© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/19 / 01. Februar 2019

Francis Fukuyama rief das berühmte „Ende der Geschichte“ aus. Was ist daraus geworden?
Umwege zum Endsieg
David Engels

Mit seinem neuen Buch „Identity. Contemporary Identity Politics and the Struggle for Recognition“ hat der bekannte US-Politologe Francis Fukuyama ein auf den ersten Blick erstaunliches Werk zur zeitgenössischen Identitätspolitik veröffentlicht. Erstaunlich, weil die meisten Leser ihn wohl vor allem mit seinem Erfolgstitel „Das Ende der Geschichte“ von 1992 in Verbindung bringen, in welchem der japanischstämmige Professor aus Stanford, geboren 1952 in Chicago, die Erwartung äußerte, nach dem Ende des Kommunismus werde die Weltgeschichte in ein utopisches Endstadium eintreten, in dem es, frei von dialektischen Widersprüchen, nur noch um die optimale Verwaltung der sich global ausbreitenden liberalen parlamentarischen Demokratie gehe.

Hat Fukuyama, einer der einflußreichsten Politikwissenschaftler unserer Zeit, also seine Ansichten geändert? Nicht wirklich. Nachdem der 11. September 2001 gezeigt hat, daß die weltweite Akzeptanz des westlichen Liberalismus keineswegs evident und viel eher ein Huntingtonscher „Clash of Civilizations“ zu erwarten ist, modifizierte Fukuyama in der Washington Post zwar seine These insoweit, als er den Islamismus als Gefahr für die Verbreitung westlicher Vorstellungen anerkannte; er betrachtete ihn jedoch weiterhin nur als eine Art retardierendes Element auf dem vorbestimmten Weg.

Nun hat der politische Erfolg des sogenannten Populismus Fukuyama erneut zur Stellungnahme genötigt, denn es ist unübersehbar, daß auch der Westen sich zunehmend vom Universalismus ab- und dem Traditionalismus zuwendet. Doch selbst in „Identity“ steht bezeichnenderweise im Zentrum der Analyse nicht das Interesse an nationaler oder kultureller Identität; vielmehr versteht Fukuyama, als Materialist und Pragmatiker, Identität nur als eine Art Summe im Kampf des Einzelnen um „Anerkennung“, womit er sie gleichsam auf eine marktwirtschaftliche Größe reduziert. Dementsprechend fällt seine Schlußfolgerung aus: Will der Liberalismus auf dem ihm angeblich bestimmten Weg zum Sieg nicht „vorläufig“ aufgehalten werden, muß er den Wunsch des Einzelnen nach Anerkennung seiner Identität ernst nehmen und daher einen Rahmen schaffen, der einerseits kulturell „inklusiv“ ist, andererseits fest auf der „Leitkultur“ der Aufklärung basiert.

Daß Fukuyama damit aber eben jenen universalistischen und letztlich indirekt eurozentrischen Kolonialismus bekräftigt, der eigentlich erst zum Ausbruch des gegenwärtigen Kampfes der Kulturen geführt und den Westen an den Rand politischer Implosion und kultureller Islamisierung gebracht hat – dieser Ironie der Geschichte scheint sich Fukuyama, wie so viele Mitglieder der intellektuellen und politischen Elite des Westens, nicht bewußt zu sein. Traurig nur, daß es die kommende Generation sein wird, die den Preis für dieses geistige Scheitern zu zahlen haben wird.