© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/19 / 01. Februar 2019

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Keilerei à la Kubicki
Paul Rosen

Daß sich der 19. Bundestag von seinen unmittelbaren Vorgängern massiv unterscheidet – vor allem durch eine neue Fraktion mit über 90 Abgeordneten – hat Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) einmal so bilanziert: „Insgesamt ist unser Parlament lebhafter geworden. Es findet mehr Aufmerksamkeit, und das ist ja auch unsere Aufgabe.“ Schäuble, dienstältestes Mitglied des Hauses, dürfte sich dabei noch gut an die siebziger Jahre erinnern, als die SPD eine große Volkspartei und ihr Fraktionschef Herbert Wehner, respektvoll „Onkel“ genannt, für seine Zwischenrufe berüchtigt und gefürchtet war. Von den Verbalgefechten im Plenarsaal zeugt das mehrbändige „Parlamentarische Schimpfbuch“ des Journalisten Günter Pursch. 

Dem ein oder anderen ist der Bundestag jetzt offenbar wieder zu lebhaft, was an einem Gemeinschafts-Interview der beiden Bundestagsvizepräsidenten Claudia Roth (Grüne) und Wolfgang Kubicki (FDP) in der Rheinischen Post deutlich wurde. Man merkt bei der Lektüre, daß Roth und Kubicki sich über Parteigrenzen hinweg verstehen. Wenn da nur die AfD nicht wäre, die die Harmonie stört – jedenfalls aus Sicht vieler anderer Abgeordneter. Kubicki berichtet entsetzt: „Ein Drittel der AfD-Fraktion, das überwiegend in den hinteren Reihen sitzt und vorwiegend aus ostdeutschen Bundesländern kommt, ist nicht nur verbal aggressiv. Einmal stand es im Bundestag sogar vor einer kleinen Keilerei, weil deren Zwischenrufe unerträglich waren.“ Eine Keilerei im Bundestag? Das wollte der AfD-Abgeordnete Rüdiger Lucassen nicht glauben und wandte sich an das Präsidium mit der Bitte um Aufklärung. „Zuspitzung und Provokation ist keiner Fraktion fremd“, stellte der ehemalige Oberst im Generalstab fest, doch bei körperlicher Gewalt oder deren Androhung gebe es aus seiner Sicht „keinerlei Ermessensspielraum“.

Kubicki antworte sichtlich ungern: „Unsere jeweiligen geäußerten Meinungen können Sie teilen oder auch nicht. Es besteht jedenfalls kein Anlaß zur Rechtfertigung, schon gar nicht Ihnen gegenüber.“ Der hochnäsige Schreibstil soll wohl überdecken, daß sich Kubicki mit seiner Behauptung auf sehr dünnem Eis befindet. Die Beinahe-Keilerei soll sich in der Sitzung am 22. November 2018 zugetragen haben, als sich der zum Bundesverfassungsrichter gewählte CDU-Abgeordnete Stephan Harbarth in einer Rede vom Parlament verabschiedete, was AfD-Abgeordnete zu einigen Zwischenrufen veranlaßte, die Kubicki zitiert („klarer Verfassungsbruch“, „Sauladen“). Dabei habe sich Kubickis FDP-Kollegin Marie-Agnes Strack-Zimmermann ein „sehr scharfes Wortgefecht“ mit einem AfD-Abgeordneten geliefert. „Die Kollegin Strack-Zimmermann stünde gegebenenfalls sicherlich auch für eine konkrete Benennung des Kollegen zur Verfügung.“ Mehr kann Kubicki als Beleg für die Beinahe-Keilerei nicht anführen.

Das konnte er offenbar auch gegenüber Schäuble nicht, der seinen FDP-Stellvertreter in einem ZDF-Interview ohne Namensnennung  abwatschte: „Ich habe bisher keine Schlägerei erlebt. Ich würde das auch im Vergleich zu anderen Parlamenten nicht so dramatisieren.“