© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/19 / 25. Januar 2019

„Das ist ein Irrtum, der aufgeklärt werden muß“
Die Autorin und Flüchtlingshelferin Katja Schneidt wurde auch durch ihre Kritik an der deutschen Flüchtlingspolitik bekannt. Mit „Wir schaffen es nicht“ hat sie ihren zweiten Bestseller gelandet
Moritz Schwarz

Frau Schneidt, wieso behindern ausgerechnet viele Flüchtlingshelfer die Integration?

Katja Schneidt: Das sage ich aus langjähriger, persönlicher Erfahrung, die ich in der Flüchtlingshilfe gesammelt habe. 

Was ist das Problem? 

Schneidt: Etwa, daß Flüchtlingshelfer vor allem Rentner sind. Was nicht überrascht, denn die meisten der jungen Leute, die zum Beispiel 2015 dazugestoßen sind, haben rasch realisiert wie zeitintensiv und langwierig Flüchtlingshilfe ist – schließlich dauern Asylverfahren oft Jahre. Wer berufstätig ist, Familie hat, kann sich effektive Mitarbeit in der Flüchtlingshilfe zeitlich kaum leisten.

Sie aber können das?

Schneidt: Ich bin Freiberuflerin und belastungsfähig. Aber natürlich zehrt es auch an mir. Zum Glück verdiene ich gerade genug, um mir mein ehrenamtliches Engagement, etwa 15 Stunden die Woche, erlauben zu können. Wobei ich oft in zusätzlichen Nachtschichten meine eigentliche schriftstellerische Arbeit erledigen muß und ich häufig nicht so viel schreiben kann wie ich eigentlich müßte. Aber mir ist mein Einsatz für andere Menschen wichtig.  

Was hat es nun mit dem „Problem“ der vielen Rentner in der Flüchtlingshilfe auf sich? 

Schneidt: Ich fokussiere deshalb auf die Rentner, weil diese – da sie es sind, die die nötige Zeit haben – eben die meisten Helfer stellen. Was aber ist ihre Motivation? Die meisten tun es, weil ihnen langweilig ist oder sie Anerkennung suchen.

Also nicht aus ethischen Gründen, wie bei Asylhelfern eigentlich angenommen wird?

Schneidt: Bei sehr vielen hat das nichts mit nobler Gesinnung zu tun. Mitunter steckt gar regelrechter Egoismus dahinter. 

Zum Beispiel? 

Schneidt: Etwa der Fall eines „Helfers“, der täglich stundenlang bei den Flüchtlingen sitzt – um sich dort unterhalten und verköstigen zu lassen. Bevor Sie fragen: Nein, er kauft nicht auch mal ein. Er läßt die Flüchtlinge bezahlen. Er hält sie sogar davon ab, den Deutschkurs zu besuchen, weil er Gesellschaft möchte. 

Wie hoch schätzen Sie den Anteil der Helfer, die sich nicht aus Idealismus engagieren, insgesamt, also unabhängig vom Alter?

Schneidt: Etwa achtzig Prozent.

Achtzig Prozent! 

Schneidt: Die große Mehrheit sucht etwas: Unterhaltung, sozialen Kontakt, Streicheleinheiten für das Ego, oder sie wollen einfach zu den „Guten“ gehören. 

Das mag in der hessischen Kleinstadt so sein, in der Sie tätig sind, aber ist es zulässig, das zu verallgemeinern?

Schneidt: Eine berechtigte Frage, aber Sie haben mich nach meiner Einschätzung gefragt, und die gebe ich Ihnen aufgrund meiner reichlichen Erfahrung. Und ich engagiere mich nicht erst seit 2015 in der Flüchtlingshilfe, sondern seit fast 27 Jahren! Dazu kommt, daß ich gut vernetzt bin und mich deutschlandweit austausche. Ich weiß also darüber Bescheid, was auch anderswo die typischen Probleme sind. 

Aber kommt es denn auf die Motive an? Ist nicht entscheidend, daß diese Leute eine wichtige Arbeit machen? 

Schneidt: Das ist der große Irrtum, der endlich aufgeklärt werden muß. Da nämlich sogar das Gegenteil der Fall ist! Ich frage: Was muß Ziel echter Hilfe sein? 

Den Menschen zu helfen? 

Schneidt: Den Menschen zu helfen – aus ihrer Lage herauszukommen! Vergegenwärtigen Sie sich, was es bedeutet, jahrelang im Flüchtlingsheim zu leben: Dreißig Quadratmeter für eine Familie. Oder mit fremden Menschen in einem Zimmer, ohne Privatsphäre. Gemeinschaftsküche, -klo, -bad und eine Waschmaschine für fünfzig Mann. Ich hatte einen Fall, in dem das Asylverfahren 15 Jahre gedauert hat – 15 Jahre in einer Asylunterkunft! Die Tochter der Familie war zu Beginn zwei Jahre alt, 17 als der Entscheid kam – die ganze Kindheit und die halbe Jugend hat sie im Asylheim gelebt. 

Das ist aber nicht die Schuld der Helfer. 

Schneidt: Stimmt, die Asylverfahren dauern einfach viel zu lang. Richtig wären maximal drei Monate mit einer dann unumstößlichen Entscheidung. Nein, das Problem mit den Helfern ist, daß viele, gerade unter den Rentnern, gar nicht die Ambition haben, den Leuten aus ihrer Lage zu helfen. Statt dessen sind sie „zufrieden“ damit, wie diese bleibt, wie sie ist und sie die Flüchtlinge weiter betreuen können. Das geht so weit, daß die Rentner die Flüchtlinge geradezu dazu drängen, etwa einen Widerspruch gegen einen ablehnenden Asylbescheid einzulegen. Sie machen sich dabei meist gar keine Gedanken darüber, was es für die Asylbewerber bedeutet, jahrelang weiter so zu leben. Sowenig wie darüber, was eigentlich dafür nötig ist, in dieser Zeit das zu erlernen, was die Asylbewerber brauchen, damit sie später, bei Bewilligung ihres Gesuchs, einmal eigenständig leben und sich integrieren können.

Zum Beispiel? 

Schneidt: Zum Beispiel Deutschunterricht: Es ist doch klar, Deutsch zu können ist zwingende Voraussetzung dafür, und ich habe selbst Sprachunterricht gegeben. Damals wurde den Asylbewerbern auferlegt, wenigstens einmal pro Woche den Kurs zu besuchen, der extra in ihrer Unterkunft stattfand. Alles was verlangt wurde war also, alle sieben Tage zwei Treppen hochzusteigen und von 18 Uhr bis 19.30 Uhr aufmerksam zu sein. Doch für neunzig Prozent war das zuviel verlangt. Sie brachten es nicht fertig, pünktlich zu erscheinen, wenn sie überhaupt kamen. Der Großteil trudelte zwischen 18.45 und 19 Uhr ein. Obendrein störte das den Unterricht für die wenigen, die pünktlich waren und lernen wollten. Also erklärte ich, wer mehr als 15 Minuten zu spät komme, dürfe nicht mehr teilnehmen. Was glauben Sie, was ich daraufhin zu hören bekommen habe – von den anderen Helfern! Bis hin zu dem naiven Argument, ich solle doch froh sein, wenn die Flüchtlinge überhaupt kämen. Denn selbst eine Viertelstunde Unterricht wäre besser als gar keiner. An die Konsequenzen solcher „Toleranz“ dachten sie nicht: Nicht nur, daß die Flüchtlinge so garantiert kein Deutsch lernten. Was sie statt dessen lernten war, daß sie machen können, was sie wollen. Daß es egal ist, ob sie sich an die Regeln halten. Daß es keine Konsequenzen hat, wenn sie sich gehenlassen und keinerlei Anstrengungen unternehmen, sich auf ihr neues Leben vorzubereiten. Wie aber soll man so lernen, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und sich in unsere Gesellschaft zu integrieren?

Machen sich die Helfer Gedanken darüber, was dies – beziehungsweise überhaupt die ganze Einwanderungswelle – langfristig für unsere Gesellschaft bedeutet?

Schneidt: Nein, die meisten fragen sich ebenso nicht, was das für den Wohnungs- und Arbeitsmarkt bedeutet, für die Situation auf unseren Straßen, Parks und Plätzen, für unser Sozialsystem oder für karitative Einrichtungen, wie Tafeln für Bedürftige. Sie machen sich auch keine Gedanken darüber, daß jeder anerkannte Flüchtling einen Anspruch auf Wohnraum hat – das gleiche aber für Deutsche nicht gilt. Und schließlich auch darüber nicht, daß unsere Willkommenskultur immer mehr Menschen anlockt. Die zu Hause vielleicht gar kein so schlechtes Leben haben, aber glauben, hier erwarte man sie mit offenen Armen. Hier würde man ohne oder mit wenig Arbeit schnell reich, ja bekäme sogar ein Haus und ein Auto geschenkt. Und die sich deshalb erst auf eine lebensgefährliche Reise machen, vielleicht unter Zurücklassung ihrer Familie und die damit das kriminelle Schleuserwesen anheizen. Und die dann hier, natürlich zu Recht frustriert, jahrelang in Heimen vegetieren, während sie auf ihren Entscheid warten. Und dabei mitunter auch noch auf die schiefe Bahn geraten.

Dann ist das angebliche Klischee vom einfältigen „Gutmenschen“ gar nicht falsch?

Schneidt: Ja, das kann man so sagen. Nicht in allen, aber sehr vielen Fällen.

Haben Sie eine Lösung? 

Schneidt: Zuallererst braucht es bei der Politik die Einsicht, daß Flüchtlingshilfe nicht in private Hände – vor allem nicht in die von Ehrenamtlichen – gehört. Und zwar selbst dann nicht, wenn diese die allerbesten Absichten haben. Denn auch dann haben die meisten nicht die nötige Kompetenz, Fähigkeit und Erfahrung. Denn auch den Ehrenwertesten unter den Flüchtlingshelfern ist meist gar nicht klar, daß es eine der wichtigsten Aufgaben ist, sich Respekt zu verschaffen und Autorität aufzubauen. Gegenseitiger Respekt ist die Grundlage für ein gutes Miteinander! Ebenfalls nicht klar ist ihnen, daß es falsch – und gerade für die Flüchtlinge schädlich – ist, einfach nur nett zu sein. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Eine Flüchtlingsfamilie brauchte in sechs Wochen drei neue Wasserkocher. Es stellte sich heraus, daß sie darin nicht nur Wasser kochten, sondern Nudeln und Reis. Aber weil das schön einfach war und der Rentner, der sie betreute, stets Ersatz besorgte, ging das so lange, bis ich ihnen sagte, daß dies das letzte Gerät sei, das sie bekommen. Und wenn sie auch das durch falschen Gebrauch kaputtmachen, sie das nächste selbst bezahlen. Dabei ging es nicht nur um das Gerät, es ging auch darum, daß die Familie Verantwortung erlernt. 

Wissen Kommunen, Land, Bund, sprich die Politik, um das Problem?

Schneidt: Die wollen doch lieber gar nichts davon wissen. Denn zum einen soll alles, was in Zusammenhang mit Flüchtlingen problematisch ist, nicht thematisiert werden – weil das „den Rechten in die Hände spielt“. Zum anderen würde dann offenbar, was „Wir schaffen das!“ tatsächlich bedeutet.

Nämlich? 

Schneidt: Daß dies – vorausgesetzt, es wäre überhaupt möglich – ohne Professionalisierung nicht geht. Die aber würde so viel Geld kosten, daß es den politischen Rahmen sprengen würde, sprich wieder „den Rechten nutzt“. Also werden die Augen vor den Problemen verschlossen, weitergewurstelt und versucht, alles auszusitzen. Die Folgen aber werden so um so schlimmer sein – doch die tragen nicht die Politiker, sondern die Gesellschaft und die Flüchtlinge. 

Also sind sowohl Merkels „Grenzöffnung“ wie die „Willkommenskultur“ unethisch? 

Schneidt: Ja, das würde ich sagen. Beides schützt vor, man würde Verantwortung übernehmen. Tatsächlich aber ist genau das Gegenteil der Fall. 

Und deshalb heißt Ihr Bestseller „Wir schaffen es nicht“?

Schneidt: Eben. Und zwar nicht, weil man trotz besten Bemühens scheitert, sondern weil die Politik in Wirklichkeit den Versuch, „es zu schaffen“, nie unternommen hat! Von Beginn an gab es nicht das Bemühen, das offensichtlich Nötige zu tun. Getan wurde statt dessen nur das, was aussah wie ein Bemühen, tatsächlich aber nur darauf zielte, die Probleme zu verschleiern, damit die Stimmung in der Bevölkerung nicht kippt. Daß das aber, wie gesagt, die Probleme am Ende nur noch schlimmer macht, war der Politik offenbar egal.

Sie sagen jedoch, selbst wenn diese es ehrlich versucht hätte, sei es nicht möglich. Warum?

Schneidt: Zum einen, weil es unsere Möglichkeiten übersteigt. Die Politik hat es so schon versäumt, etwa preiswerte Wohnungen zu bauen, die Infrastruktur zu modernisieren, unser Gesundheits- und Sozialsystem zukunftsfähig zu machen etc. Wie soll da auf Dauer dieser Zuwachs integriert werden? Zumal die tatsächlichen Kosten dafür, wie dargestellt, exorbitant sind. Woher soll das Geld kommen? Und kommt es nicht, sind die nötigen Mittel zur Integration nicht vorhanden. Zum anderen, weil wir es auch dann nicht schaffen würden, wenn wir alles Geld der Welt hätten. 

Warum nicht? 

Schneidt: Weil viel zu viele der Flüchtlinge gar kein Interesse haben, sich zu integrieren. Und da hilft auch nicht das beste Angebot an sie. Jene, die wirklich willens dazu sind, integrieren sich, auch ohne daß wir ihnen den roten Teppich ausrollen. Und jene, die es nicht sind, fühlen sich auch nicht dazu veranlaßt, wenn wir es ihnen so bequem wie möglich machen – im Gegenteil.  

Wissen die Verantwortlichen das?

Schneidt: Ich glaube, ja. Und zwar, weil ich zu oft in TV-Talk-Sendungen eingeladen war. Danach sitzen die Diskutanten immer noch zusammen. Ich habe beim erstenmal gedacht, ich falle vom Stuhl, als ich erleben mußte, was Prominente sagen, wenn die Kamera aus ist. Dann kommen sie mit ihrer wahren Meinung heraus! Das glauben Sie nicht: Leute, die eben noch Multikulti und „Wir schaffen das“ gelobt und Probleme bestritten haben, erzählen plötzlich das Gegenteil! Man kann das gar nicht fassen. Diese Leute wissen Bescheid – aber sie wagen nicht, es zuzugeben. Wohl aus Angst, wenn sie das „Falsche“ sagen, ihrer Karriere zu schaden. Daß das Land, die Bürger und die Flüchtlinge am Ende den Preis dafür bezahlen werden müssen, das kümmert sie offenbar nicht. 






Katja Schneidt, wurde 2011 mit ihrem autobiographischen Bestseller „Gefangen in Deutschland. Wie mich mein türkischer Freund in eine islamische Parallelwelt entführte“ sowie durch zahlreiche TV-Auftritte bekannt. Außer Sachbüchern schreibt sie auch Romane, etwa die gesellschaftskritische Anti-Utopie „Kopftuchland“ (2016). Mit „Wir schaffen es nicht. Eine Flüchtlingshelferin erklärt, warum die Flüchtlingskrise Deutschland überfordert“ gelang ihr 2017 erneut der Sprung in die Spiegel-Bestsellerliste. Ende 2018 erschien ihr jüngstes Buch „Das Dorf in der Stadt. Parallelgesellschaft statt Integration? Unzensierte Einblicke in eine Welt mit eigenen Regeln“. Für 2019 ist ein gemeinsames Buchprojekt mit der ehemaligen AfD-Vorsitzenden Frauke Petry angekündigt. Geboren wurde Katja Schneidt 1970 in Hanau.

Foto: Publizistin Schneidt, Merkel-Selfie: „Die Politiker wollen vom wahren Ausmaß der Probleme gar nichts wissen, da das angeblich nur ‘den Rechten hilft‘ und weil dann offenbar werden würde, daß alles so viel Geld kostet, daß es jeden Rahmen sprengt. ‘Wir schaffen das‘? Die Wahrheit ist, die Politik hat es nie auch nur versucht! Die Folgen tragen Bürger und Flüchtlinge“

 

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