© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/19 / 25. Januar 2019

Bis zum Fundament der Dinge gelangen
Abstrakt-geometrische Kunst: Das Museum Wiesbaden zeigt Werke des niederländischen Malers Piet Mondrian
Claus-M. Wolfschlag

Piet Mondrian gilt als einer der Väter der abstrakten Malerei. Das Museum Wiesbaden zeigt seine Entwicklung vom anfänglich naturalistischen Landschaftsmaler bis zum Vertreter der absoluten Gegenstandslosigkeit in einer großangelegten Retrospektive mit 49 Gemälden und elf Grafiken.

Geboren wurde Mondrian 1872 im niederländischen Amersfoort in der Provinz Utrecht. Bereits mit 14 Jahren beschloß er, Künstler zu werden und studierte dann ab 1892 an der Rijksacademie in Amsterdam. Mondrians Frühwerk ist unspektakulär. Es ist geprägt von durchschnittlichen Landschaftsmalereien, die häufig an dem Flüßchen Het Gein entstanden. Einzelne Bilder ragen etwas heraus, so die von landschaftlicher Weite geprägte, um 1906 entstandene „Abendlandschaft mit Kühen“. Häufig taucht auch die Oostzijder Mühle als Motiv auf, das in sehr unterschiedlicher Farbgebung verarbeitet wurde. Die Mühle galt dem von theosophischen und anthroposophischen Ideen beeinflußten Mondrian, laut Ausstellung, als Symbol der Einheit von Himmel, Erde, Natur, Mensch und Gott.

In einer kurzen expressionistisch-symbolistischen Phase um 1908 kommt es zum Ausbruch aus der Enge der betulichen Landschaftsmalerei. Der Einfluß seines Landsmanns Vincent van Gogh ist erkennbar. Plötzlich lösen sich die festen Strukturen in ein mystisches Flimmern von farbigen Linien und Punkten auf. Das Bild „Andacht“ zeigt ein Mädchen mit leuchtend rotem Haar, eine Blume betrachtend. Doch diese pastellene Blume schwebt eher über dem Kopf des Kindes und fungiert dadurch als geistig-spirituelles Natursymbol. 

Trotz Mondrians Abstrahierung blitzen auch später noch immer wieder Rückgriffe auf seine vorangegangenen Schaffensperioden auf. Beispielsweise schuf der Maler mit seinem Bauernhof bei Duivendrecht von 1916 noch einmal ein naturalistisch-expressionistisches Werk, obwohl er längst den Weg in die Abstraktion beschritten hatte. 

Dieser Weg unter dem Einfluß des Kubismus wurde von Mondrian als bewußte Annäherung an die Grundsubstanz der Natur verstanden. Um eine Harmonie zu erzielen, sollte sich die Kunst „nicht nach der äußeren Erscheinung der Natur, sondern nach deren Wesen richten“. Er äußerte dazu 1914: „Ich konstruiere auf einer Fläche Linien und Farbkombinationen mit dem Ziel, die allgemeine Schönheit möglichst bewußt darzustellen. Die Natur (beziehungsweise das, was ich sehe) inspiriert mich; ich möchte jedoch der Wahrheit möglichst nahe kommen und deshalb alles abstrahieren, bis ich zum Fundament (…) der Dinge gelange.“ Diese „Wahrheit“ lag für Mondrian darin, die Malerei zunehmend auf Primärfarben und geometrische Formen in Rastern zu reduzieren. 

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges lebte Mondrian wieder in Paris. Im nationalsozialistischen Deutschland als „entarteter“ Künstler gebrandmarkt, siedelte er 1938 nach London und dann nach New York über, wo er am 1. Februar 1944 an den Folgen einer Lungenentzündung verstarb.

Letztlich hat Piet Mondrian nur so etwas getan wie Zoomen. Zoomt man an die Naturformen ganz nah heran, bleiben irgendwann nur noch Strukturen, Muster übrig, also Zellgebilde oder gar Moleküle. Teils ähnlich ist es, wenn man seinen Blick sehr weit entfernt. Letztlich führt eine solch radikale Entfernung von der üblichen menschlichen Wahrnehmungsebene aber auch dazu, daß sich die Aussage von Mondrians abstrakten Bildern für den Betrachter rasch verbraucht hat. Der Endpunkt des Zooms ist erreicht. Schnell verfliegt danach das Interesse.

Somit blieb von Mondrian vor allem nur Dekor. Man findet eines seiner ersten neoplastischen Werke, die „Komposition mit großer roter Fläche, Gelb, Schwarz, Grau und Blau“ von 1921, heute auf Kopfkissen, Handtaschen, Haar-Gels, Vasen, Uhren oder Schiebegardinen. Mondrian ist somit so etwas wie der Carl Spitzweg für Bauhaus-Romantiker geworden.

Die Ausstellung „Piet Mondrian. Natur und Konstruktion“ ist noch bis zum 17. Februar im Museum Wiesbaden, Friedrich-Ebert-Allee 2, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Di./Do. bis 20 Uhr, zu sehen. Telefon: 06 11 / 335 22 50

Der Katalog (Wienand-Verlag) mit 208 Seiten kostet im Museum 32 Euro.

 https://museum-wiesbaden.de