© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/19 / 01. Februar 2019

Ein Konflikt auch ohne größere Differenzen
Der Historiker Kurt Bednar über den Krieg zwischen den USA und Österreich-Ungarn 1917 und 1918
Jürgen W. Schmidt

Zwischen dem Kaiserreich Österreich-Ungarn und den USA bestanden bis zum Kriegsausbruch 1914 keinerlei gravierende Widersprüche. Der gegenseitige Handel bewegte sich im einstelligen Millionenrahmen, und deswegen waren die diplomatischen Vertretungen beider Staaten auch nur minimal besetzt, zudem beidseits nicht gerade mit Spitzendiplomaten. 

Doch das eigentlich Verbindende zwischen beiden Staaten war die große Anzahl von Auswanderern, welche in den USA ihr Glück versuchten und häufig später US-Bürger wurden. So existierten beachtliche Kolonien slawischer Auswanderer, vor allem von Polen, Tschechen, Slowaken, aber auch von Balkanslawen in den USA, was im Laufe des Ersten Weltkrieges letztlich verhängnisvolle Auswirkungen auf die Monarchie Österreich-Ungarn haben sollte. 

Das erste Mal erregte Österreich-Ungarn nach Kriegsbeginn 1914 den Zorn der USA durch die Versenkung des italienischen Passagierdampfers „Ancona“ am 8. März 1915 durch ein U-Boot unter österreichischer Flagge, wobei auch einige US-Amerikaner ihr Leben verloren. Österreich duldete still und ergeben diesen Zornesausbruch, obwohl die „Ancona“ vom deutschen U 38 versenkt wurde. Weil Deutschland damals Italien noch nicht den Krieg erklärt hatte, fuhren die deutschen U-Boote im Mittelmeer nämlich unter „fremder Flagge“, um auch italienische Schiffe angreifen zu können. 

Den hierdurch erweckten Unwillen in den USA gegen Österreich-Ungarn begannen die monarchiefeindlichen slawischen Kräfte auszunutzen um öffentlich Stimmung gegen Österreich-Ungarn zu machen und „Selbstbestimmung“ für die angeblich im Rahmen einer verstaubten Monarchie zwangsweise zusammengehaltenen Völkerschaften zu verlangen. Das galt besonders für Exiltschechen, die sich um den mit einer amerikanischen Industriellentochter verheirateten und seit 1914 in den USA lebenden Thomas G. Masaryk scharten. 

Kein plausibler Grund für eine Kriegserklärung

Der Zwischenfall war auch Wasser auf den Mühlen der ententefreundlichen Presse in und außerhalb der USA, die hier eine prächtige Chance sahen, Deutschland und seinen wichtigsten Verbündeten Österreich-Ungarn politisch auseinanderzudividieren. Zur österreichfeindlichen Stimmung trugen außerdem schwächliche Versuche des griechischstämmigen österreichischen Botschafters Konstantin Dumba in den USA bei, die annähernd vier Millionen in den USA lebenden österreichischen Untertanen zu bewegen, nicht in der lukrative Löhne zahlenden US-Rüstungsindustrie zu arbeiten oder gar Streiks in amerikanischen Munitionsfabriken anzuzetteln. 

Schließlich folgte einige Monate nach der Kriegserklärung der USA an das Deutsche Reich am 6. April 1917 am 11. Dezember 1917 auch Washingtons Kriegserklärung an Österreich-Ungarn. Es gab in den USA damals sogar Schwierigkeiten, einen einigermaßen plausiblen Grund für die Kriegserklärung zu finden, weil beide Staaten in ihrer bisherigen Geschichte außer dem „Ancona“-Fall nie Differenzen verspürten. 

Zur direkten militärischen Konfrontation kam es 1918 eigentlich nur an der Westfront, als die k.u.k. Monarchie auf deutsche Bitten vier Infanteriedivisionen dorthin entsandte und die 1., 35. und 106. Infanteriedivision Kampfhandlungen gegen US-Infanterie zu bestehen hatten. Außerdem kam 1918 an der italienischen Front eine kleinere US-Einheit gegen österreichische Truppen zum Einsatz. 

Doch nunmehr wurde die US-Politik von exiltschechischen Kräften förmlich mit Bitten um die Errichtung einer unabhängigen tschechischen Republik bestürmt. Diesem Drängen schlossen sich bald auch Exilpolen und Balkanslawen mit gleichgerichteten Wünschen an. Die US-Regierung verfügte namentlich im diplomatischen Dienst kaum über Balkan- und Osteuropaexperten, weswegen man die Behauptungen und Wünsche der österreichfeindlichen Exilslawen nicht zu hinterfragen wußte und als wahrhaftig annahm. Zumal entsprachen ihre meist eine ethnische Homogenität in Ostmitteleuropa voraussetzenden Konzeptionen auch den politischen Traumgebilden von der „Selbstbestimmung der Völker“ des US-Präsidenten Woodrow Wilson.

Zum großen Schaden Österreichs war aber genau dann, als Südtiroler, Deutschböhmen, Burgenländer oder Untersteiermärker später auf „Selbstbestimmung“ pochten, bei Wilson nicht der Wille zu verspüren, auch hier seine hehren Prinzipien durchzudrücken. Zudem verhinderte das nach brutalstmöglicher Schwächung seines Erbfeindes Deutschland trachtende Frankreich den auf Grundlage von „Selbstbestimmung“ erfolgten Wunsch der „Deutschböhmen“ bzw. „Deutschösterreicher“ nach „Anschluß“ an Deutschland. Der österreichische Jurist und Historiker Kurt Bednar hat in seinem Buch „Papierkrieg“ eine vorzügliche Studie über die Beziehungen Österreich-Ungarns zu den USA zwischen 1914 und 1920 verfaßt. Besonders wichtig ist, daß er die handelnden Personen und deren persönliche Motive hinter den Staatsaktionen sichtbar macht, die sich zuungunsten von Österreich-Ungarn bemerkbar machten. Viele der politischen Widersprüche und vor allem die gesamte Kleinstaaterei in Ostmitteleuropa und auf dem Balkan sind nämlich direkte Folgen der damaligen US-amerikanischen Außenpolitik.

Kurt Bednar: Der Papierkrieg zwischen Wa-shington und Wien 1917/18. Studienverlag, Innsbruck 2018, gebunden, 505 Seiten, 34,90 Euro