© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/19 / 18. Januar 2019

„Eine Achse zwischen Berlin und Rom aufbauen“
Interview mit Italiens Innenminister Matteo Salvini: Der Lega-Chef sieht seine Anti-Migrationspolitik bestätigt / Kritik an Macron
Luca Steinmann

Herr Innenminister Salvini, Amnesty International wirft der italienischen Regierung vor, eine repressive Politik gegenüber den Migranten zu betreiben, und das niederländische Verfassungsgericht verbietet die Zurückweisung der Migranten nach Italien, weil in Italien die Menschenrechte nicht respektiert sein sollen. Fühlen Sie sich schuldig?

Matteo Salvini: Mitnichten. Das neue italienische Sicherheitsgesetz gewährt echten Flüchtlingen mehr Rechte. Mit den alten italienischen Gesetzen war es oft unmöglich, zwischen legaler und illegaler Einwanderung zu differenzieren. Dies war sehr problematisch, da die große Mehrheit der Migranten, die Italien erreichte, aus Wirtschaftsflüchtlingen bestand, die aus keinem Kriegsgebiet geflohen waren. Ein großes Problem für ganz Europa, das wir nun gelöst haben. Wie Papst Benedikt XVI. einmal sagte, ist das Recht auf Aufenthalt in der eigenen Heimat wichtiger als das Recht auf Migration. Dies ist genau die Vorstellung der italienischen Regierung.

Sehen Sie sich in Ihrer Politik bestätigt?

Salvini: Die Todesfälle im Mittelmeer sind dadurch drastisch zurückgegangen. 2018 starben 23 Migranten im Mittelmeer, 2017 waren es 216. 2018 landeten 23.000 Migranten an den italienischen Küsten. 2017 waren es 117.000. Die Nachrichtendienste haben klar und deutlich dokumentiert, wie die massive Präsenz der NGO-Schiffe im Mittelmeer absichtlich oder unabsichtlich die Arbeit der Schleuser erleichtert hat und daß dieser Menschenhandel eng mit dem Drogen- und Waffenhandel verknüpft war. Heute ist der Beruf des Schmugglers risikoreicher geworden. Früher hat man bezahlt, als man am Ziel angekommen ist. Heute macht man eine Anzahlung, bevor man losfährt, und zahlt nochmal, wenn man ankommt.

Der Großteil der Migranten, die in Italien ankommen, reist sofort weiter nach Norden, in Richtung Schweiz, Frankreich, Österreich und dann Deutschland. Wie bewerten Sie die Politik der geschlossenen Grenzen, die von einigen EU-Staaten durchgeführt wird?

Salvini: Es ist legitim, die Grenzen zu schließen, wenn es dem demokratischen Willen des Volkes entspricht. Probleme an den Grenzen können durch die Zusammenarbeit zwischen Italien und seinen Nachbarn vermieden werden. Die Schweiz verteidigt zum Beispiel ihre Grenzen. Vor allem haben ihre Geheimdienste ausgezeichnete Beziehungen. Dies sollte Vorbild für andere Länder sein, die die illegale Migration ablehnen.

Wen meinen Sie damit genau? 

Salvini: Ich denke zum Beispiel an die französische Regierung. An der Grenze zwischen Italien und Frankreich sind zahlreiche Mißbräuche und Grenzübertritte der französischen Gendarmerie dokumentiert. Paris hat demnach  eindeutig internationale Verträge sowie die Rechte seiner Nachbarn verletzt.

Die Beziehungen zwischen ihrer Regierung und der von Emmanuel Macron sind schwierig. Wie bewerten Sie die Oppositionsbewegung der „Gelbwesten“?

Salvini: Ich weiß, daß es sich bei der „Gelbwesten“-Bewegung um eine spontane und selbstorganisierte Bewegung handelt, und als solche haben sie meine Sympathie. Wie bei allen spontanen Bewegungen besteht die Gefahr, daß sie von Gewalttätern infiltriert wird. Ich kann die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Gründe des Protests sehr gut verstehen und hoffe, daß Sie konkrete Ergebnisse erreichen können. Was sie bis heute schon gezeigt haben, ist, daß Macron nicht der Anführer eines neuen Europas ist, sondern ein Produkt eines Versuchslabors, das die Reform der EU blockieren soll.

Wollen Sie ein Protagonist dieser Reform sein?

Salvini: Auf jeden Fall. Ich kann aber nicht allein agieren. Da Frankreich so viele Probleme hat, kann die Renaissance  Europas nur durch eine Verstärkung des Dialogs zwischen Rom und Berlin beginnen. Ich will natürlich nicht eine Neuauflage der traurigen und erfolglosen Seiten der Vergangenheit heraufbeschwören. Da aber die Achse zwischen Berlin und Paris bis heute keine guten Ergebnisse für Europa gebracht hat, sollten wir über eine Verstärkung der Achse zwischen Rom und Berlin nachdenken. Ich jedenfalls bin überzeugt davon, daß zwischen Berlin und Rom eine wichtige Achse aufzubauen ist. Nur eine Kooperation zwischen den zwei stärksten Industriestaaten des Kontinents kann Europa neue Impulse geben. Man sollte letztendlich verstehen, daß Europa nicht von Populisten bedroht ist, sondern von denjenigen, die Europa schlecht verwalten.

Beinhaltet ihr Begriff einer europäischen Renaissance auch eine Verstärkung der Beziehungen zu Rußland?

Salvini: Ja, ich bin überzeugt davon, daß das Instrument der Sanktionen völlig nutzlos ist. Ich ziehe den Dialog vor. Ich werde mich persönlich dafür einsetzen, die Beziehungen zwischen der EU und Rußland zu verbessern. Die Sanktionen sind ein wirtschaftliches, kulturelles und soziales Problem. Europa ist eine Union von befreundeten Völkern vom Atlantik bis zum Ural, und Rußland ist historisch  gesehen ein Herzstück Europas.

Und die Vereinigten Staaten?

Salvini: Ich bewundere Donald Trump, weil er nach seiner Wahl genau das gemacht hat, was er im Wahlkampf versprochen hatte – Reformen im Bereich Einwanderung, Steuern und Wirtschaft.

Wie ist Ihre Einstellung zum Ex-Trump-Berater Steve Bannon, der mit seiner „Movement“-Bewegung zur Europawahl am 26. Mai Konservative, Rechte und EU-Skeptiker unter einem Dach vereinen will? 

Salvini: Mit Steve Bannon habe ich mich einmal im vergangenen Sommer getroffen. Ich finde seine Positionen anregend und teile viele seiner Positionen, andere hingegen nicht. Im allgemeinen denke ich, daß Europa so viele Unterschiede und Besonderheiten hat, daß es auf der anderen Seite des Atlantiks nicht immer verstanden wird. Ich höre Bannon also gerne zu, will aber, daß das Schicksal Europas in den Händen der Europäer und nicht von jemand anderem liegt.

Es ist noch nicht lange her, daß die Lega vehement gegen den Euro agierte. Haben Sie ihre Position verändert?

Salvini: In unserem Programm ist kein einziger Vorschlag, der besagt, aus der einheitlichen Währung (Euro) oder aus der Europäischen Union auszutreten. Die Geschichte dieser Jahre zeigt allerdings, daß der Euro keine notwendige Erfindung war, vielmehr eine Währung ohne Volk oder Wurzeln, wie es sie bisher noch nicht gab. Wir sind allerdings realistisch, deshalb wollen wir in Eu-ropa bleiben, aber es im Inneren verändern. Einen Brexit „a la italiana“ wird es nicht geben.

Der Antisemitismus wächst in ganz Eu-ropa. Wie sieht es in Italien aus?

Salvini: Israel ist eine der stärksten, modernsten und entwickelten Demokratien der Welt. Das Wachstum des Antisemitismus kommt mit dem islamischen Extremismus zusammen, man muß ihn also gut beobachten und auf ihn aufpassen. In einigen europäischen Städten kann man nicht die eigenen religiösen Symbole offen zeigen, weil man das eigene Leben aufgrund einiger religiöser Fanatiker riskiert. Der islamische Extremismus ist der größte Feind des Zusammenlebens in Italien sowie in Israel. 





Salvini in Warschau: Gemeinsame Fraktion nach EU-Wahl?

Trotz gewichtiger Unterschiede beider Parteien in der Haltung zu Rußland und zur Verteilung von Migranten in Europa ist Lega-Chef Matteo Salvini in Warschau mit dem Vorsitzenden der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski, zusammengekommen. Bei dem Treffen am Mittwoch der Vorwoche in der PiS-Zentrale unter Beteiligung weiterer führender Politiker der Partei hat Salvini offenbar Möglichkeiten eines Zusammengehens beider EU-skeptischer Parteien nach der Europawahl im Mai ausgelotet. Im Europaparlament ist die PiS Mitglied der EKR-Fraktion, die Lega hingegen zusammen mit der FPÖ und Marine Le Pens RN in der kleinsten Fraktion, der ENF. Sollten die Briten tatsächlich aus der EU austreten, verlöre die EKR mit den Torys ihr größtes Mitglied. Salvini war auf Einladung seines polnischen Amtskollegen, Innenminister Joachim Brudzinski, nach Warschau gereist. Er traf auch mit Ministerpräsident Mateusz Morawiecki zusammen. Salvini sagte, er wolle gemeinsam mit anderen gleichgelagerten Parteien ein „gemeinsames Projekt“ auf den Weg bringen. Nach der Besprechung mit Parteichef Kaczynski gab er an, ein anderthalbstündiges Treffen sei zu kurz, um eine Vereinbarung abzuschließen. Der PiS-Abgeordnete Jan Dziedziczak dementierte gegenüber der Rzeczpospolita, bei der Zusammenkunft sei es um eine neue gemeinsame Fraktion mit PiS und Lega gegangen. Kaczynski habe nach Informationen derselben Zeitung „sehr lange“ gezögert, sich mit dem Italiener zu treffen – wegen dessen engen Verbindungen nach Rußland. Die PiS-Vertreter hätten ihren Standpunkt zu Putin-Rußland, zu dessen Krieg gegen die Ukraine und zur Nato klar zum Ausdruck gebracht. (ru)