© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/19 / 01. Februar 2019

Wenn die Bagger stillstehen ...
Grüner Aufbau Ost: Eine Bestandsaufnahme der Heinrich-Böll-Stiftung / Exzellenzcluster Lausitz?
Oliver Busch

Das erste Heft 2019 der Zeitschrift Böll.Thema hat die in diesem Jahr anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen fest im Blick. „Tickt der Osten wirklich anders?“ fragt das Hausorgan der grünen Heinrich-Böll-Stiftung. Aber  Interesse an realitätsnahen Antworten, die nicht ins Grünen-Weltbild passen, zeigen die Journalisten und Parteifunktionäre, die im Auftrag der Redaktion in die bald dreißig Jahre alten „neuen Bundesländer“ ausgeschwärmt sind, eher nicht.

So fällt der Potsdamerin Annalena Baerbock, „Wessi“, Co-Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, studierte Politologin, renommierte Klima- und Energieexpertin ihrer Bundestagsfraktion, zur Lausitz nur ein, die „letzte Kohlebastion Deutschlands“ sollte das geplante Ende des Tagebaus als „Chance für die Demokratie“ begreifen. Wenn die Bagger stillstehen, könne man nämlich zur Modellregion für erneuerbare Energien aufsteigen. Aber damit noch nicht Glücks genug. Die Bevölkerung, soweit in ihrer Heimat verblieben, möge sich auf den Tag freuen, der den Ruhm der Lausitz  als „internationale Kompetenzregion für die Renaturierung von alten Tagebauen“ begründet. Die sächsische Landesregierung müsse, anstatt ständig über ausgehende Lichter zu lamentieren, den Prozeß Richtung „Exzellenzcluster“ Lausitz lediglich etwas abstützen, indem sie sich endlich um Regionalbahn und Breitband-Infrastruktur kümmere sowie Fördergelder zwecks Ansiedlung von Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen ausschütte. So geht Aufbau Ost!

Immerhin kommt auf vierzig Seiten Umweltpapier zu solchen Phantasien auch eine einsame Gegenstimme zu Wort. Wolfgang Rupieper, Vorsitzender des Vereins „Pro Lausitzer Braunkohle“, will die verbliebenen 10.000 Arbeitsplätze im Raum Cottbus retten. Darum plädiert er für ein realistisches Ausstiegsdatum zur Mitte des Jahrhunderts. Früher überstürzt aufzuhören, wäre nichts als grüne Symbolpolitik, die zur Entwicklung des Weltklimas kaum beitrage, da gegenwärtig weltweit Hunderte neue Stein- und Braunkohlekraftwerke entstünden. Zudem ist er von den Ideen der Energieexpertin Baerbock („Das Netz ist der Speicher“) nicht richtig begeistert, gibt er doch zu bedenken, daß technisch nicht gelöst ist, wie man den Strom aus den Erneuerbaren gut und in Mengen speichern könne.

Noch verbesserungsbedürftig scheint auch das grüne Integrationskonzept. Leider zögen in ländlichen Regionen untergebrachte „Flüchtlinge“ dort schnell wieder weg. Es fehle eben an persönlichen Kontakten, Arbeitsplätzen und ernsthaftem Willen der Einheimischen, den Fremden eine „feste Bleibe“ zu schaffen. Wie Zuwanderung neue Stabilität sichere, beweise vorbildlich die Uckermark, wo im Amt Gartz bereits zwölf Prozent der Bewohner Migrationshintergrund hätten. Ob es dort mit den neuen Nachbarn so reibungslos klappt, weil es sich um junge polnische Familien aus dem nahen Stettin handelt? 

Böll.Thema, das Magazin der Heinrich-Böll-Stiftung e. V. Berlin, erscheint jährlich mit drei kostenlosen Ausgaben.

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