© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/19 / 01. Februar 2019

Es wird eng für Maduro
Venezuela: Die Opposition setzt alles auf eine Karte / Hinter den Kulissen tobt der alte Ost-West-Konflikt
Marc Zoellner

Für die Opposition war José Luis Silva der Mann der Stunde, als er am Wochenende vor die Kameras trat: „Ich spreche heute zum venezolanischen Volk und insbesondere zu meinen Kameraden der Armee“, verkündete der Oberst der Bolivarischen Streitkräfte Venezuelas (FANB) vergangenen Samstag von seinem Washingtoner Büro aus. „Ich werde Juan Guaidó als einzig legitimen Präsidenten Venezuelas anerkennen. Meine Botschaft an alle Mitglieder der Streitkräfte ist, nicht das Volk anzugreifen. Auch wir sind ein Teil des Volkes, und wir haben genug davon, eine Regierung zu unterstützen, die unsere Grundsätze verraten und sich selbst an andere Länder verkauft hat.“

Der Frontwechsel Silvas zur Opposition dürfte Venezuelas autokratisch regierenden Präsidenten Nicolás Maduro schwer getroffen haben. Nicht nur, daß Silva als Militärattaché der FANB als einer der ranghöchsten Diplomaten Caracas’ in den USA galt. 

Sein Überlaufen verdeutlicht, wie brüchig das fast nur noch aus der Armee bestehende Fundament tatsächlich ist, auf welchem Maduro am 10. Januar dieses Jahres seine zweite Amtszeit begründete. „Sich den internationalen Interessen unterzuordnen“, twitterte die Pressestelle der FANB umgehend als Antwort auf Silvas Ansprache, „ist ein Akt der Feigheit dem Vaterland gegenüber.“ Noch am gleichen Abend wurde Silva, des Hochverrats beschuldigt, umgehend nach Venezuela zurückbestellt.

Es wird eng für Maduro: Bereits die Parlamentswahl vom Dezember 2015 hatte der seit Mai 2013 regierende Sozialist gegen das oppositionelle Sammelbecken des Tisches der Demokratischen Einheit (MUD) krachend verloren und hangelte die venezolanische Regierung in Folge der anhaltenden Wirtschaftskrise von einem Präsidialdekret zum nächsten. 

 Moskau und Peking warnen USA vor „Provokation“

Um eine weitere Wahlniederlage zu verhindern, zog Maduro die für den Dezember 2018 geplanten Parlamentswahlen auf April vor und schloß gleichzeitig große Oppositionsparteien wie die konservative Gerechtigkeitspartei (PJ) und die sozialdemokratische Partei Volkswillen (VP) von der Teilnahme aus. Bei einer Wahlbeteiligung von nur 46 Prozent gewann Maduro haushoch mit 68 Prozent aller Stimmen.

Vor gut drei Wochen schließlich verkündete Maduro den Beginn seiner zweiten Amtszeit. Auf den Fuß folgten diesem einige der größten Massendemonstrationen in der Geschichte des lateinamerikanischen Landes. Seine Gegner werfen dem 56jährigen ehemaligen Busfahrer und Gewerkschaftsführer, von Hugo Chávez bereits 2012 zu dessen Amtsnachfolger bestimmt, zahlreiche Verstöße gegen die venezolanische Verfassung vor; den Einsatz von Gewalt gegen Demonstranten und die Verschleppung Oppositioneller ebenso wie Korruption und Vetternwirtschaft. Allein die Preise für Güter des täglichen Bedarfs, für Lebensmittel, Treibstoff und Medikamente, verdoppeln sich in Venezuela, dem erdölreichsten Staat der Welt, beinahe täglich. Die Inflationsrate des Bolívar, der Nationalwährung des Landes, erreichte bereits im November einen Grenzwert von über 1,3 Millionen Prozent. Für die kommenden Monate erwarten Analysten gar einen achtstelligen Inflationswert.

„Die Augen der Welt sind jetzt auf unser Vaterland gerichtet“, pries Juan Guaidó vergangene Woche die oppositiellen Demonstranten auf Twitter und rief gleich zur nächsten „Demonstration für ein freies Venezuela“ auf. Am 23. Januar hatte sich der erst 35jährige Ingenieurswissenschaftler, von der venezolanischen Nationalversammlung im Dezember zum Parlamentsvorsitzenden gewählt, während einer Großkundgebung zum neuen Interimspräsidenten ausgerufen. 

Seit 2011 hält Guaidó für die VP, welche er 2009 mit gegründet hatte, als Abgeordneter einen Parlamentssitz. Seine Proklamation zum neuen Staatsoberhaupt kam für viele internationale Beobachter zwar überraschend. Dennoch wurde diese von den Regierungen der USA, Kanadas sowie Brasiliens noch am gleichen Tag anerkannt. Im Verlauf der Woche folgten die meisten lateinamerikanischen Staaten ebenso wie Israel und Australien dieser Entscheidung.

Geschlossen zeigte sich am Samstag auch die Europäische Union in ihrer Haltung während einer außerordentlichen Sitzung des UN-Sicherheitsrats, binnen acht Tagen Neuwahlen für Venezuela einzufordern.

In Peking und Moskau, Venezuelas größten internationalen Gläubigern, findet Venezuela tatkräftige Unterstützer. In einem Telefonat mit Maduro versprach Rußlands Präsident Wladimir Putin dem weitgehend isolierten venezolanischen Staatsoberhaupt die Solidarität der Russischen Föderation gegen den „aus dem Ausland provozierten Quasi-Staatsstreich“ Juan Guaidós. Deutlicher wurde noch Sergei Rjabkow: „Wir werden gemeinsam mit diesem Land für die Verteidigung seiner Souveränität einstehen“, erklärte der russische Vizeaußenminister vor Journalisten als Reaktion auf die Warnung Washingtons, sich im Zweifelsfall auch militärische Optionen gegen Venezuela vorzubehalten. 

„Jegliche Gewalt gegen US-Diplomaten, Venezuelas demokratischen Führer Juan Guaidó oder die Nationalversammlung“, mahnte US-Sicherheitsberater John Bolton am Sonntag erneut, „wird einen schweren Angriff auf den Rechtsstaat darstellen und mit erheblicher Reaktion erwidert.“ Noch am Montag überschrieb die US-Regierung die Zugriffsrechte auf venezolanische Auslandskonten an Guaidó als Interimspräsidenten.

Noch hält das Militär Maduro die Treue 

Gemessen an der gewaltigen Anzahl an Demonstranten, welche die Straßen Caracas’ auch an diesem Wochenende wieder bevölkerten, darf sich Venezuelas selbsternannter Interimspräsident Juan Guaidó der Unterstützung der breiten Massen der Venezolaner relativ sicher sein. Mit einigen hundert Sympathisanten Maduros hielt sich der Gegenprotest sichtlich in Grenzen. „Wir sind hier, um unseren Präsidenten zu unterstützen und unsere Ressourcen zu verteidigen“, begründete eine der Teilnehmerinnen, eine Mitarbeiterin der staatlichen Erdölgesellschaft PDVSA, ihr Anliegen, gegen Guaidó zu demonstrieren. 

Aus Furcht vor Anschlägen scheut Maduro mittlerweile öffentliche Auftritte. Seine Ansprachen werden fast ausschließlich über staatliche Rundfunkanstalten ausgestrahlt. Zuletzt ließ er sich von diesen am Wochenende während der Abnahme einer Militärparade samt jüngst erworbener russischer Luftabwehrgeschütze im Fernsehen präsentieren. „In dieser Welt wird nur der Tapfere, der Mutige und Mächtige geschätzt. Niemand sollte auch nur daran denken, diesen heiligen Boden zu betreten.“ 

Um einer militärischen Intervention der USA vorzubeugen, begann die FANB überdies zum Wochenbeginn in langen Konvois mit der Verlegung schwerer Panzer und Geschütze an die Grenze zu Kolumbien, wie das Online-Militärmagazin Defense Blog berichtet. Trotz intensiver Bemühungen ist es der venezolanischen Opposition bislang nicht gelungen, einen breiten Zugang zum Militär zu finden. Entgegen der Zivilbevölkerung zeigt sich der Großteil der FANB loyal zu Maduro.