© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/19 / 04. Januar 2019

Lieber über Blutwurst diskutieren
Die öffentliche Debatte ist fest mit politischen Machtstrukturen verwoben
Thorsten Hinz

Der politische Diskurs in Deutschland ist nicht verstummt. Ganz im Gegenteil, in den etablierten Medien wird unermüdlich debattiert, kommentiert, analysiert, skandalisiert, enthüllt und angeprangert, werden Expertenmeinungen und Studien vorgestellt, die schon am nächsten Tag durch neue Expertenmeinungen und Studien ersetzt werden. Dem Leser und Zuschauer bleibt kaum Zeit, das Informationsdickicht zu lichten, Wichtiges aus dem Meer der Nebensächlichkeiten herauszufischen, Zusammenhänge herzustellen.

Der amerikanische Medienwissenschafter Neil Postman hat schon vor über 30 Jahren dargestellt, wie die effekthascherische Darbietung zerstückelter, kontextloser, sinnentleerter „Info“-Brocken den politischen Diskurs zum Entertainment degradiert. Den Protagonisten bietet es die Gelegenheit, sich in Szene zu setzen und den Konsumenten neben der Zerstreuung die Illusion von Informiertheit und Urteilsfähigkeit. 

„Wir amüsieren uns zu Tode“, faßte Postman solche Medienpraxis und -rezeption zusammen. In dem gleichnamigen Klassiker entwarf er eine Huxley-Welt voll dummer, aber fröhlicher Zeitgenossen, die in einer ewigen Gegenwart leben und unfähig sind, die rasch wechselnden Ereignisse in einen Sinn- und zeitlich-historischen Rahmen einzuordnen. Er sah allerdings kein politisches Programm und keine Ideologie am Wirken, sondern ein rein technisches Problem, nämlich die „ungewollte Konsequenz eines dramatischen Wandels in den Formen unseres öffentlichen Austausches“, ausgelöst durch das „Happy Medium“, das Fernsehen.

Postman mochte sich nicht vorstellen, daß die Entpolitisierung, die Eliminierung des Politischen aus der Medienöffentlichkeit vorsätzlich herbeigeführt werden könnte, um die Menschen einer Politik, die ihren Interessen zuwiderläuft, dienstbar zu machen – um ein Reich der Lüge zu errichten. Mit der Digitalisierung ist das Problem nicht kleiner geworden. Das Internet eröffnet zwar Alternativen der Informationsbeschaffung und Diskussion, andererseits hat es die Informationsdichte und die verwirrende Parallelität des Ungleichwertigen nochmals potenziert. 

Die Öffentlichkeit wird bombardiert  mit Meldungen über den Wasserstand in der Südsee, den angeblich willkürlichen Charakter der Geschlechter oder über die „Ehe für alle“, während der Globale Migrationspakt erst im letzten Moment und unter dem Druck alternativer Medien zum Thema wurde. Eine suggestiv aufbereitete und faktenbereinigte Berichterstattung hat das Phantasma einer „rechten Hetzjagd“ in Chemnitz als Tatsache in die Köpfe von Millionen Mediennutzern gepflanzt.

Manipulative Berichterstattung

Ein anderes Beispiel für manipulative Berichterstattung gab die Islamkonferenz Ende November im Bundesinnenministerium, bei der drei Teilnehmer den Schutz von Bodyguards benötigten, weil sie fürchten müssen, von radikalen Muslimen als Glaubensverräter angegriffen, verletzt, getötet zu werden. Doch nicht der „Clash of Civilizations“ auf der Mikroebene beherrschte die Berichterstattung, sondern eine Diskussion über Blutwurst, die am Buffet angeboten wurde und das Ministerium veranlaßte klarzustellen, daß 13 verschiedene Häppchen zur Auswahl standen, die „mit Blick auf die religiös-plurale Zusammensetzung“ der Konferenz zusammengestellt worden waren. Gibt man auf Google die Begriffe „Islamkonferenz“ und „Blutwurst“ ein, erhält man das Zehn- bis Zwanzigfache der Treffer, welche die Kombination „Islamkonferenz“ und „Personenschützer/-schutz“ ergibt – ein Ergebnis der Arbeit deutscher Qualitätsmedien.

Talkshows mit Parteisoldaten

Zum Themenkomplex Migration, Asyl, Fluchtursachen und Einwanderungsgesetz gibt es kaum einen kompetenteren Fachmann als den Konfliktforscher Gunnar Heinsohn, Verfasser des Buches „Söhne und Weltmacht“. Heinsohn weist ständig darauf hin, daß die Bevölkerungsexplosion („Youth bulge“) in Afrika bei knapper werdenden Ressourcen und sinkender Konkurrenzfähigkeit gegenüber Asien eine gärige Gemengelage ergibt, die sich unausweichlich in Bürgerkriegen entlädt. Die überschüssigen jungen Männer kämpfen um die wenigen lukrativen Positionen in der Gesellschaft, wobei das religiöse Motiv lediglich den emotionalisierten Anlaß zur Mobilisierung liefert. Die auch von höchsten Politikern vorgebrachte Forderung, Deutschland müsse darauf hinwirken, die Fluchtursachen zu bekämpfen, ist ein inkompetentes Gerede. 

Ähnlich die Diskussion um ein Einwanderungsgesetz: Weltweit bildet Englisch die Lingua franca. Für die Hochqualifizierten in Indien, China usw. sind Großbritannien, die USA, Kanada oder Australien die natürlichen Zielländer. Der Erwerb der deutschen Sprache stellt hingegen eine Hürde dar, für deren Überwindung, so Heinsohn, zusätzliche Anreize geschaffen werden müßten. Die  hohe Steuer- und Abgabenlast wirkt jedoch abschreckend. Sie ergibt sich aber aus den Lasten der Masseneinwanderung von Analphabeten.

Damit stehen die umworbenen Hochqualifizierten vor der Aussicht, in Deutschland mit einem beträchtlichen  Teil ihres Arbeitseinkommens die Fehlmigration und weitere Verluderung der neuen Heimat finanzieren zu müssen. Die meisten werden daher dankend weiterreisen. Solche wichtigen Zusammenhänge werden in kleinen Spartensendern und Ein-Mann-Blogs thematisiert, während die massenwirksamen Talkshows von unqualifizierten Parteisoldaten und Pharisäern frequentiert werden.

Nicht der ausgewiesene Finanzfachmann und Euro-Kritiker Max Otte, sondern ein Max Czollek war zuletzt in allen Medien präsent („Im Gedächtnistheater Regie führen“, JF 46/18). Obwohl sein Buch „Desintegriert euch!“ nicht viel mehr als den Selbstfindungstrip eines jungen deutschen Juden bietet, wurde es wochenlang als gesellschaftspolitische Offenbarung gefeiert. Inzwischen ist es schon wieder vergessen, weil man an keine seiner Thesen sinnvollerweise anknüpfen kann. Wie in einem System kommunizierender Röhren ist die Aufmerksamkeit, die an Czollek verschwendet wurde, der viel wichtigeren, geistvolleren, kulturmorphologischen Untersuchung „Der Selbstmord Europas“ des Briten Douglas Murray entzogen worden.

Der Historiker Rolf Peter Sieferle hatte in seinem Buch „Das Migrationproblem“ den Zusammenhang zwischen National- und Sozialstaat herausgearbeitet. Seitdem sind in den etablierten Medien zahlreiche Beiträge über Sieferle erschienen, aber keiner wagte sich an den zentralen Punkt, von dem aus Merkels Politik als glatter Irrsinn erscheint. Das „Migrationproblem“ wurde fast gänzlich ignoriert. Stattdessen widmeten die Kritiker sich dem aphoristisch konzipierten Nebenwerk „Finis Germania“, weil sich darin Sätze fanden, die – aus dem Kontext gerissen – sich zur Skandalisierung eigneten. Es ging darum, den Autor als Person zu diskreditieren. Das lügnerische Fazit in der FAZ lautete: „Das späte Denken dieses alten, kranken Mannes (...) war durch und durch antifreiheitlich und ressentimenterfüllt. Es wurzelt in Ideen der völkischen Rechten, die dem Nationalsozialismus vorangingen.“

Der Journalist Simon Strauß hat recht, wenn er sich in selbiger FAZ über Leute echauffiert, die „nicht mehr bereit sind, die Überlegenheit anderer anzuerkennen“ und meinen, jedwede Autorität verwerfen zu dürfen. „Es gibt minderwertige Meinungen, es gibt eine abschätzbare Hierarchie der Wahrheiten.“ Zweifellos steht Sieferle in der Hierarchie weit oben: ein Berg, gegen den sich der Schlamm erhob und vorübergehend unter sich begrub. Leider hat Strauß es ganz anders gemeint und sich in die Phalanx der arroganten und windschnittigenMedien-Bürschchen eingereiht („Das Fußvolk zum Schweigen ermahnt“, JF 49/18). Er verteidigt nämlich die alten, pharisäischen Autoritäten der „Kirchen, Parteien, Gewerkschaften und Zeitungen“ und attackiert alle, die die Weisheit von „ Gerichten, Künstlern und Klimaforschern“ anzweifeln.

Autoritäten werden weit unten verortet

Diese Autoritäten können sich aufgrund ihrer quantitativen Übermacht zwar noch immer Geltung verschaffen, doch in der geistigen und moralischen Hierarchie werden sie immer häufiger weit unten verortet. Der Absturz im Windschatten der Flüchtlingskrise dürfte irreversibel sein. Zur Erinerung ein paar Pressestimmen aus den Jahren 2015 und 2016 zu den wirtschaftlichen Aussichten: „Die Zuwanderungswelle, die nun in ihr siebtes Jahr geht, bildet das demographische Fundament für das zweite deutsche Wirtschaftswunder“ (Spiegel Online), „Flüchtlinge. Sie arbeiten am nächsten Wirtschaftswunder“ (Süddeutsche Zeitung), „86 Prozent von ihnen (den syrischen Migranten) haben einen Oberschul- oder Universitätsabschluß. Die größten Gruppen stellen Studenten und Fachkräfte, darunter Lehrer, Rechtsanwälte, Ärzte, Bäcker, Designer, Friseure und IT-Fachleute“ (Focus).

Die faktenfreie Dauerkampagne und die gleichzeitige Beschimpfung von Merkel-Kritikern hat sich – entgegen sonstiger medialer Schnellebigkeit – ins kollektive Gedächtnis eingegraben, so daß die Kluft zwischen Quantität und Qualität des politischen Diskurses offenliegt. Das eröffnet die Chance für neue Autoritäten und Diskurse. Andererseits ist der bestehende Diskurs fest mit politischen Machtstrukturen verwoben. Deshalb kann es auch geschehen, daß aus der hirnlos-heiteren Huxley-Realität eine brutale Orwell-Wirklichkeit erwächst.