© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/19 / 18. Januar 2019

CD-Kritik: Beethoven, Alexandre Tharaud
Verlassene Räume
Jens Knorr

Geht ein Mann durch ein offensichtlich verlassenes, stark renovierungsbedürftiges Schloß, stößt auf einen mit Laken verhangenen Steinway und spielt daran, nachdem die schützende Hülle entfernt wurde, Beethoven. Der kunstgewerbliche Film von Mariano Nante führt den Hörer von Beethovens letzten Klaviersonaten op. 109, 110 und 111 weg und zu ihrem Interpreten, dem französischen Pianisten Alexandre Tharaud, hin.

Beethovens letzte Sonaten erkunden nicht heruntergewohnte menschliche Seelentiefen, wie es die Hausfrauen-Psychologie des Films dem Beschauer einbilden will, sondern die musikalische Formensprache der Sonate selbst, von Beethoven konstruiert und dekonstruiert in ein und demselben Kompositionsprozeß. Aber eben das macht sie anfällig für individualistische, romantisierende Interpretationen.

Tharaud läßt sich wenig Zeit, Gedanken aufzugreifen, auszuentwickeln, fallenzulassen, erneut aufzugreifen, er erprobt sie nicht, sondern nimmt sie als vorgefertigte. Er läßt das Klavier singen, wo die Musik in Sprachlosigkeit versinken möchte, und wo sie aus der Reihe tritt, da tritt er das Pedal.

Der Existentialist trägt Schwarz, der Steinway auch. Ihr Beethoven kann ganz hübsch grooven, nur schmerzen kann er nicht. Alexandre Tharaud richtet sich in den Räumen ein, die Beethoven hinter sich gelassen hat.

Beethoven Klaviersonaten op. 109, 110, 111  CD+DVD Erator, 2018  www.alexandretharaud.com