© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/19 / 18. Januar 2019

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Twitter-Fundstück der Woche: „Wer behauptet, daß er auf die Fresse kriegt, wenn er eine abweichende Meinung äußert, kriegt von denen auf die Fresse, die behaupten, daß man nicht auf die Fresse kriegt, wenn man eine abweichende Meinung äußert.“ (Tweet zur Debatte um ein Interview des ehemaligen Handball-Nationalspielers Stefan Kretzschmar auf t-online.de zur hierzulande eingeschränkten Meinungsfreiheit)


Ästhetische Beleidigung: Immer mehr vor allem junge Männer tragen als Alltagskleidung im öffentlichen Raum Jogginghose. Woher in drei Teufels Namen kommt diese Unsitte? Was mag da wohl schiefgelaufen sein? Gibt es in deren Umfeld niemanden, der sie darauf hinweist, daß solche Hosen in die eigenen vier Wände gehören oder bestenfalls zum Sport getragen werden sollten? Mir fällt dazu nur ein Verdikt Karl Lagerfelds ein: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“


Jahreswechsellektüre: „Marlow“ von Volker Kutscher. In dem siebten Roman um den Berliner Kriminalermittler Gereon Rath geht es um einen mysteriösen Autounfall, bei dem zwei Menschen sterben, um Geheimakten des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS sowie eine Erpressungsgeschichte rund um den morphiumsüchtigen Hermann Göring. Das Buch strotzt nur wieder so vor Zeitkolorit der NS-Epoche. Eindringlich schildert Kutscher Szenen zum Beispiel vom Reichsparteitag im September 1935 in Nürnberg und wie selbst dem Nationalsozialismus fernstehende Menschen – Oberkommissar Rath gehört nicht der „Bewegung“ an – in den Sog der Massen gezogen wurden. „Die Heil-Rufe schwollen an (…) und Rath spürte, daß er, wie von einer unsichtbaren Macht getrieben und ohne dies bewußt zu wollen, dabei war, mit den anderen den rechten Arm zu heben, weil hier niemand war, der nicht den Arm hob, weil alle es taten; und er merkte, daß er nicht dagegen ankam. (…) Und dann hörte er, wie das Wort ‘Heil’ aus seinem Mund kam. Einmal, zweimal, dreimal. (…) Er verstand die Welt nicht mehr. Und hatte sich noch nie in seinem Leben so sehr gehaßt.“ – Es kann einfach nicht oft genug wiederholt werden: Allen Liebhabern zeithistorischer Kriminalromane sei die Buchreihe von Volker Kutscher (hier mehr dazu: www.gereonrath.de) wärmstens ans Herz gelegt.


Jede Empathie für andere stößt irgendwann unweigerlich an die Grenzen des eigenen Ichs.