© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/19 / 01. Februar 2019

Der Flaneur
Alles Gender oder was?
Maria Bentz

Blauer Himmel, klare kalte Luft, also nichts wie hinaus in die strahlende Wintersonne. Flaniert wird am städtischen See. Die Sportlichen – wie immer in Eile – flitzen behelmt mit Hilfe aller möglichen Sportgeräte herum. Unter den Gemächlicheren viele Muttis. Ein auffallender Anteil trägt Kopftücher. 

„Hallo, lange nicht gesehen!“ Gilt das mir? Ein junges Paar kommt auf mich zu, er schiebt einen Kinderwagen. Tatsächlich, lange her. Der Nachwuchs sitzt bereits stramm aufrecht. Ich wußte nicht einmal, daß er sich angekündigt hatte. 

Das Kind soll später selbst über das Geschlecht entscheiden können.

„Herzlichen Glückwunsch zu eurem Prachtstück! Ist es ein Junge oder ein Mädchen?“ frage ich. „Och, das wird es später einmal selber entscheiden“, erklären die stolzen Eltern. Es? Hm. Ach so, ja, das Kind natürlich. Etwas stotternd hake ich trotzdem neugierig nach: „Was steht denn in der Geburtsurkunde?“ „Da steht männlich.“ Ach so. „Wie heißt denn das Kind?“ „Kim.“ „Wie reizend! Hallo Kim!“ Große blaue Kulleraugen mustern mich neugierig. „Der Name paßt zu beiden Geschlechtern“, werde ich aufgeklärt.

„Zu allen Geschlechtern hoffentlich“, drängt es mich zu erwidern, „es gibt ja Dutzende.“ Die beiden schauen ein wenig ratlos. „Könnt ihr googeln“, beruhige ich sie. In diesem Moment überholt uns eine weitere Kinderkarre. Darin umklammert ein blau gekleideter Sprößling mit Jungenhaarschnitt einen riesigen Schaufelbagger. Vor ihm trippelt eine kleine Prinzessin, rosa Kleidchen, silberne Glanzschühchen, die Locken bändigt ein Glitzerhaarreif. Im Arm eine Puppe. Ob diese schönen Haare bald auch unter einem Kopftuch verschwinden werden? fährt es mir durch den Sinn. 

„Wir müssen weiter. Sag der Tante tschüß!“ Ich drücke das  mir zutraulich hingestreckte Patschhändchen. „Tschüß Kim!  Bist ein feiner Junge“, kann ich mir nicht verkneifen und entschwinde den Blicken des verdutzten Paares.