© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/19 / 04. Januar 2019

Erst diskriminiert – dann krank
Bertelsmann-Stiftung: Mit der „Faktensammlung Diskriminierung“ stellen die Gütersloher Deutschland in kein gutes Licht
Christian Schreiber

Die Süddeutsche Zeitung fragte vor einigen Monaten: „Wie mächtig ist die Bertelsmann-Stiftung?“ „Kaum eine Woche vergeht, ohne daß Autoren der Stiftung das Land belehren wollen. Sie kommen selbstlos daher und regen viele auf“, schreibt das Blatt weiter. 

 Nun hat die gemeinnützige Stiftung eins draufgelegt und einen neuen Band  aus der Reihe „Faktensammlung Diskriminierung“ veröffentlicht, die die Stiftung seit einigen Jahren unter der Rubrik „Migration fair gestalten“ anbietet. 

Bei der „Faktensammlung“ handelt es sich um eine Sammlung von Quellen, die sich mit dem Thema ethnische und religiöse Diskriminierung in Deutschland beschäftigen: „Daraus ergibt sich ein klares Bild: Diskriminierung aufgrund der ethnischen oder religiösen Herkunft findet sich auf dem Arbeitsmarkt, dem Wohnungsmarkt, im Bildungssystem sowie im täglichen Alltag“, heißt es. 

Kompetenzgerangel, wenn es um Diskriminierung geht

Diskriminierung habe dabei viele Erscheinungsformen. Sie könne offen oder schwer erkennbar sein, bewußt oder unbewußt ablaufen. Sie könne am Arbeitsplatz, in der Schule, im öffentlichen Verkehr, in Gaststätten oder anderswo stattfinden oder sich gegen Personen unter anderem aufgrund deren Religion, Weltanschauung, Lebensalter, Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung richten. Direkte Diskriminierung sei demnach vergleichsweise leicht zu erkennen. Dabei werde die Benachteiligung auf Basis eines Merkmals offen angesprochen: „Diese Art von Diskriminierung widerspricht in der Regel dem geltenden Recht“, schreiben die Autoren. 

Indirekte beziehungsweise mittelbare Diskriminierungen seien allerdings schwerer zu erkennen. Hier werde das Diskriminierungsmerkmal nicht offen angesprochen. „Indirekt diskriminierende Regelungen können sogar scheinbar neutral sein, sich aber de facto überwiegend gegen Menschen mit bestimmten Merkmalen richten.“ 

Als Beispiel dafür führt die Publikation einen Fall aus Italien an. Dort sei bei Wohnungsausschreibungen ausschließlich nach Personen mit EU-Staatsbürgerschaft gesucht worden. De facto seien vor allem afrikanische Einwanderer davon betroffen gewesen, die systematisch ausgegrenzt worden seien. 

Ein großes Problem stelle auch die Mehrfachdiskriminierung dar. Darunter versteht die Bertelsmann-Stiftung, daß eine Person durch mehrere Diskriminierungskategorien benachteiligt sein kann. So könne die muslimische Frau einerseits aufgrund ihres Geschlechts und andererseits aufgrund ihrer Religion Diskriminierung erfahren. Ein Beispiel seien Attribute wie „jung“ und „Hautfarbe“.  Ein junger, schwarzer Mann werde, wenn er nachts unterwegs ist, auffällig oft ohne ersichtlichen Anlaß von der Polizei kontrolliert.

Die unterschiedlichen Lebensfelder, in denen diskriminiert werde, haben die Autoren unter den Punkten „Alltag“, „Wohnen“, „Religion“, „Bildung“ sowie „Sinti und Roma“ zusammengefaßt. 

Problematisch sei die Tatsache, daß es in Deutschland kein einzelnes, allumfassendes Antidiskriminierungsgesetz gebe. „Statt dessen sind Diskriminierungsverbote in mehreren Gesetzen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsrichtlinien verankert, die zusammengenommen das deutsche Antidiskriminierungsrecht bilden.“ Dadurch entstehe manchmal ein Kompetenzgerangel und verhindere in vielen Fällen eine wirksame Ahndung. In ihrer Analyse stützen sich die Autoren auf Mitteilungen von Antidiskriminierungsstellen sowie auf Studien anderer Autoren. Dabei wird der Eindruck erweckt, daß Vorurteile und Beleidigungen gegenüber Migranten eine regelrechte Volkskrankheit seien. 

Die Vielzahl an verschiedenen Erfahrungen mache es schwer, das genaue Ausmaß von Diskriminierung im Alltagsleben zu erfassen. Es sei davon auszugehen, daß nur ein Bruchteil dieser diskriminierenden Vorfälle bei offiziellen Beschwerdestellen gemeldet oder vor Gericht behandelt werde. Eine Umfrage unter Anwälten habe ergeben, daß gegen offen rassistisches Mobbing am Arbeitsplatz nur selten gerichtlich vorgegangen werde – aus Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes. 

„AfD-Anhänger sind menschenfeindlicher“

Die Dunkelziffer bei der sogenannten Alltagsdiskriminierung sei demnach „riesengroß“. Ursächlich sei dafür auch der Aufstieg der Alternative für Deutschland. „Insbesondere Sympathisanten der AfD sind auf dem politischen Spektrum weiter nach rechts gerückt. Der Nährboden für Diskriminierendes ist demnach größer geworden“, heißt es. „AfD-Sympathisanten sind menschenfeindlicher und rechtsextremer eingestellt als Nicht-Sympathisanten“, unterstreichen Andreas Zick, Beate Küpper und Daniela Krause in ihrer Analyse. 

Parallel dazu kommt Bertelsmann-Migrationsexpertin Klaudia Wegschaider zu dem Ergebnis, daß Menschen aufgrund „zugeschriebener Migrationsgeschichte – signalisiert zum Beispiel durch Namen oder Akzent – auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert werden“. Besonders in Zeiten, in denen der Wohnungsmarkt in Städten stark ausgelastet sei, steige die Wahrscheinlichkeit der Diskriminierung aufgrund der Herkunft. Dies könne Teilhabe- und Integrationsprozesse behindern. „Somit ist auch die Politik gefragt, angemessene Maßnahmen umzusetzen.“

Besonders ausgeprägt sei die Diskriminierung im Berufsalltag. Diskriminierung im Berufsleben beschränkt sich laut der Studie nicht nur auf die Phase der Bewerbung. „Sie erstreckt sich auch auf die Bereiche Vergütung, Karriereentwicklung und den Arbeitsalltag“.Allerdings muß Autorin Wegschaider  an diesem Punkt einräumen, daß „es dazu aber vergleichsweise wenige Studien gebe. Hinzu kommt, daß experimentelle Untersuchungen zu diesen internen Abläufen praktisch nicht möglich sind.“ 

Einen Schwerpunkt der Faktensammlung bildet der Bereich Bildung. „Bildungssysteme haben das Potential, bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten zu korrigieren. Ein faires Bildungssystem sollte jedem Kind, unabhängig von der sozialen oder ethnischen Herkunft, die gleichen Chancen auf eine angemessene Bildung bieten“, erklärt Wegschaider. So könne Bildung zum Sprungbrett des sozialen Aufstiegs werden. „Ist die Chancengerechtigkeit nicht gegeben, so kann ein Bildungssystem bestehende Ungleichheiten zementieren.“ Beim Pisa-Test des Jahres 2015, der die schulischen Leistungen von 15jährigen im internationalen Vergleich erfaßt habe, hätten in der deutschen Auswertung Jugendliche mit Migrationshintergrund durchschnittlich schlechtere Ergebnisse erzielt als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. „Bei der juristischen Staatsprüfung in Nord-rhein-Westfalen konnten Forscher zum Beispiel feststellen, daß Menschen mit Migrationshintergrund deutlich schlechtere Noten erhielten als Menschen ohne Migrationshintergrund.“ 

Die Frage, inwiefern diese Ungleichheiten aufgrund ethnischer oder sozialer Diskriminierung zustande kommen oder aufgrund anderer Faktoren, sei allerdings „schwierig zu beantworten“. Klaudia Wegschaider kommt dennoch zu dem Fazit, daß in „vielen Schulen“  auch Rassismuserfahrungen zum Alltag gehörten. Sie vertweist auf die vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft sowie der Amadeu-Antonio-Stiftung herausgegebene Expertise von Karim Fereidooni, die zeige, daß nicht nur Schüler, sondern auch Lehrkräfte mit Migrationshintergrund im Schulalltag „mit Rassismus konfrontiert werden könnten“. „All diese Erfahrungen untergraben den Glauben an die Gerechtigkeit des deutschen Bildungssystems.“ Insgesamt bestehe in diesem Bereich weiterhin Forschungsbedarf in Deutschland, so Wegschaider.

Ausgrenzung erhöht Gefahr der Gewaltbereitschaft   

Letzlich kommen nicht allein Haci-Halil Uslucan und Cem Serkan Yalcin zu dem Ergebnis, daß „Diskriminierungserfahrungen Reethnisierungsprozesse auslösen“ können. „Wahrgenommene Ausgrenzung und Diskriminierung führten bei den Betroffenen dazu, daß sie sich stärker an die Eigengruppe binden. Es findet eine Rückbesinnung auf die Werte und Merkmale der Eigengruppe statt.“ Für Deutschland bedeute dies: „Je höher die wahrgenommene Diskriminierung bei Menschen mit Migrationshintergrund, desto geringer ist ihre Bereitschaft, sich in die Aufnahmegesellschaft zu integrieren.“

Auch die ständige Konfrontation mit negativen Stereotypen und Vorurteilen beeinträchtigt laut der Expertise des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung das Selbstwertgefühl und kann zu geringeren kognitiven Leistungen führen. Vor allem im Bildungsbereich könne dann eine „selbsterfüllende Prophezeiung“ eintreten: Die Sorge davor, mit schlechten Leistungen Klischees über die eigene Gruppe zu bestätigen, beeinflusse die Leistung in negativer Weise.

Ausgrenzung und Benachteiligung erhöhen auf der einen Seite die Gefahr der Gewaltbereitschaft, können sich aber auch negativ auf die Gesundheit auswirken. „Es konnte anhand einer repräsentativen Stichprobe erstmals für Deutschland gezeigt werden, daß die wahrgenommene Diskriminierung einen Einfluß auf die psychische und körperliche Gesundheit von MigrantInnen hat“, unterstreichen Ulrike Igel, Elmar Brähler und Gesine Grande in ihrem Sammlungsbeitrag. „Der Einfluß von Diskriminierungserfahrungen auf die Gesundheit von MigrantInnen.“





„Migration fair gestalten“

Ein Meilenstein der Bertelsmann-Stiftung ist das Projekt „Migration fair gestalten“. Damit möchte die Stiftung wichtige Impulse setzen. Angesichts der „verstärkten Zuwanderung von Flüchtlingen, des anhaltenden Fachkräftebedarfs und der steigenden Migrationsskepsis in der Bevölkerung“ gelte es die Arbeitsmigration besser zu steuern, die Willkommenskultur gegenüber allen Einwanderern zu fördern, eine effektive Aufnahmeinfrastruktur in Deutschland weiterzuentwickeln. Darüber hinaus müßten die Überforderung des europäischen Asylsystems behoben und die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern der Migrationsströme von morgen im Sinne des Triple-Win-Ansatzes aufgestellt werden. Vor allem sei es wichtig, die Offenheit der Gesellschaft für Einwanderung  zu stärken: „Die Offenheit der Gesellschaft muß sich darin widerspiegeln, daß sie Einwanderern auf Augenhöhe begegnet und ihnen in keinem Gesellschaftsbereich die Teilhabe erschwert oder vorenthält. Deutschland muß fit für Vielfalt werden.“ Die Bertelsmann-Stiftung ist neben der Stiftung Mercator, der Volkswagen-Stiftung, der Freudenberg-Stiftung, Robert-Bosch-Stiftung, dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und der Vodafone-Stiftung Deutschland Mitglied im „Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration“ (SVR). Dessen Vorsitzender, Thomas Bauer, lobte den am 19. Dezember in New York ratifizierten UN-Migrationspakt als „großen diplomatischen Erfolg“ und als ein „wichtiges politisches Signal“.