© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/19 / 04. Januar 2019

Wunderpflanze für die Energiewende
Chinaschilf bietet eine hohe Kraftstoffausbeute / Forscher erwarten keinen Wucherwuchs
Paul Leonhard

Stolz zeigt Uwe Kühn auf ein Foto, auf dem eine hübsche Frau zu sehen ist: „Das ist Deutschlands Zukunft, die Politiker begreifen es nur nicht.“ Dem sächsischen Unternehmer und Nebenerwerbslandwirt geht es nicht um die Dame, sondern um die sie weit überragenden Pflanzen: ein Feld voller Chinaschilf (Miscanthus). Das Gras gilt als effizienteste Energiepflanze weltweit. Der Brennwert von 2,5 Kilogramm des Süßgrases entspricht etwa dem von einem Kilogramm Heizöl.

Die Frau auf dem Foto dient Kühn, dem Vizechef der Internationalen Vereinigung für Miscanthus und mehrjährige Energiegräser (MEG), nur als Größenvergleich: Die aus Ostasien stammende Pflanze wird unter optimalen Bedingungen bis zu vier Meter hoch und zwar innerhalb weniger Monate. Dank lanzenförmiger, teilweise steil nach oben stehender Blattspreiten nutzt sie das Sonnenlicht optimal aus und erreicht heine hohe Photosynthesleistung. Doch das alles ist nicht neu.

Das Riesen-Chinaschilf (Miscanthus x giganteus) ist eine natürliche Kreuzung zweier Miscanthusarten. Es wurde in den 1930er Jahren aus Japan über Dänemark nach Mitteleuropa eingeführt und bald von den Kleingärtnern als exotische Zierpflanze entdeckt. Die deutsche Politik setzte Ende der 1980er Jahre große Hoffnungen in die Pflanze und förderte mehrere Forschungsprojekte zur Biomassebereitstellung sowie zur energetischen und stofflichen Nutzung. Miscanthus aber erfüllte die Erwartungen nicht.

Miscanthus kann frühere Tagebaue begrünen

Negativ für den Anbau im relativ kalten Europa waren hohe Auswinterungsverluste, hohe Pflanzgutkosten, Lagerungsprobleme aufgrund der geringen möglichen Schüttdichte, fehlende Verwendungsmöglichkeiten des gewonnenen Rohstoffes sowie mangelnde Wirtschaftlichkeit. Positiv waren der für Pflanzen hohe Brennwert, eine günstige Kohlendioxidbilanz und der relativ hohe Trockenmasseertrag von bis zu 15 Tonnen pro Hektar bei einem sehr geringen Wasserbedarf sowie die Verlagerung der Nährstoffe aus den Blättern in das Rhizom gegen Ende der Vegetationsperiode, was den Düngungsbedarf reduziert.

Nach dem Winter treiben die unterirdischen Speicherorgane neue Triebe aus. Im Winter trocknen die Stengel aus und werden zwischen März und Mai lagertrocken geerntet. Ein Bonus für Landwirte ist: Sie können Maschinen einsetzen, die sonst im Frühjahr nur rumstehen, sagt Kühn, der noch weitere Vorteile aufzählt: Durch die mehrjährige Ernte – bis zu 25 Jahre – entfallen energieintensive Bodenaufbereitungsarbeiten wie das Pflügen.

Überdies trage die Pflanze zum Boden-, Gewässer- und Artenschutz bei. Sie kann keine keimfähigen Samen ausbilden und ist horstbildend. So kann es nicht zu einem unkontrollierten Wucherwuchs kommen. Die nährstoffreichen, sich auf dem Boden zersetzenden Blätter geben die aufgenommenen Mineralien der Erde wieder zurück. Auch wird das Grundwasser nicht durch Nitrate belastet, und das Gras lagert Kohlenstoff bis zu einer Tiefe von einem Meter im Boden ein. Weiter bieten Miscanthusfelder Kleinlebewesen und Wildschweinen im Winter einen idealen Schutz.

Geeignet ist Miscanthus auch für Neuanpflanzungen auf Braunkohlenachfolgelandschaften, weil er eine Humusschicht bildet. „Miscanthus wächst auf Böden, wo sich andere Kulturen schwertun“, sagt Kühn. Gleichzetig warnt er vor gigantischen Chinaschilffeldern: „Wir wollen keine neuen Monokulturen, keinen zweiten Maiswahn.“

Kühn ist nicht nur Vizechef der MEG, er ist vor allem Praktiker. Als solcher baut er auf 16 Hektar eigener landwirtschaftlicher Flächer die Pflanze an und ist an drei wissenschaftlichen Versuchsprojekten beteiligt. Außerdem tüftelt er an der stofflichen Verwertung.

Hatte er anfangs seinen Vierseitenhof bei Bautzen günstig mit dem Schilf geheizt, so hat er inzwischen davon Abstand genommen. Denn dessen Einsatzmöglichkeiten seien viel größer, sagt er. Als Pferde- und Nutztiereinstreu findet die Pflanze wegen ihrer enormen Saugfähigkeit und Ergiebigkeit zunehmend Anwender. Gartenbaubetriebe nutzen sie als Ersatz für Rindenmulch, die Bauindustrie verarbeitet sie zu Preßplatten und Leichtbetonfertigteilen. Auch Papier, Verpackungsschalen, Bioethanol, Isolierputz und Verbundstoffe lassen sich aus der Wunderpflanze fertigen.

Vor allem aber ist das Chinaschilf für die Strom- und Hochtemperaturwärmeerzeugung geeignet. Ein Hektar des pflanzlichen Einwanderers entspricht etwa 6.000 Kilogramm Heizöl, weiß Karl Müller-Sämann von der Agentur für nachhaltige Nutzung von Agrarlandschaft aus Freiburg im Breisgau. Chinaschilf lasse sich zur Gebäudeheizung, Kraftstoff- und Gaserzeugung nutzen, schwärmt der Agraringenieur.

Würden für Raps und Silomais verwendete Anbauflächen für Miscanthus genutzt, könnte eine Energiereserve erzeugt werden, für den Fall, daß Wind und Sonne nicht zur Verfügung stehen.

Neuer Generatortyp kann Stroh effizienter vergasen

Die technischen Fragen seien alle geklärt, sagt Dirk Stockburger. Um den gehäckselten und vorgetrockneten Miscanthus in Strom zu verwandeln, hat der ehemalige BASF-Mitarbeiter ein Verfahren entwickelt, das einerseits eine Weiterentwicklung des Winkler-Generators aus den 1920er Jahren ist, andererseits eine noch nicht patentierte Neuerung. Der Heidelberger Tüftler hat erkannt, daß die Wirbelschichttechnik für die Dampferzeugung aus Miscanthushäcksel Vorteile bringt, weil hier die Kesseltemperaturen niedrig gehalten werden können und es damit nicht zur Schmelze der Asche mit Anbackungen und Schlackebildung kommt.

Kurz gesagt wird das kleingeschnittene Gras bei einer Temperatur von 750 Grad Celsius unter Zufuhr von Sauerstoff und Wasserdampf schlagartig vergast. Die dabei entstehende Kohlenmonoxid-Wasserstoff-Mischung treibt einen Gasmotor an, der wiederum Strom erzeugt.

Allerdings wurde die Stromerzeugung aus Miscanthusstroh bisher noch nicht praktiziert. Die von Stockburger entworfene Anlage aus Hochtemperaturzement mit einem Reaktorkörper aus vakuumisoliertem Stahl gibt es bisher nur auf dem Papier.

Ihm schweben 4.000 bis 5.000 kleine Fünf-Megawatt-Blockheizkraftwerke vor, in denen Miscanthus vergast wird. So will er die Transportkosten gering halten, aber auch viele genossenschaftliche Betreiber finden. Angesichts der rund 9.000 gegenwärtig in Deutschland existierenden Biogasanlagen, die mehrheitlich zwischen 2030 und 2040 außer Betrieb gehen werden, sei das keine utopische Zahl.

Damit sich die Landwirte auf Miscanthus als Dauerkultur einlassen, bedarf es aber politischer Rückendeckung und einer Mindestpreisgarantie, sind sich die Experten einig. Erfinder Stockburger ist sich sicher, daß ohne sein Projekt die Energiewende scheitert, aber er benötigt Investoren. Der Bau einer ersten Fünf-Megawatt-Pilotanlage kostet nach seinen Schätzungen acht bis zehn Millionen Euro. Das Geld könnte aus den Zukunftsicherungsfonds für die Kohleregionen fließen, sagt die sächsische Landtagsabgeordnete Franziska Schubert (Grüne): „Wir wollen das Thema im Rahmen des Strukturwandels in der Lausitz setzen.“

Informationsportale über Miscanthus

 www.miscanthus-sachsen.de/

 optimisc.uni-hohenheim.de/en

 miscanthus-buscheritz.de