© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/19 / 01. Februar 2019

„Gegen jeden Menschenverstand“
Klimaschutzpolitik: Die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität soll das deutsche Verkehrssystem „tiefgehend transformieren“
Christian Schreiber

In der aktuellen Diskussion um Diesel-Fahrverbote und um generelle Tempolimits auf deutschen Autobahnen spielt eine Kommission eine möglicherweise zentrale Rolle, deren Wirken der breiten Öffentlichkeit bisher noch weitgehend unbekannt ist. Die Rede ist von der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität (NPM).

 Deren Einsetzung basiert auf dem aktuellen Koalitionsvertrag von Unionsparteien und SPD. Im September 2018 wurde die Einberufung der Plattform durch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ins Bundeskabinett eingebracht und dort beschlossen. Die NPM nahm mit der konstituierenden Sitzung des Lenkungskreises bereits zum Ende des Monats ihre Arbeit auf. 

Wie mehrere Medien übereinstimmend berichten, hat die Kommission nun Vorschläge vorgelegt, die es in sich haben und die für die Autofahrer in der Bundesrepublik teuer werden könnten. In ihrem Maßnahmenkatalog schlägt sie dabei ein generelles Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf deutschen Autobahnen und eine Angleichung von Benzin- und Dieselsteuer vor. 

Elektromobilität ist in aller NPM-Munde

Bisher wird Diesel pro Liter mit etwa 22 Cent weniger besteuert als Benzin. Umweltschützer kritisieren den Unterschied, da nicht zuletzt Fahrer spritschluckender SUVs davon profitieren. Für Ende März ist eine entscheidende Sitzung der Kommission angesetzt, dann soll der NPM-Lenkungskreis „Handlungsempfehlungen“ an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft aussprechen. Geht es doch darum, den Klimaschutzplan der Regierung zu erfüllen. Dafür müssen die Treibhausgasemissionen bis 2030 (im Vergleich zu den Daten 1990) um 40 bis 42 Prozent gesenkt werden.  Langfristiges Ziel der Bundesregierung ist, daß Deutschland bis zum Jahr 2050 „weitgehend treibhausgasneutral“ ist.

Die Kommission besteht aus einem Lenkungskreis und sechs Arbeitsgruppen. „Der Lenkungskreis ist neben den Arbeitsgruppen der fachlich-inhaltliche Impulsgeber der Plattform. Er identifiziert neue Themen zur Bearbeitung in der Plattform und macht Vorschläge für deren Umsetzung“, heißt es in einer Selbstdarstellung. Der Lenkungskreis steuere zudem die inhaltliche Arbeit in den Arbeitsgruppen, kontrolliere deren Umsetzung und berate über die Ergebnisse. „Die Handlungsempfehlungen der NPM werden durch den Lenkungskreis ausgesprochen.“

Vorsitzender des Lenkungskreises  ist Henning Kagermann. Der ehemalige SAP-Vorstand gilt als Vertrauter von Noch-Kanzlerin Angela Merkel und soll nach eigener Aussage einen Plan für klimafreundliche Mobilität entwickeln. Das Handelsblatt schreibt, der 71jährige trage in der Branche den Spitznamen „Mister Elektroauto“. Seit Jahren fordert der langjährige Vorsitzende der „Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE)“ – die im September 2018 durch die Nachfolgeorganisation NPM erstetzt wurde –, mehr Ladestationen im Land und obendrein noch eine Kaufprämie, um die Deutschen weg vom Benziner hin zum Stromer zu locken. „Ohne eine Kaufprämie erreichen wir das Millionenziel nicht“, warnte Kagermann 2017. 

In dem Lenkungskreis hat sich eine illustre Runde versammelt. Insgesamt 24 Personen gehören ihm an, darunter befinden sich alleine fünf Staatssekretäre aus verschiedenen Ministerien. Der Automobilclub ADAC ist mit seinem Präsidenten August Markl vertreten, für den Bundesverband der Deutschen Industrie sitzt mit Dieter Kempf der Chef persönlich mit am Tisch. Bahn-Boß Richard Lutz ist ebenso mit von der Partie wie der BMW-Vorstand Klaus Fröhlich. Der Verband der Automobil-Industrie hat seinen Vorsitzenden Bernhard Mattes geschickt, und für die Gewerkschaft IG Metall ist der erste Vorsitzende Jörg Hofmann dabei. Weiter mit am Tisch: Franz Loogen, seit 2010 Geschäftsführer von „E-mobil BW – Landesagentur für neue Mobilitätslösungen und Automotive Baden-Württemberg“ und Olaf Tschimpke, Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu).  

Loogen ist Leiter der NPM-Arbeitsgruppe 1 „Klimaschutz im Verkehr“.  Ohne Umschweife gibt diese bekannt:   „Unser Verkehrssystem“ steht vor einer „tiefgehenden Transformation“. Ziel der Arbeit sei die „Schaffung eines weitgehend treibhausgasneutralen, ökonomisch tragfähigen und sozial ausgestalteten Mobilitätssystems“. Um dies zu erreichen, seien „tiefgreifende gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Change-Prozesse, insbesondere im Bereich der Automobilwirtschaft und des Mobilitätsverhaltens“ nötig.

In den anderen AGs geht es um „Alternative Antriebe und Kraftstoffe“, „Lade- und Tankinfrastruktur für Elektromobilität, Power-to-X (Wasserstoff und E-Fuels) und verflüssigtes Erdgas (LNG) in den Anwendungsbereichen PKW und Nutzfahrzeuge“, aber auch die  die „gesellschaftlichen Anforderungen zur Akzeptanz“ des Wandels.  

Der Arbeitsgruppe 4 geht es um die „Sicherung des Mobilitäts- und Produktionsstandortes“ Deutschland. Im Fokus  stehen hier „Potentiale und Risiken für bestehende wie neu entstehende Wertschöpfungsnetzwerke“, mit einem „Fokus auf neue Technologien“.

Das Problem ist die „mangelnde Akzeptanz“

Chef der AG 4 ist Stefan Kapferer, Vorsitzender der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft. Mitte Januar lobte er die erstmalige Tagung der „Arbeitsgruppe zur Akzeptanz des weiteren Ausbaus der Windenergie“, die die CDU/CSU und SPD Anfang November 2018 ins Leben gerufen hatten. 

„Die allgemeine Zustimmung zur Energiewende ist nach wie vor hoch. Sobald es jedoch konkret wird, formiert sich vor Ort oftmals Widerstand.“ Daher, so Kapferer weiter, sei es gut, daß sich die Politik stärker um das „eminent wichtige Thema Akzeptanz“ kümmern wolle. „Gegen den Willen der Bevölkerung“ lasse sich das „Ausbauziel von 65 Prozent Erneuerbaren Energien bis 2030 nicht realisieren“. 

 Beim Thema „Akzeptanz“ kommt das Institut für Organisationskommunikation (IFOK) ins Spiel. Es stellt das Projektbüro des NPM in seiner Berliner Dependance. Das IFOK bezeichnet sich selbst als „europäischer Marktführer für Beteiligung und bietet als Teil der internationalen Cadmus Group transdisziplinäre Strategie- und Fachberatung für nachhaltige Entwicklung, fundierte Prozeß- und Dialogexpertise sowie umfassendes Fachwissen aus einer Hand“ an. Die Beratung erfolge unter dem Motto „Den Wandel durch Beteiligung und Dialog gestalten“. 

Gibt es Probleme beim Thema Energie oder Klimaschutz? Die IFOK-Funktionäre helfen. Denn „wer wirtschaftlich erfolgreich und politisch glaubwürdig sein will, braucht neben überzeugenden Argumenten auch die richtige Strategie, um Konflikte rechtzeitig zu erkennen, richtig einzuschätzen und konstruktiv wie dauerhaft zu lösen.“

So beriet die IFOK GmbH das Land Baden-Württemberg, das „zum Wegbereiter einer modernen und nachhaltigen Mobilität der Zukunft werden“ will. Mit der Kampagne „Neue Mobilität: bewegt nachhaltig“ sollte die nachhaltige, multimodale Mobilität in die breite Öffentlichkeit getragen werden. Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) zeigte sich im April 2015 zufrieden und beschrieb die nächsten Schritte, die nötig seien, um die die Elektromobilität auszuweiten: „Wir brauchen 2000 Ladesäulen im Land, damit man nirgends weiter als zehn Kilometer von der nächsten Lademöglichkeit entfernt ist. Und wir müssen mehr Parkplätze für Elektroautos umsonst oder sogar exklusiv machen – nicht nur ein paar Dutzend, sondern Zehntausende.“

Zwei Jahre später startete Baden-Württemberg, wiederum gemeinsam mit dem IFOK, die „Landesinitiative III Marktwachstum Elektromobilität BW“ mit einem Volumen von über 40 Millionen Euro, um verschiedene Zielgruppen beim Umstieg auf elektrisch angetriebene Verkehrsmittel zu unterstützen. 

 Die enge Verknüpfung zwischen der Regierungskommission NPM und dem IFOK ist übrigens keine Überraschung, sitzen im Beirat doch altgediente Parlamentarier wie der frühere Bundesumweltminister Klaus Töpfer, der auch als „grüne Seele“ der CDU bezeichnet wird. 

Töpfer wurde bereits im Juli 2017 vom Grünen-Politiker Cem Özdemir als Vorsitzender der „Zukunftskommission Saubere Automobilität“ ins Spiel gebracht. Er habe „im Jahr 2011 nach dem Super-GAU von Fukushima die Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung so herausragend erfolgreich geleitet“ und die „Grundlage für die richtungsweisenden parlamentarischen Energiewende-Beschlüsse gelegt“, so der Grüne in der Zeit. „So wie Deutschland nach Fukushima die Lehren aus der falschen Energiepolitik der vergangenen Jahrzehnte gezogen hat, so müssen wir jetzt die Lehren aus der falschen Verkehrspolitik der vergangenen Jahrzehnte ziehen und sie vollkommen neu in Bewegung bringen.“ 

Doch nicht Töpfer, sondern Kagermann war vergangene Woche Ziel des Unmuts von Bundesverkehrsminister Scheuer. Der hatte ein geplantes Treffen der von Franz Loogen geleiteten  NPM-Arbeitsgruppe „Klimaschutz im Verkehr“, aus der die Vorschäge „Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen und und eine Angleichung von Benzin- und Dieselsteuer“ durchgestochen wurden, abgesagt.

Verkehrsminister Scheuer fordert Realitätssinn ein 

Sie seien „gegen jeden Menschenverstand“ gerichtet, ließ der CSU-Politiker verlauten: „Forderungen, die Zorn, Verärgerung, Belastungen auslösen oder unseren Wohlstand gefährden, werden nicht Realität und lehne ich ab.“ 

Dies wiederum brachte den Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege auf die Palme: „Die Regierungskommission Mobilität ist durch das gezielte Durchstechen von emotional aufgeladenen Einzelvorschlägen und die Überreaktion des Bundesverkehrsministers in schwieriges Fahrwasser geraten“, erklärte er gegnüber dpa. Nun gelte es, „Vertrauen neu aufzubauen“.

Dietmar Oeliger, Verkehrsexperte beim Naturschutzbund (Nabu), legte gegenüber der taz nach. Er erwarte, daß Kagermann sich „­gegen eine Einmischung der Politik verwehrt und sich dazu Rückendeckung im Kanzleramt holt“. „Von Minister Scheuer erwarte ich beim Klimaschutz nicht viel“, betonte Oeliger. Angesichts der Vorwürfe hielt sich Gabriel Haufe, Sprecher des Bundesumweltministeriums, das neben dem Wirtschaftsministerium und dem Kanzleramt federführend bei der NPM ist, bedeckt. Man habe „diese Absage zur Kenntnis genommen. „Für uns ist es wichtig, daß die Kommission zur Zukunft der Mobilität Ende März, wie das ausgemacht ist, ihre Ergebnisse liefert. Das ist für uns das Entscheidende.“ 





AvD: Tempolimit ist „pure Ideologie“

Der Automobilclub von Deutschland (AvD) hält ein generelles Tempolimit auf Autobahnen für „pure Ideologie“. 

Die Faktenlage gebe keinen Hinweis auf „Effekte“. Vor allem erscheine es „wenig plausibel“, daß die Einführung einer generellen Tempobeschränkung auf weiteren 1,4 Prozent des deutschen Straßennetzes einen relevanten Effekt auf die CO2-Emissionen und damit auf den Klimaschutz haben soll. Bei der Angabe des Einsparungspotentials, so der AvD weiter, sei offensichtlich von der falschen Annahme ausgegangen worden, daß auf Autobahnabschnitten ohne Tempolimit alle Autofahrer permanent mit Höchstgeschwindigkeit unterwegs seien. Doch die Realität zeige ein anderes Bild: Nicht selten sei die Verkehrsdichte auf den fraglichen Strecken so hoch, daß ohnehin kaum mehr als Richtgeschwindigkeit gefahren werden könne. Lasse es die Verkehrslage dann doch einmal zu, höhere Geschwindigkeiten zu fahren, werde dies nur von einem Teil der Autofahrer genutzt. Augenscheinlich sei, daß eine deutliche Mehrheit auch dann in einem Geschwindigkeitsbereich zwischen 120 und 140 Kilometer pro Stunde unterwegs sei, wenn höhere Geschwindigkeiten erlaubt wären.