© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/19 / 01. Februar 2019

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Die Veröffentlichung des „Blockadebuchs“ hat noch einmal die Aufmerksamkeit auf die Belagerung von Leningrad während des Zweiten Weltkriegs gelenkt. Sie dauerte von September 1941 bis zum Januar 1944 mehr als zwei Jahre an und war mit einer Absperrung verbunden, die die eingeschlossene Zivilbevölkerung zu einem langsamen Tod verurteilte. Im Hinblick auf die Beurteilung ist man sich einig: das Vorgehen werfe noch einmal „ein bezeichnendes Licht auf den Charakter der deutschen Kriegsführung“ (Rolf-Dieter Müller) im Osten, heißt es, und daß faktisch der deutsche „Überfall“ auf die Sowjetunion einen „Genozid“ ermöglichte, dem in Leningrad eine Million Zivilisten zum Opfer fielen. Bleibt die Frage, ob solche Maßstäbe auch zur Bewertung der alliierten Hungerblockade angelegt würden, an deren Folgen – nach vorsichtiger Schätzung – zwischen 1914 und 1918 mehr als eine halbe Million Deutsche starben. Die Maßnahme blieb auch nach dem Ende der Kampfhandlungen bestehen und wurde erst nach Unterzeichnung des Versailler Vertrages im Juli 1919 vollständig aufgehoben, was weitere 100.000 Menschen das Leben kostete. Nur nebenbei sei darauf hingewiesen, daß die Westmächte – also die Vorkämpfer von Humanität und Demokratie – die Hungerblockade ausdrücklich als „rechtmäßige und anerkannte Kriegsmaßnahme“ bezeichneten, deren Opfer sich ihr Schicksal selbst zuzuschreiben hätten. (Mantelnote der Alliierten und Assoziierten Mächte an die Reichsregierung vom 16. Juni 1919).

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Nun also nicht der 8. Mai – „Tag der Befreiung“ –, sondern der 8. März – Weltfrauentag – als neuer Feiertag in Berlin; so oder so: wie weiland in der DDR.

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Immanuel Kant über den Deutschen im Vergleich zum Spanier, Italiener, Franzosen, Engländer: „Er fragt weit mehr als die Vorigen darnach, was die Leute von ihm urteilen möchten, und wo etwas in seinem Charakter ist, das den Wunsche einer Hauptverbesserung rege machen könnte, so ist es diese Schwachheit, nach welcher er sich nicht erkühnt, original zu sein, obgleich er dazu alles Talente hat, und daß er sich zu viel mit der Meinung anderer einläßt, welches den sittlichen Eigenschaften alle Haltung nimmt, indem es sie wetterwendisch und falsch gekünstelt macht.“ (Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, 1764)

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Apropos Hannover und Augsburg: Wenn mein Vater die Absurdität der NS-Ideologie charakterisierte, dann mittels zweier Beispiele: der Tatsache, daß der einzige Mitschüler mit richtig blondem Haar Jude war, und daß einer seiner Lehrer zu jenen Hundertfünfzigprozentigen gehörte, die die gute Sache durch Sprachreinigung befördern wollten.

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„Der erste Schritt um ein Volk zu liquidieren, ist, seine Erinnerung auszuradieren, seine Bücher zu zerstören, seine Kultur, seine Geschichte. Dann hat jemand neue Bücher zu schreiben, eine neue Kultur zu machen, eine neue Geschichte zu erfinden. Nach kurzem wird die Nation zu vergessen beginnen, was sie ist und was sie war. Die Außenwelt wird wesentlich schneller vergessen.“ (Milan Hübl, tschechischer Historiker)

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Sollte die australische Labour Party die Wahlen im November des Jahres gewinnen, könnte dem Parlament ein Gesetz zur Abstimmung vorgelegt werden, das Eltern bei der Geburt ihres Kindes die Wahl zwischen 33 verschiedenen Geschlechtsbestimmungen ermöglicht; darunter: „neutral“, „intersex“, „omni-gender“.

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Das Dossier des Verfassungsschutzes zum Verdachtsfall AfD ist unter Verschluß. Also weiß niemand (abgesehen von ein paar linken Journalisten, an die es durchgestochen wurde), was genau darin steht. Nicht einmal die Verdächtige selbst. Aber immerhin war zu hören, daß ihr ein „völkisches“ Verständnis des Volkes zum Vorwurf gemacht wird. Nun ist es sicher so, daß nach der Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes der Begriff „Volk“ im Sinne des Grundgesetzes sehr weitgehend – aber nicht vollständig – mit dem der Staatsbürgergemeinschaft zur Deckung gebracht wurde. Trotzdem bleibt unbestreitbar, daß die Verfassungsväter unter dem „deutschen Volk“ primär eine Abstammungsgemeinschaft verstanden und es mithin ausgeschlossen sein dürfte, daß eine derartige Vorstellung den von ihnen postulierten Werten des Grundgesetzes widersprechen kann. Aber wahrscheinlich muß man schon wieder lernen, daß der Wortlaut der Verfassung manchmal genau das Gegenteil dessen bedeutet, was da steht.

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Das Voluntary Human Extinction Movement (VHEMT) – die Bewegung für das freiwillige Aussterben der Menschheit – hat eine französische Sektion gegründet. Beruhigend ist nur, daß sich dieser Bewegung bisher lediglich zweihundert Personen weltweit angeschlossen haben, die auf das Verschwinden unserer Spezies mittels Geburtenkontrolle setzen, um der Biosphäre eine Chance zu geben.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 15. Februar in der JF-Ausgabe 8/19.