© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/19 / 04. Januar 2019

Auf dem Weg in eine Multiminoritätengesellschaft
„Abschied von einem großartigen Land“: Der jüngst verstorbene Soziologe Jost Bauch blickt in seinem letzten Buch in eine düstere Zukunft Deutschlands
Sandro Serafin

Jost Bauch war ein streitbarer Mann. Der Soziologe paßte so gar nicht in das Bild, das viele gemeinhin von einem Universitätsprofessor haben. Denn Bauch war alles andere als „links“. Dennoch lehrte der Professor viele Jahre an der Universität Konstanz. Als der Experte für Medizin- und Gesundheitssoziologie in einem Beitrag für diese Zeitung auf die Folgen der demographischen Entwicklung aufmerksam machte, wurde er jedoch laut eigener Aussagen zur persona non grata. Schließlich verließ er die Universität.

Vor seinem Tod am 2. Dezember hatte Bauch ein Buch mit dem Titel „Abschied von Deutschland“ geschrieben. In der „politischen Grabschrift“ setzte er sich intensiv mit der Entwicklung Deutschlands auseinander – und formulierte dabei deutlich, was er von den Vorgängen unserer Zeit hielt.

Multikulturalisierung als „Naturereignis“ verkauft

Seine Beobachtungen reichen dabei von der „Demographie des Verschwindens“ über den Funktionsverlust der Familie, die Herrschaft des Sachzwangs, die „Globalisierung als Schicksal“ bis hin zur „Moralhyperthrophie als Folge der 1968er-Revolution“. Bei seinen Ausführungen greift Bauch immer wieder auf mal mehr, mal weniger bekannte Vordenker soziologischer Theorien zurück. So läßt das Buch durchaus einen gewissen wissenschaftlichen Anspruch erkennen. Ein „Schmöker“ ist es damit nicht. Im Gegenteil: „Der Leser muß mit soziologischen Ausflügen rechnen“, wie der Autor an einer Stelle selbst formuliert. 

Soziologische Ausflüge wendet Bauch immer wieder auf unsere Zeit an und kontextualisiert aktuelle Entwicklungen. Die von Angela Merkel postulierte Alternativlosigkeit etwa sieht Bauch nicht als singuläres Phänomen, sondern als Teil einer „politischen Überdehnung der Technokratie“. So würden etwa Globalisierung, Multikulturalisierung und Migration als „Sachzwänge“ oder „Naturereignis“ verkauft, meint Bauch. 

Ausführlich widmet sich der Autor auch der Moralisierung der Politik. Dabei bietet er ein „kleines Glossarium moralischer Kampfbegriffe“, die er näher erläutert. Unter dem Stichpunkt „Fremdenfeindlichkeit“ etwa schreibt Bauch: „Xenophobie ist eine menschliche Attitüde, die sich in der langjährigen menschlichen Evolution als sehr hilfreich erwiesen hat.“ An anderer Stelle nimmt er die „Täter-Opfer-Mythologie“ – bezogen etwa auf Männer und Einheimische auf der Täter- sowie Frauen und Migranten auf der Opferseite – des linken Spektrums auseinander. Freilich alles Gedanken, die Bauch nicht als erster aufwirft, die er jedoch mit theoretisch-soziologischen Überlegungen verknüpft.

Angesichts der drastischen Schilderungen und dem Buchtitel ist am Ende natürlich kein positives Fazit zu erwarten. Deutschland sieht Bauch auf dem sicheren Weg in eine „Multiminoritätengesellschaft“, in der die Deutschen nur noch eine von vielen Minderheiten sind und deren einzelne Teile miteinander Konflikte austragen. „Und so heißt es Abschied nehmen von einem großartigen Land“, zeigt sich der Autor letztlich resigniert. „Zu hoffen ist, daß nicht alles untergeht, daß nicht nur Mauerreste wie bei den Inkas übrigbleiben. Wir haben es allerdings nicht mehr in unserer Hand. Für Patrioten bleiben nur Trauer und Entsetzen.“ Jost Bauchs Vermächtnis macht leider wenig Mut, für dieses Land zu kämpfen und sich politisch zu engagieren. Eine Grabschrift eben. Und die erfüllt oft mit Wehmut.

Jost Bauch: Abschied von Deutschland. Eine politische Grabschrift. Kopp Verlag, Rottenburg 2018, gebunden, 255 Seiten, 19,99 Euro