© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/19 / 04. Januar 2019

Gassigehen für Menschen
USA: In Los Angeles vermittelt ein Anbieter professionelle Spaziergänger
Boris T. Kaiser

In der hierzulande beliebten US-amerikanischen Serie „King of Queens“ kommt der Kurierfahrer Doug Heffernan eines Tages auf die glorreiche Idee, eine Hundesitterin zu engagieren, die mit seinem Schwiegervater Arthur  regelmäßig „Gassi geht“. Der schrullige ältere Herr wohnt nämlich im Haus des Ehepaars und Doug hofft, dank der bezahlten Spaziergänge etwas mehr intime Freizeit mit seiner Ehefrau verbringen zu können. 

Aus der skurrilen Idee erwächst im Laufe der Folge allerlei unterhaltsame Situationskomik und so manch gesellschaftssatirische Spitze in bezug auf Generationenkonflikte und das familiäre Zusammenleben im postindustriellen Zeitalter einer modernen Dienstleistungsgesellschaft, die von immer stärkerer Individualisierung geprägt ist.

Inzwischen ist es über zehn Jahre her, daß die letzte Staffel der Erfolgsserie abgedreht wurde, und wie so oft im Leben hat die Realität die einstige Satire eingeholt. Der Amerikaner Chuck McCarthy bietet über seine Internetseite peoplewalker.com gemeinsame Spaziergänge für Menschen an. Auf die Idee kam der in Los Angeles lebende Mittdreißiger, als seine Mutter bei einem Spaziergang, bei dem sie alleine unterwegs war, hinfiel und sich die Hüfte brach. Der Schock darüber und der Gedanke daran, daß es auch noch weitaus schlimmer hätte kommen können, inspirierten den Mann zu seiner Geschäftsidee, die er schon wenig später in die Tat umsetzte. 

Sicherlich wurde sein Elan dabei auch dadurch beflügelt, daß seine bisherige Karriere nicht von besonderem Erfolg gekrönt war. McCarthy war einer der unzähligen Schauspieler, die sich in Hollywood mehr schlecht als recht auf der ständigen Suche nach einer neuen Rolle durchs Leben schlagen. Als „The People Walker“, wie er sich heute selbst nennt, scheint er die Rolle seines Lebens gefunden zu haben. Und der Mann mit langen Haaren und dem zotteligen Vollbart ist in ihr sehr erfolgreich. So erfolgreich, daß er seinen Schauspieljob mittlerweile komplett an den Nagel gehängt hat und sich für seine Firma ein vierzigköpfiges Ensemble an professionellen Spaziergängern zusammenstellen konnte. 

Auch junge Menschen buchen den Service

20 Dollar bekommen seine Mitarbeiter für eine Schlender-Stunde. Er selbst zahlt sich 30 Dollar Stundenlohn. Die Dienstleistung des gemeinsamen Spazierengehens beinhaltet natürlich weit mehr als das bloße Vertreten der Beine an der frischen Luft. Die „People Walker“ sind sozialer Kontakt, Herd menschlicher Wärme und geistreicher Gesprächspartner. Hierbei können die Kunden aus einer reichen Palette unterschiedlicher Begleiter auswählen. Vom erfahrenen Juristen bis zur jungen Designerin ist alles dabei, was man sich an temporären Weggefährten wünschen kann. Diese Begleitung wird nicht nur von Senioren gebucht. Auch jüngere Menschen, die sich einfach nur mehr bewegen wollen, denen es bisher aber oft an der nötigen Motivation fehlte, nehmen das Angebot gerne war. 

Zudem gehören Zugezogene, die in der Stadt der Engel ersten Anschluß suchen, zu den Kunden. Vor allem für Frauen ist der Dienst interessant. Die Begleiter von McCarthys Agentur ermöglichen es ihnen, auch nach Einbruch der Dunkelheit noch mit einem sicheren Gefühl vor die Tür zu gehen. Nicht zuletzt deshalb kann durchaus erwartet werden, daß solche Angebote auch in Deutschland bald aus dem Boden sprießen werden.

Schon jetzt sind unter den Kunden einige Deutsche. Touristen, die sich über einen ortskundigen persönlichen Fremdenführer freuen. Ob die bezahlte „Hunderoute“ für Menschen der Königsweg aus der neuzeitlichen Vereinsamung der technologisierten Gesellschaft ist, bleibt zweifelhaft. Zwar bleibt es einem erspart, die letzten Meter seines Weges alleine gehen zu müssen. Zu Hause angekommen ist der Kunde allerdings wieder alleine – zumindest bis der nächste findige Anbieter einen neuartigen „Service“ für die eigenen vier Wände anbietet.