© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/19 / 04. Januar 2019

Der Flaneur
Langsames Kennenlernen
Gil Barkei

Mahlzeit!“ Zur Pause geht es in eines der Stammlokale in Redaktionsnähe, die einen Mittagstisch anbieten.

„... der liest dann auch immer die Bücher von Sarrazin oder so“, höre ich beim Setzen in die eng gestellte Sitzreihe von meinem blonden Tischnachbarn. Ich war aber nicht gemeint: Zwei junge Männer, anscheinend Arbeits- oder Geschäftskollegen, gehen bei Nachtisch und Espresso zum lockeren Plausch über.

„Ich hab ja nur mal ein, zwei Seiten von dem gelesen, danach hatte ich genug“, lautet die abwertende Antwort auf den von mir aufgeschnappten Satzfetzen. „Aber ...“ setzt der dunkelhaarige Mann leiser nach, „...mein Vater und mein Onkel sind ja total an dieses AfD-Umfeld verloren. Und lesen auch immer diese ganzen Seiten im Internet“. Bestätigende Reaktionen erwartend schaut er erst verunsichert zu seinem blonden Gegenüber und dann zu den Nachbartischen herüber.

„Ich kann die Entscheidung der Regierung 2015 ebenfalls nicht ganz nachvollziehen.“

Keine Sorge, das war deutlich, niemand im Raum könnte sie für einen AfD-Sympathisanten halten, sie sind auf der richtigen, der guten Seite, denke ich belustigt und widme mich meiner Rinderroulade.

„Aber die haben dann manchmal doch ganz gute Argumente“, sagt plötzlich der Blonde – nicht weniger verunsichert. Bin ich hier in einem sich langsam vortastenden Kennenlerndate gelandet? Beide tänzeln weiter umeinander herum. „Ja, das stimmt, ich weiß manchmal gar nicht genau, was ich denen dann antworten soll“, entgegnend wieder der Dunkelhaarige. „Ich kann die Entscheidung der Regierung 2015 ebenfalls nicht ganz nachvollziehen.“ Auf ein zartes Nicken des Blonden fügt er ein ganzes Stück selbstsicherer und lauter hinzu: „Und die Erklärungen dafür auch nicht.“

Ich gehe zum Tresen und bezahle, innerlich ein kurzes zufriedenes Aufblitzen, genährt von dem Gefühl von Hoffnung. Wie ehrlich und offen das Gespräch wohl noch weitergeht?