© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/19 / 11. Januar 2019

Ländersache: Nordrhein-Westfalen
Bottrop und die Folgen
Karsten Mark

Ein geruhsamer Jahreswechsel – das war einmal, ganz besonders in Nordrhein-Westfalen. Nach der Kölner Silvesternacht von 2015 herrscht bei den Sicherheitsorganen jedes Jahr erhöhte Alarmbereitschaft. Die gilt auch für Polizeiführung und Pressestellen. Neben Straftaten gilt es, ein Kommunikationsdesaster wie Anfang 2016 in jedem Fall zu verhindern.

Zum Beginn von 2019 stand nun CDU-Innenminister Herbert Reul vor einer großen kommunikativen Herausforderung: Ein Amokfahrer war mit seinem Auto in der Silvesternacht durch die Ruhrgebietsstädte Bottrop und Essen gefahren und hatte seinen Wagen absichtlich und mehrfach in Menschengruppen gesteuert. Am Ende gibt es acht Verletzte. Eine Frau wird schwer verletzt, muß notoperiert werden. Unter den Opfern sind Kinder, Jugendliche und Frauen. Sie alle sind Ausländer, überwiegend aus Syrien und Afghanistan. Der Täter: ein 50 Jahre alter Deutscher, der von der Polizei festgenommen wird. Und sofort stellen fast alle Medien die Frage: War das ein rechtsextremistischer Terroranschlag?

Minister Reul verliert nicht viel Zeit bis zur ersten Stellungnahme; und er verschont die Öffentlichkeit mit den üblichen Hinhalte-Phrasen. Schon am Morgen des 2. Januar sagt Reul dem Westdeutschen Rundfunk: „Es gab die klare Absicht von diesem Mann, Ausländer zu töten.“ Und auch die Polizeiführung spricht ganz ausdrücklich von einem „gezielten Anschlag“. Bloß ein politischer Hintergrund läßt sich nicht finden bei Andreas N., einem ehemaligen, seit einiger Zeit arbeitslosen Gebäudereiniger aus Essen, der von Hartz IV lebte. Die Polizei habe „keinen Ansatzpunkt gefunden, daß dieser Mann irgendwelche Verbindungen hat oder daß er selber in irgendwelchen rechtsradikalen Kreisen sich bewegt“, sagte Reul im WDR. Es habe den Anschein, daß der Täter „aus einer persönlichen Betroffenheit und Unmut heraus dann Haß auf Fremde entwickelt hat“, versuchte sich Reul an einer Einschätzung.

Bei den linken Oppositionsparteien provozierte der Unionspolitiker damit unverzüglich heftigen Widerspruch: Hartmut Ganzke, innenpolitischer Sprecher der NRW-SPD, warf Reul schon am nächsten Tag vor, er verharmlose „den Charakter der Tat“ in skandalöser Weise: Es habe sich „um eine rassistische Tat in klarer terroristischer Absicht“ gehandelt. Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert belehrte den Minister via Twitter, der Begriff „Betroffenheit“ sei falsch gewählt, in Zusammenhang mit „ausländisch/migrantisch“ müsse man von Rassismus sprechen.

Ulla Jelpke, Bundestagsabgeordnete der Linken, nutzte den aufgeflammten Schwall der Empörung gleich noch für eine Breitseite gegen Bundesinnenminister Horst Seehofer: „Wer ständig suggeriert, daß der Rechtsstaat zu lasch und hilflos agiert und zugleich Migration zur ‘Mutter aller Probleme’erklärt, sollte sich nicht wundern, wenn rechte Wutbürger und Neonazis sich dadurch zu Lynchakten wie in Bottrop und Essen ermutigt fühlen“, schrieb sie im Sprachrohr ihrer Partei, Junge Welt.

Bei Amokfahrer Andreas N. mehrten sich übrigens bald die Hinweise auf eine handfeste psychische Erkrankung: N. ist bereits wegen Schizophrenie in Behandlung gewesen.