© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/19 / 25. Januar 2019

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Wir werden immer größer
Paul Rosen

Bauen ist eine Kunst, und viele Architekten sind Künstler, die es mit Zeit- und Kostenplänen nicht so genau nehmen. Dieses alte Klagelied privater Bauherren gilt um so mehr für den Bund. Das fing in Bonn an, wo vor der Wende ein gigantisches Bürogebäude für die Abgeordneten entstehen sollte, denen es in dem nach dem früheren Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier benannten Hochhaus „Langer Eugen“ zu klein geworden war. Doch der Schürmann-Bau hielt schon kurz nach Baubeginn dem Rhein-Hochwasser nicht stand. Als er schließlich fertig wurde, war der Bundestag längst umgezogen. Nicht zu vergessen der neue Bonner Plenarsaal: Hier waren Innenausstattung und Technik so mißraten, daß der Bundestag schnell wieder ins „Alte Wasserwerk“ aus Kaisers Zeiten zurück wechselte, bis das Parlament in den umgebauten Reichstag in Berlin umzog. 

Der Sitz der deutschen Abgeordneten grenzt an das „Band des Bundes“ an, das im Westen hinter der Spree mit Garten und Hubschrauberlandeplatz des Kanzleramtes beginnt. Eine kleine Brücke führt über den Fluß zum Kanzleramt. Als nächstes Gebäude schließt sich das Paul-Löbe-Haus an, wo die Bundestagsausschüsse tagen. Weiter geht es wieder über die Spree zum Marie-Elisabeth-Lüders-Haus mit dem großen Anhörungssaal, der riesigen Bibliothek und der nächsten Baupanne. Die Büros im letzten Bauabschnitt (mit einem kleinen Turm) können nicht bezogen werden, weil Wasser durch die Fundamente kommt (JF 36/18). Wann die Schäden beseitigt werden, weiß man nicht. Von 2020 ist die Rede. 

Mut ist dem Bauherren Bund nicht abzusprechen. Auch wenn ständig Wasser durch die Decken des Jakob-Kaiser-Hauses tropft (bisher keine Reparatur) und mit dem Besucherzentrum am Reichstag ein wegen seiner komplizierten Tunnelbauten garantiert pannenanfälliges Objekt angegangen werden soll, ist jetzt noch ein Erweiterungsbau für das Kanzleramt geplant. 

Beauftragt worden sind die Architekten Axel Schultes und Charlotte Frank. Sie zeichnen schon für das heutige Kanzleramt verantwortlich, für das die „Berliner Schnauze“ den Begriff Bundeswaschmaschine prägte und für das im Vergleich mit anderen Großbauten wie dem wiedererrichteten Berliner Schloß die Bezeichnung „nicht besonders schön“ eine verniedlichende Umschreibung ist. Für rund 460 Millionen Euro wollen Schultes und Frank im Kanzlergarten ein ähnlich aussehendes Gebäude errichten. Schließlich ist die Zahl der Beschäftigten im Kanzleramt seit dem Umzug von 410 auf 750 gewachsen. Eine Kindertagesstätte soll auch dazugehören. 

Auf eine Ausschreibung, mit der das in ähnlichem Stil geplante Gebäude vielleicht preiswerter hätte errichtet werden können, wurde wegen der „Urheberrechte“ des Architekten-Duos am Kanzleramt verzichtet. Vielleicht wäre es mit etwas mehr Wettbeweb schneller gegangen. So soll 2023 mit dem Bau begonnen werden. 2028 sollen die ersten Beamten einziehen. Auf die Idee, den stark aufgeblähten Staatsapparat wieder zu verkleinern und mit den bestehenden Gebäuden auszukommen, kam übrigens niemand.