussion kommen sehen: „Der Doppeladler hat 2018 weite Kreise gezogen und ist im Alltag der Schweiz gelandet; die Debatten darum werden uns noch lange beschäftigen“, heißt es in der Begründung der Jury.

Allerdings gilt das nur für einen Teil der Eidgenossenschaft. Die Westschweiz ließ der Doppeladler-Streit offenbar völlig kalt. Dort wurde die „psychische Belastung“ (charge mentale) zum Jahresbegriff erkoren. Dieser spiegelt den Druck der Gesellschaft wieder, so die Jury, über alles nachdenken zu müssen, jederzeit und in allen Bereichen.