© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/19 / 18. Januar 2019

Der Öko-Jetset ist beleidigt
Wie die Grünen ins neue Jahr stolpern: Ihre Themen sind für Durchschnittsbürger Luxusprobleme
Birgit Kelle

Laut Hermann Hesses Gedicht „Stufen“ wohnt jedem Anfang bekanntlich ein Zauber inne, der uns helfe, zu leben. Und während der Jahreswechsel für viele Menschen einen Anlaß für gute Vorsätze, gewagte Neuanfänge und geläuterte Besserung darstellt, stolpert die Partei der „Grün*Innen“ zum Start ins politische Jahr 2019 gerade die Stufen der Entzauberung bis in den Keller der harten Tatsachen hinunter. Zurück bleibt ein aufgescheuchter Haufen ehemaliger grüner Medien-Lieblinge, allen voran Parteichef Robert Habeck, der sich nun gar verschnupft-verstört aus Twitter und Facebook verabschiedete, weil man ihn dort einfach nicht mehr so liebhat, wie er meint, es verdient zu haben.

Wie undankbar ist doch dieser rechte, dieselfahrende, klimaleugnende, fleischfressende Pöbel auf Twitter, der sich weder vegan ernährt noch sein Geschlecht angemessen zu analysieren vermag, daß er die prophetische Weisheit grüner Kurznachrichten einfach nicht richtig zu deuten vermochte? Ganz im Duktus dauerbeleidigter Minderheitenvertreter gerieren sich die Grünen derzeit als spaßfreie und kritikunfähige Leberwürste, die die Schuld für das derzeitige Kommunikationsdesaster im digitalen Resonanzraum nicht etwa bei sich selbst als den Absendern der Botschaft suchen, sondern bei diesen blöden Empfängern.

Wenn der Robert also beispielsweise in Wahlkampfvideos twittert, daß man in Bayern oder in Thüringen endlich „Demokratie“ schaffen will, weil dies offenbar dort nicht existent ist, dann ist das natürlich nicht die überhebliche Arroganz abgehobener linker Eliten. Nein, statt dessen hat man ihn einfach falsch verstanden. Und wenn die Reaktionen auf das eigene Tun und Sprechen nicht die medial gewohnten Jubelchöre produzieren, sondern harsche Kritik, Spott und Hohn, dann ist das Medium schuld, Twitter plötzlich ein „Instrument der Spaltung“, das ja bekanntlich den Fake News und dem Hatespeech à la Donald Trump ein Podium gibt und deswegen logischerweise irgendwie undemokratisch sein muß. Vielleicht müßte man es gleich ganz verbieten? Verzweifelte nicht schon Erich Mielke einst am gleichen Undank des Proletariats, obwohl er doch alle Menschen liebte und ihnen nur Gutes wollte, auch jenen, die das nicht ganz begreifen wollten?

Manche Grünen-Kollegin hatte das schon früher verstanden: Simone Peter, eine der Vorgängerinnen Habecks, brüstet sich nun bei Twitter, sie habe „Tausende“ auf ihren „Blockierlisten“. Gut, wenn man beizeiten vorsorgt, sich nur noch in der eigenen Filterblase zu bewegen. Katharina Schulze muß das gerade erst mühsam lernen. Nachdem der Hype um die Gutelauneschleuder der bayrischen Grünen sich verflogen hat, zerschellte sie gleich an der ersten Herausforderung. Ein simples Urlaubsfoto aus den USA, in der Hand ein Eis im Wegwerfbecher mit Einweglöffel, avancierte dabei im Netz zum Sinnbild grüner Doppelmoral. Wer zur persönlichen Erbauung um den halben Erdball fliegt, während man dem Landsmann und auch der -Männ*In zu Hause die Fahrt mit dem Diesel zum nächsten Penny-Markt verbietet, muß sich eben die Frage nach dem persönlichen CO2-Fußabdruck stellen lassen.

Wer in Brüssel Wattestäbchen und Plastiktüten abschafft, aber im Ausland genüßlich am Plastiklöffel lutscht, wer wie Cem Özdemir im Poncho auf einem Gaul in 12.000 Kilometer Entfernung in den Anden posiert oder wer wie der ehemalige Grünen-Politiker Matthias Berninger jetzt beim Chemiekonzern Bayer als Lobbyist für Glyphosat sein Geld verdient, beweist vor allem eine Weisheit: Erst kommt das Fressen, dann die Moral.

Das war bei den Grünen zwar schon immer so, neu ist nur der harte Fall, der Liebesentzug des Publikums. Die Grünen hatten es geraume Zeit geschafft, in einer Quadratur des Kreises als Oppositionspartei die herrschende Meinung moralisch anzuführen. Das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ veröffentlichte gerade erst seine Hitliste der Talkshowgäste im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Die ersten beiden Plätze belegen die beiden Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock. Mit Relevanz oder Können ist das nicht zu begründen, mit ideologischen Seilschaften schon eher. Auch im Niedergang helfen deutsche Medien bis zur Peinlichkeitsgrenze bei der grünen Legendenbildung gerne mit. „Warum Robert Habeck rauswollte“, entblödet sich die einst große Frankfurter Allgemeine Zeitung am vergangenen Sonntag nicht, mit einem Gefälligkeitsinterview aufzumachen. Der Spiegel zeigte Habeck vergangene Woche unter der Zeile „Schutzlos“ gleich vorn auf dem Umschlag als Opfer von Hackern und Trollen des Internets, statt die berechtigte Frage zu stellen, warum Spitzenpolitiker ihre Daten offenkundig sorglos ins Netz werfen. Gefälligkeitsjournalismus zur Rettung der Grünen, der Welt, des Klimas, der Gerechtigkeit, des Universums und des ganzen Restes.

Abgerechnet wird am Schluß mit dem Wähler und nicht mit dem FAZ-Abonnenten. Und für diesen wird die Diskrepanz zwischen Realität und den Lieblingsthemen der Grünen um so klarer, je deutlicher sich nun die echten Probleme im Land zeigen. Klimaneutrale Einkaufstüten und Gendersternchen sind Luxusprobleme angesichts steigender Mieten und Strompreise sowie Gefahren für die innere Sicherheit. Für den Spaßfaktor in der Misere bleibt uns Klein-Robert ja immer noch im sozialen Netzwerk „Instagram“ erhalten. Dort geht es ja auch mehr um Optik, statt um Inhalt. Und vielleicht ist er dort auch wirklich am besten aufgehoben.






Birgit Kelle, Jahrgang 1975, ist Publizistin. Sie veröffentlichte die Bestseller „Dann mach doch die Bluse zu. Ein Aufschrei gegen den Gleichheitswahn“ (2013), „Gender-Gaga. Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will“ (2015) und „Muttertier. Eine Ansage“ (2017).