© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/19 / 01. Februar 2019

„Natürlich ist das möglich!“
Immer mehr Bürger boykottieren den Rundfunkbeitrag. Olaf Kretschmann gilt unter ihnen als eine der Ikonen ihres Widerstands, denn der Berliner Unternehmer ist etwas Besonderes: ein Verweigerer aus Gewissensgründen
Moritz Schwarz

Herr Kretschmann, Sie fordern auf zum „Rundfunkbeitragswiderstand“. Warum?

Olaf Kretschmann: Weil ich da einen Gewissenskonflikt habe. 

Das meinen Sie nicht ernst? 

Kretschmann: Doch, natürlich. 

Das ist nur Ihre Masche, um sich gegen das Zwangsgebührensystem zu wehren?

Kretschmann: Nein, es ist so! 

Der Rundfunkbeitrag mag ungerecht, unangemessen oder unrechtmäßig sein – aber wie kann er Gewissensnot erzeugen?

Kretschmann: Das hätte ich mir früher auch nicht vorstellen können, als ich ihn noch bezahlt habe, denn damals habe ich das Rundfunksystem und seine politische Verfilzung nicht genug hinterfragt. Ich habe auch nicht darauf geachtet, in welcher Art und Weise etwa Tagesschau oder Heute-Journal Nachrichten aufbereiten. Heute dagegen ist mir bewußt, daß es da nicht um Information, sondern um Deutungshoheit geht.

Deutungshoheit? 

Kretschmann: Ja, zum Beispiel wird über einen Kämpfer berichtet. Die Art der Aufbereitung erzeugt jedoch eine Deutung: Je nachdem erscheint dieser Kämpfer als „Terrorist“ oder „Befreier“. Unsere Nachrichten-Medien, auch die öffentlich-rechtlichen, berichten uns also nicht neutrale Fakten, sondern erzählen uns immer dazu eine „Geschichte“. Sie tun das unterschwellig, durch Aufmachung, Bilder, Sprache etc. Anders als sie behaupten, zeigen sie uns die Welt nicht unabhängig und objektiv, sondern präsentieren ihre Interpretation, die sie als „die“ Welt ausgeben – was die meisten Leute ohne nachzudenken übernehmen.

Sie sind aus der Kommunikationsbranche. Wie konnte Ihnen das jahrelang entgehen? 

Kretschmann: Ich bin auch nur ein Mensch, und manchmal benötigt es einfach Selbsterkenntnis. Obwohl ich täglich damit zu tun habe und all die Theorien, Methoden, Grundlagenwerke zum Thema kenne – etwa Edward Bernays’ Klassiker „Propaganda“, ein Buch das genau beschreibt, wie man die öffentliche Meinung unbemerkt manipuliert –, bin ich lange einfach nicht auf die Idee gekommen, dieses Wissen auch auf unsere Medien anzuwenden. 

Was war es, was Sie dann entdeckt haben?    

Kretschmann: Hat man die Muster erkannt, merkt man, daß sie sich stets wiederholen. Da tauchte etwa in bezug auf Rußland der Begriff „hybride Kriegsführung“ auf. Früher war ich nicht reif genug, zu erkennen, daß so etwas kein Zufall ist. Heute frage ich: Wer hat ihn eingespeist? Was ist sein Zweck? Welche Medien sorgen für seine Synchronität?

„Synchronität“? 

Kretschmann: Vergleicht man die wichtigsten westlichen Medien, zeigt sich, daß gewisse Themen von den meisten in mehr oder weniger gleicher Art „inszeniert“ werden. Dabei würde man, gemäß der pluralen menschlichen Natur, eine Vielfalt an Interpretationen erwarten – dieses Medium sieht es so, jenes so. Doch diese Vielfalt findet sich nicht. 

Vielleicht weil die Dinge so eindeutig sind, daß sich natürlich „Synchronität“ einstellt. 

Kretschmann: Ob jemand als „Terrorist“ oder „Rebell“ gilt, hat nichts mit „Natürlichkeit“ zu tun. Erst recht nicht, wenn diese Interpretation durch andere Medien identisch übernommen wird. 

Also geht der populäre Vorwurf „Lügenpresse“ in die falsche Richtung, weil nicht gelogen, sondern manipuliert wird?

Kretschmann: Das Wort „Lügenpresse“ ist sehr ungenau. Manipulation trifft es besser, da jede Massenkommunikation auch immer Massenmanipulation ist. Der Übergang von einer Lüge zu einer bewußt einseitigen Darstellung beziehungsweise gewollten Auslassung von Informationen ist fließend.

Können Sie ein Beispiel geben?

Kretschmann: Da gab es zum Beispiel 2012 die vielbeachtete TV-Reportage „Heimlich in Homs“, die heimlich gedrehte Bilder aus dieser belagerten syrischen Stadt zeigte. Das Material war so exklusiv, daß mehrere große Sender daraus Szenen sendeten. Doch als ich die in der ARD gezeigten Sequenzen mit denen verglich, die von CNN ausgewählt worden waren, entdeckte ich, daß einige Szenen offenbar gestellt waren. 

Gefälschte Bilder?

Kretschmann: Dabei will ich gar nicht sagen, daß damit etwas Bestimmtes bezweckt wurde. Vielleicht war das Gestellte typisch für das Leben in der belagerten Stadt und man hat es nur nachgestellt, um westlichen Zuschauern die Situation vor Augen zu führen. Doch das hätte im Sinne der Transparenz kenntlich gemacht werden müssen.

Also letztlich alles harmlos? 

Kretschmann: Für mich ist das nicht harmlos, denn im Rahmen der Verbreitung wird ja die Manipulation in Kauf genommen. Ich schickte dem zuständigen ARD-Sender eine umfangreiche Liste von Unstimmigkeiten in der Reportage. Als endlich, übrigens vom Intendanten persönlich, Antwort kam, argumentierte der unter anderem, meine Kritik beweise, wie gut man doch den Programmauftrag erfüllt habe: nämlich zur Meinungsbildung beizutragen. Also, da war ich doch sprachlos: Man soll für Manipulation auch noch dankbar sein – da die Kritik daran ja eine Meinungsbildung voraussetzt. 

Aber wie wurde aus Ihrer Manipulationserkenntnis ein Gewissenskonflikt?

Kretschmann: Meine Reaktion war, mich als Rundfunk-Teilnehmer abzumelden, weil ich nicht mehr bereit war, das öffentlich-rechtliche Manipulationssystem zu unterstützen. Doch 2013 wurde der neue Rundfunkbeitrag beschlossen, der nicht mehr eine Gebühr auf Empfangsgeräte erhebt, sondern auf die Wohnung und dem man folglich nicht entgehen kann – außer indem man freiwillig obdachlos wird. Übrigens, allein das ist schon ein Unding: eine Abgabe an ein Menschenrecht zu koppeln! Wer würde bezweifeln, daß es ein Menschenrecht ist, ein Dach über dem Kopf zu haben? Doch nimmt man dieses Menschenrecht wahr, unterliegt man der diktatorischen Logik, Rundfunkbeitrag zahlen zu müssen und damit obendrein ein demokratisch nicht legitimiertes Zwangssystem zu unterstützen und einen politisch monopolisierten Medienanbieter zu finanzieren. Bizarr!   

Wieso „nicht legitimiert“? Der Rundfunkbeitrag wurde demokratisch beschlossen. 

Kretschmann: Beschäftigt man sich näher mit ihm, stellt man fest, daß er genau das eben nicht ist! Vielmehr wird alles, was mit öffentlich-rechtlichem Rundfunk zu tun hat, von diversen, nicht demokratisch gewählten Gremien, zudem lobbyistisch und hinter verschlossenen Türen, festgesetzt. Und wenn man fragt, wie das sein kann, heißt es: Das sei traditionsbedingt eben so. 

Traditionsbedingt?

Kretschmann: Gemeint ist, daß das seit Einführung unseres Rundfunksystems nach dem Krieg eben immer schon so gemacht worden ist – und deshalb in Ordnung ist. Das meinen die ernst!

Es mag da ja eine Menge im argen liegen, aber am Ende wird alles von den Landtagen – Rundfunkrecht ist Landesrecht – beschlossen und ist damit demokratisch.   

Kretschmann: Genau so wird immer argumentiert, und genau so ist es aber nicht. Rundfunkrecht ist Landesrecht, das bedeutet, daß die Landtage über die Inhalte der Gesetzgebung bestimmen. Aber findet das auch statt? Nein! 

Sondern? 

Kretschmann: Statt von den Landtagen wird etwa die gesetzliche Grundlage des Rundfunks – der Rundfunkstaatsvertrag – von den Ministerpräsidenten, den Rundfunkreferenten und den medien-lobbyistischen Akteuren der Staatskanzleien, die zum Teil gleichzeitig etwa in den Verwaltungsräten der Sender sitzen, verfaßt. Im Klartext: Das Rundfunkrecht gestaltet bei uns nicht das Volk, vertreten durch die Landtage, sondern Akteure, die selbst Teil des Rundfunksystems sind. Und dann legen die den von ihnen erstellten Gesetzesentwurf den Landtagen vor – versehen mit dem schriftlichen Hinweis: „Dem ist zuzustimmen“. Und in der Rubrik „Alternativen“ steht wörtlich: „Keine“. 

Aber dennoch könnten die Landtage ablehnen – und damit ist es demokratisch.

Kretschmann: Hinter dem Entwurf des Rundfunkstaatsvertrags stehen, wie gesagt, auch die Ministerpräsidenten der Länder, die ihn mit ausarbeiteten. Von wem aber werden diese gewählt? Bekanntlich von der Mehrheit eines Landtages. Ein Landtag müßte, um einen Vorbehalt gegen den Rundfunkstaatsvertrag zum Ausdruck bringen, diesen ablehnen – und würde damit also den von ihm gewählten Ministerpräsidenten brüskieren. Ist das theoretisch möglich? Sicher. Wird das in der Praxis je passieren? Wir alle kennen die Antwort: Nein. 

Fazit? 

Kretschmann: Formal enthält der Entstehungsprozeß unseres Rundfunkrechts zwar wenigstens dieses eine demokratische Element – die Zustimmung des Landtags –, doch das Ganze ist so konstruiert, daß es nicht zum Tragen kommt. Und so ist das nicht nur bei der Entstehung des Rundfunkstaatsvertrags, so ist unser ganzes öffentlich-rechtliches Rundfunksystem gestaltet! Da gibt es eine Vielzahl Institutionen, die Vielfalt und Kontrolle vorspiegeln, tatsächlich aber nur verschleiern, wie durch und durch undemokratisch das Ganze ist, weil all diese Institutionen weder unabhängig voneinander, noch wirklich demokratisch, sprich durch die Bürger oder die Landtage, legitimiert sind. Mit meiner Weigerung, einen so zustandegekommenen Rundfunkbeitrag zu bezahlen, bin ich inzwischen ja vor Gericht. Als ich dem Richter den Ablauf dieses Gesetzgebungsprozesses schilderte, warf er ein: „Das hat so ein bißchen was von Verschwörungstheorie.“ Darauf antwortete ich ihm, es sei bezeichnend, daß ihm das so vorkomme – tatsächlich aber hätte ich nur dargestellt, wie in Deutschland Staatsverträge ausgehandelt werden. 

Also: Da das System nach Ihrer Analyse undemokratisch ist, ist der Zwang, Rundfunkbeitrag zu zahlen, für Sie inakzeptabel?

Kretschmann: Wäre dieser Zwang wenigstens wirklich demokratisch legitimiert, würde ich mich ihm ja beugen. Das aber ist er nicht. Und so ist in mir ein unüberwindbarer Gewissenskonflikt entstanden, der noch dadurch verschärft wird, daß ich die „Grundversorgung“, die die Öffentlich-Rechtlichen ja leisten sollen, für mich als mental schädlich, weil manipulativ, erkannt habe. Könnten Sie etwas guten Gewissens unterstützen, das sie als schädlich erkannt haben? Stellen Sie sich vor, man hätte von Wehrdienstverweigerern eine „Wehrabgabe“ verlangt. Das hätte einen Aufschrei gegeben! Denn ihr Gewissensproblem bestand ja eben darin, militärische Gewalt nicht unterstützen zu können. Doch in meinem Fall wird genau das verlangt – ich soll durch eine Zwangsabgabe etwas finanzieren, was ich als Mensch aus Gewissensgründen ablehnen muß.

Allerdings gibt es rechtlich keine Möglichkeit, den Rundfunkbeitrag aus Gewissensgründen zu verweigern. Folglich ist Ihr Widerstand zwecklos, da nicht durchzusetzen. 

Kretschmann: Wehrdienstverweigerung war anfangs rechtlich auch nicht möglich, und doch wurde das Recht dazu geschaffen, als immer mehr Bürger danach verlangten. Allerdings irren Sie: Die Möglichkeit dazu scheint mir keineswegs ausgeschlossen zu sein, denn der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag enthält einen Passus, wonach man in „Härtefällen“ von ihm befreit werden kann. Und diese Möglichkeit hat auch das Bundesverfassungsgericht nicht ausgeschlossen.  

Nur stellt der Beitrag für einen Unternehmer wie Sie keine soziale Härte dar. 

Kretschmann: Sie definieren Härtefall automatisch sozial. Warum? Juristisch gesehen ist der Begriff unspezifisch. Ich leide unter Gewissensnot – für mich ist Gewissensnot eindeutig ein Härtefall. Und unser Grundgesetz garantiert Gewissensfreiheit. Ich betrachte meinen Fall folglich als eine Art historische Probe aufs Exempel: Was ist dieses Versprechen unserer Verfassung praktisch wert! 

Was sollte denn an Stelle unseres öffentlich-rechtlichen Systems treten? 

Kretschmann: Da gibt es diverse Ideen, etwa einen freiwilligen Rundfunkbeitrag wie in den USA. Aber in diesem Zusammenhang frage ich: Woher kommt eigentlich die fixe Idee, öffentliches Fernsehen wolle eh niemand sehen, weshalb es eine Zwangsabgabe brauche? Offenbar scheint es unvorstellbar, daß das Programm so gut sein könnte, daß es genug Zuschauer sehen wollen und freiwillig bezahlen. Aber wie auch immer, es ist nicht meine Aufgabe, diese Frage zu beantworten. Sowenig, wie ein Wehrdienstverweigerer eine Lösung für die Konflikte der Welt zu haben hatte. Letztlich muß die Gesellschaft diese Antwort finden. Die aber kann nicht lauten, daß wir alle mit einer Zwangsabgabe erpreßt werden – nur um ein System zu erhalten, das freiwillig offenbar gar nicht genug von uns unterhalten wollen würden.  

Was aber ist mit Bürgern, die kein Gewissensproblem damit haben, ein Zwangssystem mit demokratischem Defizit zu unterstützen, sondern damit, daß ihnen die medialen Manipulationen dieses Systems gezielt politisch erscheinen? Im Klartext: Sind die Öffentlich-Rechtlichen wie behauptet politisch unabhängig?

Kretschmann: Wären sie das, dürften keine Politiker in ihren Gremien sitzen.

Nur beweist das nicht, daß diese auch „von oben“ Anweisungen geben.

Kretschmann: Das spielt doch gar keine Rolle, und ich meine, ein Journalist wie etwa Claus Kleber bekommt in der Tat auch keine Anweisungen „von oben“ – vielmehr ist er selbst Teil des „Oben-Systems“. Denn er ist wie viele andere Alpha-Journalisten Mitglied in transatlantischen Gesprächszirkeln wie etwa der „Atlantik-Brücke“, wo sich Entscheider aus etlichen Teilen der Gesellschaft treffen. Natürlich würde er wohl argumentieren, daß er dort sitzen müsse, um zu verfolgen, was so passiert und daß seine Mitgliedschaft dort natürlich keinen Einfluß auf seinen Journalismus habe. 

Vielleicht hat er ja so viel Charakter. 

Kretschmann: Ja, vielleicht. Aber kann man von mir verlangen, daß ich mich darauf verlasse? Ich betrachte solches Eingebundensein von Journalisten als überaus kritisch. Und darauf kommt es an. Nicht darauf, ob Claus Kleber glaubt, er sei dagegen gefeit oder es vielleicht sogar ist. WDR-Chef Jörg Schönenborn etwa hat den Rundfunkbeitrag „Demokratieabgabe“ genannt. Ich glaube ihm, daß er das ehrlich meint. Aber kann er von mir verlangen, das auch so zu sehen? Mit welchem Recht? 

Sie sagen, „man stelle sich vor, eine solche Zwangsgebühr hätte es unter Hitler oder in der DDR gegeben.“ 

Kretschmann: Ja, würden wir dann nicht mit dem Finger auf die Leute damals zeigen und uns empören, daß sie auch noch die Propaganda bezahlt haben, die sie manipulierte? Aber wie gesagt, das Ganze ist ein Bewußtwerdungsprozeß: Erkenntnisse, wie wir sie aus der Geschichte erlangt haben, auf uns selbst anzuwenden und dann einen zivilcouragierten Weg zu gehen, der aktuell keine gesellschaftliche Akzeptanz hat, ist immer eine persönliche Herausforderung.






Olaf Kretschmann, ist Inhaber einer auf die Energiebranche spezialisierten Werbeagentur in Berlin. Geboren wurde er 1969 in Ost-Berlin. Seit 2012 beziehungsweise 2016 betreibt er die Online-Plattformen:  

 www.rundfunkbeitragswiderstand.de 

 rundfunkbeitrag.blogspot.com

Foto: Widerständler Kretschmann: „Viele denken, der Rundfunkbeitrag sei ja demokratisch beschlossen. Beschäftigt man sich jedoch näher damit, stellt man fest, daß er genau das eben nicht ist!“

 

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