© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/19 / 18. Januar 2019

Das große Erwachen
Handelspolitik: China wird entzaubert / Industrieverband BDI warnt vor Staatswirtschaft und Technologieklau
Albrecht Rothacher

Als China 2001 der Welthandelsorganisation WTO beitrat, hieß es, das diktatorisch regierte Land werde – dank des Handels, wachsender Unternehmerzahlen und Mittelschichten – bald die Tugenden demokratischer Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung für eine freie Wirtschaft und die Segnungen der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit für den technischen Fortschritt entdecken und umsetzen. Doch die Hoffnungen haben sich zerschlagen: Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) klagt in einem 54-Punkte-Papier, daß die KP-Machthaber nicht nur in ihre Staatskonzerne und Banken im Sinne ihrer Industriepolitik hineinregieren, sondern auch in Privatbetriebe und die Gemeinschaftsunternehmen.

Zu letzterem werden Auslandsinvestoren gezwungen. So konnte der VW-Konzern nur deshalb voriges Jahr 4,2 Millionen Autos im Reich der Mitte verkaufen, weil es Joint-Ventures wie das 1984 gegründete Konstrukt SAIC-Volkswagen gibt, bei dem Chinesen dominieren. Ausländer werden willkürlich diskriminiert, die Märkte zur Not abgeschottet und Preise administrativ fixiert. Wenn durch Fehlplanungen Überkapazitäten entstehen (Stahl, Solarpanele), werden sie per Dumping rücksichtslos in die Weltmärkte gedrückt. Ähnliches droht nun bei Robotern und Batteriezellen. Die überdehnte Bauwirtschaft wird mit staatlich finanzierten Auslandsaufträgen (Hafenbauten im Indischen Ozean, Flughäfen und Präsidentenpaläste in Afrika und Seidenstraßenprojekten von Kirgisien bis Ungarn) ausgelastet.

War vor zwei Jahrzehnten die Industrieproduktion in Deutschland und China noch komplementär – die Chinesen fertigten billige Massenartikel, Textilien, Spielzeug, Turnschuhe oder  Plastikgüter (und trafen damit die Industrien Südeuropas), die Deutschen langlebige Marken- und Qualitätsprodukte – so ist die Konkurrenzsituation jetzt amtlich: Präsident Xi Jinpings 2015er Wirtschaftsprogramm „Made in China 2025“ verlangt die chinesische Weltmarktführerschaft binnen eines Jahrzehnts in zehn „Zukunftsindustrien“, darunter Robotik, IT, E-Autos, chemische Industrie und Maschinenbauindustrie sowie Luft- und Raumfahrt. Erzwungener Technologietransfer in Gemeinschaftsfirmen in China, systematische Industriespionage und der gezielte Ankauf von Technologieunternehmen besonders in Deutschland sollen das Auf- und Überholen ermöglichen.

Chinas Unternehmer werden auf KP-Befehl auf Linie gebracht. Huawei, Alibaba, Tencent und Baidu müssen gegen Apple, Google und Amazon antreten. Der 22,7 Milliarden Dollar schwere Immobilienentwickler Wang Jianlin („The Wanda Way“, JF 51/16) mußte seine ausländischen Luxushotels und US-Filmstudios verkaufen und stattdessen Pipelines, Autobahnen und Eisenbahnen in Zentralasien bauen. Alle Auslandsinvestitionen über 300 Millionen Dollar müssen von der Regierung genehmigt werden und strategischen Zielen dienen. Wer nicht spurt, riskiert seine Verhaftung wegen der üblichen Steuervergehen und Korruptionsvorwürfen.

Erst bei Beteiligungen von über zehn Prozent hellhörig?

Bei ausländischen Übernahmen ist das chinesische Management nicht zimperlich. Es hält europäische Mitarbeiter im Vergleich zu Chinesen für überbezahlt und faul. Sobald die eigenen Leute angelernt und die Daten und Blaupausen kopiert und verstanden sind, wird das eingekaufte Personal entbehrlich. Beim Augsburger Roboterhersteller Kuka ekelte der Neubesitzer Midea zuerst die deutsche Führung hinaus. Vor Weihnachten erfolgten 250 Kündigungen – dies trotz heiliger Versprechen, alle Arbeitsplätze bis 2023 zu erhalten.

Ein paar Nummern größer ist Daimler. Hier hat der Milliardär Li Shufu, der den drittgrößten chinesischen Autobauer Geely gründete, sowie 2010 Volvo dem US-Konzern Ford abkaufte, für 7,5 Milliarden Euro 9,7 Prozent der Aktien erworben (JF 11/18). Gerüchteweise soll der neunt­reichste Chinese (Forbes) Optionen auf weitere 15 Prozent besitzen, was ihm eine Sperrminorität in der Firmenpolitik ermöglichen würde. Tatsächlich besitzen die Bank of America 15,7 Prozent und Morgan Stanley 5,5 Prozent der Daimler-Aktien, also jene US-Banken, die Li Shufus Einstieg ermöglichten. Der überschuldete Mischkonzern HNA, ursprünglich die Fluglinie der Tropeninsel Hainan, hält 7,6 Prozent am einstigen Herz der „Deutschland AG“, der Deutschen Bank. Mutmaßlich wird hier der Staatsfonds CIC die HNA-Anteile übernehmen. Die chinesische KP hätte so einen direkten Durchgriff in das Herz und Hirn des rheinischen Kapitalismus.

Das Erwachen beim BDI kommt also reichlich spät. Doch selbst die wohldokumentierte Kritik und seine maßvollen Politikempfehlungen – etwa die Stärkung des Wirtschafts- und Technologiestandortes Deutschland und effektivere EU-Forschungsprogramme – wurden vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und vom Außenhandelsverband BGA aus Furcht vor Pekinger Stirnrunzeln sofort als Abschottungsversuch kritisiert. Tatsächlich greifen die neuen deutschen und – unverbindlichen – EU-Prüfrichtlinien bei Auslandsinvestitionen aus Nicht-EU-Staaten nur in „kritischen Infrastrukturen“ (Wasser- und Stromversorger, IT) erst bei Beteiligungen über zehn Prozent.

Das läßt Daimler und die Deutsche Bank außen vor. Die USA gehen im technologischen Abwehrkampf gegen China deutlich robuster vor. Schon der Verkauf des Halbleiterherstellers Qualcomm an einen Investor aus Singapur wurde wegen dessen chinesischen Verbindungen verboten. Gleichfalls dürfen Produkte der Telekom- und Elektronikkonzerne Huawei und ZTE wegen des Spionagerisikos in den Netzwerken der fünften Mobilfunkgeneration (5G) und bei öffentlichen Aufträgen in den USA ebenso wie in Australien, Großbritannien und Japan nicht mehr verwendet werden.

BDI-Papier „China – Partner und systemischer Wettbewerber. Wie gehen wir mit Chinas staatlich gelenkter Volkswirtschaft um?“:

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