© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/19 / 08. Februar 2019

„Absurd und sinnlos“
Vor zwei Jahren zog sich TV-Liebling Katrin Huß überraschend beruflich zurück – laut Medien aus privaten Motiven. Nun offenbart sie in ihrem Buch die tatsächlichen Gründe: Die Mißstände, die sie beim MDR erleben mußte, nahmen überhand
Moritz Schwarz

Frau Huß, warum gibt ein Publikumsliebling wie Sie die Karriere auf?

Katrin Huß: Aus Enttäuschung. Irgendwann wollte ich bestimmte Gesichter in meiner Redaktion nicht mehr sehen. 

Was war passiert?

Huß: Es begann, als ich die Moderation des Nachmittagsmagazins „Hier ab vier“ übernahm: Über Jahre Schikanen und Genörgel, meine Arbeit sei schlecht.

Aber laut Medienanalyse des MDR waren Sie eine seiner beliebtesten Moderatoren.

Huß: Eben. Doch zu viele meiner Vorgesetzten hatten wohl ein Ego-Problem.

Verlassen haben Sie den Sender bereits 2016, damals angeblich aus persönlichen Motiven. Erst jetzt offenbaren Sie in Ihrem Buch die politischen Gründe. Warum?

Huß: Das alles hatte mich so verletzt und klein gemacht, daß ich keine Kraft mehr hatte, einem Medienrummel standzuhalten. Ich wollte meine Ruhe haben und loslassen, so wie ich es im Yoga gelernt habe. Und auch heute will ich nicht abrechnen, sondern berichten.

Im Buch schildern Sie, wie Ihr Interview mit dem Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz Anfang 2016 zur Eskalation führte. 

Huß: Unser Magazin ist ein Unterhaltungsformat. Doch 2015 verlangte die Redaktionsleitung, die Gäste auch nach ihrer politischen Meinung, etwa zu Pegida oder der Asylkrise, zu befragen. Ich sollte das im Vorgespräch mit ihnen aber nicht erwähnen. Vielleicht wären einige damit nicht einverstanden gewesen. 

Für einen Journalisten ist das legitim. 

Huß: Stimmt. Aber meine Gäste kamen, weil sie ihre Bücher, CDs und Filme promoten wollten, rechneten also nicht mit Politik. Ich fand es unfair, sie damit zu überraschen. So sprach ich sie vorher darauf an. Reagierten sie negativ, tat ich es in der Sendung nicht. 

Und das wurde akzeptiert? 

Huß: Nein, schon während der Sendung hat mich der Chef vom Dienst dafür via Knopf im Ohr zur Schnecke gemacht und danach nochmal. Aber ich wollte das Vertrauen meiner Gäste nicht mißbrauchen, nur um Vorgesetzten zu gefallen.   

Ging es denn darum, diese vorzuführen? 

Huß: Das will ich nicht sagen, aber es wurde in Kauf genommen. Man weiß doch, wie das laufen kann: Unvorbereitet sagt einer etwas politisch Provokantes, was er vielleicht gar nicht so meint; dann wird ihm ein Strick daraus gedreht.

Hans-Joachim Maaz scheute sich allerdings nicht, über Politik zu sprechen. 

Huß: Im Gegenteil, er war ja gerade wegen seiner provokanten politischen Äußerungen eingeladen worden. Hatte er doch zuvor in den Medien erklärt, die Bundeskanzlerin habe ob ihrer Asylpolitik quasi nicht mehr alle Tassen im Schrank. Wie so oft hatte ich meine Fragen vorher eingereicht und keine Reaktion bekommen. Ich ließ Maaz also seine Analyse vortragen. Er erläuterte seine Thesen sachlich, und ich fand vieles sehr aufschlußreich. Etwa, daß die Menschen im Osten 2015 im Grunde aus dem gleichen Motiv auf die Straße gingen wie 1989, weil sie sich nicht repräsentiert fühlten. Mir schien alles gut gelaufen zu sein. Doch als mein Chef vom Dienst nach der Sendung mit rotem Kopf davonstürmte, schwante mir Böses.

Sie erlebten also Ihr „blaues Wunder“?

Huß: Das kann man wohl sagen. Bei der üblichen Kritikrunde am nächsten Morgen saß ich 25 „versteinerten“ Kollegen gegenüber, fünf weitere versuchten, mich regelrecht fertigzumachen.

Warum?

Huß: Weil ich Maaz nicht widersprochen hatte. Das Interview sei so angeblich wie „eine Pegida-Demo“ gewesen. 

Was halten Sie davon?

Huß: Herr Maaz war doch gerade wegen seiner Positionen eingeladen worden! Und übrigens nicht von mir. Ich hatte zudem schriftlich Anweisung erhalten, nach diesen zu fragen. Außerdem, er war der Fachmann, nicht ich. Und: Ich hatte meine Fragen vorher eingereicht!

Das klingt ja fast wie eine Falle.

Huß: Dahinter steckt vermutlich etwas anderes. Es geht darum, sich der Verantwortung zu entziehen. Sie bekommen von der Redaktion den Auftrag, einen Dreißig-Minuten-Talk zu gestalten, erstellen ein Gesprächskonzept und legen es vor. Das wird dann zur Kenntnis genommen und genehmigt, im schlimmsten Fall sogar ignoriert. So können die eigentlich Verantwortlichen hinterher jederzeit Sie für alles verantwortlich machen. Den letzten beißen die Hunde. 

Aber wenn die Chefs weder die Gestaltung noch die Verantwortung übernehmen, wozu sind sie dann da? 

Huß: Genau diese Frage habe ich mir auch gestellt! Nachdem ich jedoch zwanzig Minuten vor versammelter Mannschaft beleidigt und gemaßregelt worden war, stellte ich klar, daß ich Journalistin und keine Meinungsmacherin bin. Meine Aufgabe sei es, zu fragen, nicht, es besser zu wissen. Außerdem gab es ein enormes Zuschauerecho: Es kamen Hunderte zustimmender Reaktionen, teilweise mit dem Tenor: Was ist mit dem MDR los? Endlich wird da die Wahrheit geredet! Als ich das dem Chef meines Redaktionsleiters in einer erneuten Aussprache sagte, wiegelte er ab, es habe ebenso negative Zuschriften gegeben. Als ich ihn aufforderte, sie mir zu zeigen, verbat er sich das. Später fand ich heraus: es waren zu diesem Zeitpunkt genau zwei. 

Wie haben denn Ihre Kollegen reagiert?

Huß: Die einen blickten betreten nach unten, die anderen mich stumm an. Das waren die, die mir vermutlich zustimmten, aber nicht wagten, etwas zu sagen.

Warum nicht?

Huß: Sie wären auch ins Visier geraten, deshalb nehme ich es auch keinem übel. Viele MDR-Mitarbeiter sind nicht in einem sicheren Angestelltenverhältnis, sondern arbeiten als „feste Freie“ oder so wie ich mit Honorarvereinbarungen, die alle sechs Monate erneuert werden müssen. Das schafft ständige Existenzangst. 

Warum ist das so?

Huß: Der Sender muß so keine Sozialabgaben oder andere Zulagen wie Urlaubsgeld zahlen und kann mißliebige Mitarbeiter rasch loswerden. Zudem werden solche Verträge gerne mal zuungunsten der Mitarbeiter geändert. Ihnen bleibt ja nichts anderes übrig, als das hinzunehmen, wollen sie nicht plötzlich ohne Aufträge dastehen.

Werden solche Zustände in der Privatwirtschaft nicht gerade in den Öffentlich-Rechtlichen als sozialer Mißstand kritisiert? 

Huß: Eben!

Andererseits sind Freie ja frei und nicht verpflichtet, Anweisungen entgegenzunehmen.

Huß: Richtig, doch wurde das konsequent mißachtet. Bei Bezahlung, Rechten und Arbeitszeit waren wir Freie, behandelt aber wurden wir wie Angestellte, inklusive herumkommandiert und verantwortlich gemacht zu werden für Dinge, für die wir nicht verantwortlich waren. 

Da Ihre Fragen an Maaz vorlagen, war die – aus Sicht Ihrer Vorgesetzten – „Katastrophe“ doch vorauszusehen. Warum haben diese sie nicht im Eigeninteresse verhindert? 

Huß: Auch das ist eine gute Frage. Ich denke, das Verhalten meiner Redaktionsleitung war unprofessionell.

Unprofessionell?

Huß: Ich kann nur für den Teil des MDR sprechen, den ich kennengelernt habe. Etwa meine Redaktion: Deren Aufgabe war es auch, mir Informationen zu den Gästen zu liefern. Ich mußte aber feststellen, daß ich mich auf die nicht verlassen konnte. Zu oft waren sie falsch und ich vor den Zuschauern, die nicht wußten, wer „recherchiert“ hatte, blamiert. Also recherchierte ich vieles selbst, oft bis in die Nacht. Mit der Folge, mir den Unmut der Redakteure zuzuziehen. Mir war auch wichtig, gut auf meine Gäste vorbereitet zu sein, während aus der Redaktion die Meinung kam, „gut“ vorbereitet müsse ich nicht sein, ein bißchen reiche. Schließlich hieß es gar, am beste wäre, ich wüßte gar nichts über die Gäste, dann käme alles spontan. Wie aber wollen Sie angemessen einen Musiker oder Autor interviewen, wenn sie ihn und sein Werk nicht kennen? Unverständlich waren mir auch Vorgesetzte, die mir während des Interviews per Knopf im Ohr ständig Nebensächlichkeiten sagten, etwa ich solle meine Haare richten oder doch mal zur Kaffeemaschine gehen. Oft bekam ich so die Antwort des Gesprächspartners nicht mit, mußte aber auf diese reagieren. Ich wurde sogar, während ich moderierte, per Ohrhörer angebrüllt! 

Das war der alltägliche Umgangston?

Huß: Beleidigungen, teilweise übelster Art, und Demütigungen gab es nicht nur im Fall Maaz, sondern regelmäßig. Motivation durch Lob war mir und vielen Kollegen unbekannt. Angetrieben werden sollte man durch Kritik. Selbst wenn eine Sendung super gelaufen war. Ein Haar findet sich immer in der Suppe. Zudem gab es für die allmorgendliche Kritikrunde keine Richtlinien. Ergebnis, Kritik auf dem Niveau: „Mir hat deine Bluse nicht gefallen“, die also rein persönlich, fachlich völlig irrelevant ist. Und heute wurde dies, morgen das Gegenteil kritisiert – je nachdem, wer mit dem Kritiküben an der Reihe war. Wonach sollte man sich also richten? Und es kamen sogar Leute mit dem Kritisieren dran, die keinerlei Erfahrung hatten, nie vor der Kamera gestanden, nie eine Sendung gemacht hatten und so gar keine Ahnung von der Arbeitsrealität hatten. Es war absurd und sinnlos und sorgte nur für Enttäuschung und Verbitterung. Und so systematisch demotiviert, begannen wir dann den eigentlichen Arbeitstag. All das führte dazu, daß ich, die ich meinen Beruf leidenschaftlich liebte und mein Privatleben dafür opferte, immer weniger Freude daran hatte und schließlich erhebliche Rückenschmerzen bekam, die sich als streßbedingt herausstellten. Und nach der Aussprache beim Chefredakteur zum Maaz-Interview mußte ich sogar in die Notaufnahme, weil ich so fertig war, daß es mir nicht mehr gelang, mich zu beruhigen.

Im Buch berichten Sie, wie dieser verlangte: „Sie sind haftbar und verantwortlich für das, was die Gäste sagen, und Sie haben politisch einzuschreiten, im Sinne des MDR!“ 

Huß: Dabei widersprach das meinem Arbeitsvertrag, eine solche Verantwortung hatte ich darin nie übernommen. Die lag beim Sender, aber erneut ging es darum, sie abzuwälzen. Zudem, was bedeutet: „im Sinne des MDR“? Ich dachte, Journalisten sind unabhängig! Jetzt behauptet der MDR in einer Reaktion auf die Kritik in meinem Buch: „Ein Interview im Sinne des MDR zu führen bedeutet, ein professionelles, journalistisch sauberes, glaubwürdiges, leidenschaftliches, gutes Programm zu machen.“ Genau das habe ich, bevor ich 2016 darauf verzichtet habe, unter all diesen Umständen meinen Vertrag zu verlängern, 18 Jahre lang getan! 

2016 sorgte die WDR-Journalistin Claudia Zimmermann mit der Äußerung für Schlagzeilen, daß es zwar nie politische Anweisungen ihres Senders gab, daß aber dennoch unausgesprochen klar war, in welche Richtung man bei bestimmten Themen zu berichten hatte. In der Asylkrise etwa: „ein bißchen pro Regierung“.Wer sich nicht daran hielt, bekam keine Aufträge mehr. 

Huß: Das deckt sich ziemlich mit dem, was auch ich erlebt habe. 

Also gab es mehr als nur den Vorfall Maaz?

Huß: Seit es auch bei uns in der Sendung mit Politik losging, so wurde mir zum Beispiel bei der AfD immer wieder das Adjektiv „rechtspopulistisch“ in die Anmoderationen hineingeschrieben. Dabei geht es mir nicht um die AfD, sondern darum, daß diese Etikettierung ein Versuch unjournalistischer Meinungsmache ist. Oder ich bekam von der Redaktion die Anmoderation, bei einer Pegida-Demo in Dresden seien drei Autos in Flammen aufgegangen. Als ich das nachprüfte, stellte ich fest, daß es die Wagen von Pegida-Anhängern waren, die in Brand gesteckt wurden! Über das Weglassen von Tatsachen war ich wirklich entsetzt.

Wenn es eine, wenn auch unausgesprochene politische Richtlinie gibt – wer legt die fest? 

Huß: Ich möchte nochmal betonen, daß ich nur von meinen Erfahrungen beim MDR sprechen kann, nicht von „den“ Öffentlich-Rechtlichen und auch nicht von den Nachrichtenredaktionen des MDR, wo ich nie war. Aber zu Ihrer Frage: Ich weiß es nicht, glaube aber, daß das von ganz oben kommt, sprich noch über den Intendanten hinausgeht. 

Also aus der Politik kommt?

Huß: Ich weiß es wirklich nicht. 

Informieren Sie sich heute durch die Nachrichten der Öffentlich-Rechtlichen? 

Huß: Nein. 

Warum nicht? 

Huß: Weil ich kein Vertrauen mehr habe, daß diese ausgewogen sind.  

Wenn die Öffentlich-Rechtlichen weder einen Teil ihrer Mitarbeiter sozial fair behandeln, noch ein humanes Betriebsklima pflegen, wenn sie zum Teil handwerklich unprofessionell sind und es ihrer Berichterstattung an Qualität und Seriosität fehlt – wofür bezahlen wir dann Gebühren?

Huß: Tja, auch das ist eine gute Frage. 

Ist die Forderung nach Abschaffung der Öffentlich-Rechtlichen berechtigt? 

Huß: Inzwischen ist mir klar, die sind dabei, sich selbst abzuschaffen.

Dem von Ihnen erlebten Skandal widmet Ihr Buch jedoch nur zwei Kapitel. Warum?

Huß: Es soll gar kein Skandalbuch sein, sondern schildert vor allem die schönen Seiten des Berufs, man kommt herum, trifft interessante Leute, lernt täglich dazu. Und schließlich will ich einen Ausweg aufzeigen: Achtzig Prozent der Deutschen arbeiten laut Statistik in einem Umfeld, das sie unglücklich macht. Sie leiden, ändern aber nichts. Mir ging es ebenso, und ich habe meine Familie und meine Freunde damit belastet. Bis ich einen Weg gefunden habe, mich daraus zu befreien. Ich würde mich freuen, nun anderen einen solchen Weg zu zeigen und Mut zu machen.  






Katrin Huß, war zunächst Moderatorin bei einem sächsischen Privatradio, dann Sportberichterstatterin beim Mitteldeutschen Rundfunk. Ab 1998 moderierte sie dort das Fernsehmagazin „Hier ab vier“ (seit 2014 „MDR um vier“) sowie von 2003 bis 2011 die Lifestylesendung „Café Trend“. 2016 beendete sie die Zusammenarbeit mit dem MDR. Ende 2018 veröffentlichte sie ihr Buch: „Die traut sich was! Geschichten aus dem Leben einer Fernsehjournalistin“. Geboren wurde Huß, die Journalismus und Sport studierte, 1969 in Wolfen (heute Bitterfeld-Wolfen).

Foto: Ex-Fernsehmoderatorin Huß: „Ich bin Journalistin, keine Meinungsmacherin. Meine Aufgabe ist, zu fragen, nicht es besser zu wissen“

 

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