© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/19 / 11. Januar 2019

Die Blauen in Grün
Seebataillon: Die Marineinfanterie ist klein, aber hochspezialisiert / Nachholbedarf bei amphibischen Fähigkeiten
Peter möller

Der Weg zurück ist mitunter sehr beschwerlich. Das muß gerade die Bundeswehr erleben, die nach mehr als zwei Jahrzehnten, in denen die Streitkräfte immer wieder verkleinert wurden, nun versucht, zuvor aufgegebenes Terrain wieder zurückzuerobern. Wie schwer das ist, zeigt die Panzertruppe, die nach unzähligen Sparrunden nur noch ein Schatten ihrer einstigen Größe ist. Doch immerhin sind die Strukturen im wesentlichen noch vorhanden, so daß der mittlerweile beschlossene bescheidene Aufwuchs für die auch personell ausgezehrte Truppe durchaus zu stemmen ist – auch wenn sich die Beschaffung der hierfür notwendigen zusätzlichen Kampfpanzer als schwieriger und zeitaufwendiger erweist, als ursprünglich gedacht.

Andere Truppenteile haben es da wesentlich schwerer, zurück zu alter Stärke zu finden und verlorengegangenes Können wiederzuerlangen. Dies gilt besonders für die amphibischen Fähigkeiten der Bundeswehr. Nach dem Ende des Kalten Krieges haben die deutschen Streitkräfte die Kompetenz, Truppen auf See zu transportieren und unabhängig von Häfen mittels Landungsbooten an der Küste anzulanden, praktisch völlig eingebüßt. Die dafür zuständige amphibische Gruppe der Marine wurde 1993 aufgelöst. Eine Zahl macht den Fähigkeitsverlust besonders deutlich: Von den einst 22 Landungsbooten der Klasse 520 der Marine ist noch eine Einheit im Dienst.

Deutsche bleiben auf       Nato-Partner angewiesen

Auch die Marineinfanterie wurde nach 1990 mehrfach verkleinert und umgruppiert, bis sie 2014 unter dem aus dem Kaiserreich stammenden traditionsreichen Namen Seebataillon zusammengefaßt wurde. Die in Eckernförde stationierte, mittlerweile wieder 1.000 Mann starke Einheit gliedert sich in zwei Bordeinsatzkompanien sowie je eine Küsten­einsatz-, Aufklärungs- und Minentaucherkompanie. Das Einsatzspektrum ist dabei äußerst vielfältig: Es reicht von der Sicherung ziviler Schiffe durch die Bordeinsatzkompanien, deren Soldaten auch an Bord von Fregatten eingesetzt werden, bis hin zum Straßen- und Häuserkampf durch die Küstenkompanie, beispielsweise um Hafenanlagen freizukämpfen.

Wie ernst es der Bundeswehr damit ist, ihre amphibischen Fähigkeiten zurückzuerlangen, zeigt die für 2020 erstmals geplante Teilnahme der Marine an der Amphibious Task Group (ATG) der Nato Response Force (NRF). Deutschland will sich an dem 1.000 Mann zählenden Verband mit 75 Soldaten des Seebataillons beteiligen. Das Zusammenspiel mit den Verbündeten auf diesem Gebiet ist besonders wichtig. Denn die Konzepte der landgestützten Marineeinheiten unterscheiden sich auch innerhalb der Nato stark. Während Großbritannien und die Niederlande etwa darauf setzen, ihre Royal Marines beziehungsweise das Korps Mariniers direkt für Landungsunternehmen einzusetzen und diese Einheiten dementsprechend stark sind und mehrere tausend Soldaten umfassen, operiert das Seebataillon dagegen in kleineren Einheiten von Spezialisten. Diese sollen im Bedarfsfall eine Anlandung, für die reguläre Heereseinheiten vorgesehen sind, vorbereiten und unterstützen.

So positiv sich die ersten Schritte hin zur Rückgewinnung der amphibischen Fähigkeiten der Bundeswehr auch ausnehmen: Ohne die Beschaffung eigener Docklandungsschiffe, mit denen Truppen transportiert und von denen sie mittels Landungsbooten an der Küste angelandet werden können, bleibt Deutschland auf diesem Gebiet langfristig auf die Unterstützung anderer Nationen angewiesen. Seit 2016 kooperiert die Marine mit der Koninklijke Marine bei der Nutzung des 27.000 Tonnen großen niederländischen Joint Support Ship „Karel Doormann“. Doch die ursprünglich geplante Teilnutzung des Schiffes durch das deutsche Seebataillon erweist sich in der Praxis als schwierig. Hinzu kommt, daß das Schiff aufgrund seiner Mischnutzung als Transport-, Tank- und Lazarettschiff nur eine relativ geringe Zahl zusätzlicher Soldaten und Material für amphibische Operationen an Bord nehmen kann.

Kein „Dickschiff“ für           die Infanteristen in Sicht

Pläne für deutsche Docklandungs- beziehungsweise Mehrzweckschiffe, die in der langfristigen Bundeswehrplanung vorgesehen sind, liegen seit Jahren in der Schublade. Der Ursprung der Überlegungen geht auf logistische Probleme beim Rückzug der Bundeswehr aus Somalia im Jahr 1994 zurück. In der Folge entstanden die Pläne für ein knapp 200 Meter langes und 19.000 Tonnen schweres Mehrzweckschiff, das unter anderem Platz für 700 Heeressoldaten samt Ausrüstung bieten und über ein großes Hubschrauberdeck verfügen sollte. Das unter dem Spitznamen „Arche Naumann“ (nach dem damaligen Generalinspekteur der Bundeswehr Klaus Naumann) bekannt gewordene Projekt scheiterte zwar an politischen Widerständen und am Konkurrenzdenken innerhalb der Bundeswehr, doch es verschwand nie ganz aus dem Blickfeld der Militärplaner. Ein Modell der „Arche Naumann“ hat sich erhalten und steht heute im Offizierskasino des Seebataillons in Eckernförde.

Doch bis das Seebataillon tatsächlich auf so ein „Dickschiff“ zurückgreifen kann, dürften noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vergehen. Bis dahin hat sich die Marineinfanterie bescheidenere Ziele gesetzt. Um die Fähigkeit zu verbessern, zumindest kleinere Einheiten auch an umkämpften Küstenabschnitten anzulanden, soll das Seebataillon bis 2021 mit zehn Kampfbooten ausgerüstet werden. In der engeren Wahl ist dabei das aus schwedischer Produktion stammende „Kampfboot 90“. Die schnellen und wendigen Einheiten können neben der dreiköpfigen Besatzung bis zu 21 voll ausgerüstete Soldaten mit an Bord nehmen und an der Küste absetzen. Für die Bundeswehr wäre dies ein zwar kleiner, aber dennoch wirkungsvoller Schritt auf dem Weg zur Wiedererlangung ihrer amphibischen Fähigkeiten.