© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/19 / 08. Februar 2019

Pragmatisch, volksnah und lösungsorientiert
Québec: Der moderne Populismus des neuen Premierministers – ein Modell für Demokratien von heute
Jürgen Liminski

Leben heißt Probleme lösen. Diese eigenwillige Definition des zeitgenössischen Philosophen Karl Popper gilt natürlich auch für das politische Leben. 

In Québec ist das schon Alltag. Der neue Ministerpräsident François Legault hat nach Erfahrungen als junger Minister (Gesundheit, Bildung) in der Volkspartei „Parti Québécois“ in den späten neunziger Jahren und als Oppositionsabgeordneter im Jahrzehnt danach erkannt, daß die politische KIasse in einer Blase lebt, die nicht zukunftsfähig ist. Als früherer Geschäftsmann (Mitbegründer und Generaldirektor der Fluggesellschaft Air Transat) und als Wirtschaftsprüfer sowie als Direktor eines großen und angesehenen Museums hatte er immer den Kontakt zur Klientel, zum Volk gesucht. 

Patriotisch, aber nicht nationalistisch 

Und damit meinte er es ernst. Nachdem die Partei seinen Vorschlag, sich doch um die wirklichen Probleme der Menschen zu kümmern und die Frage der staatlichen Unabhängigkeit hintanzustellen, verworfen hatte, stieg er aus der Politik und dem Parti Québécois aus. Gemeinsam mit einem Geschäftsfreund, Charles Sirois, zimmerte er 2009 eine patriotisch, aber nicht nationalistisch gesinnte Bewegung „Koalition für die Zukunft Québecs“ (CAQ) zusammen und startete eine breit angelegte Konsultation mit den Bürgern. Er wollte direkt erfahren, was die Menschen in seiner Heimat bedrückt, besorgt und welche Lösungen sie sehen. 

Heraus kam ein Programm, in dem er auf die staatliche Unabhängigkeit Québecs zugunsten einer weitgehenden kulturellen und finanziellen Autonomie verzichtete. Die CAQ fusionierte Ende 2011 mit der Demokratischen Aktion Québecs und wird eine politische Partei, die ein knappes Jahr später im September 2012 aus dem Stand bei den Wahlen 27,1 Prozent und 19 Sitze im Parlament einfährt. 

Aber drei Jahre später schwächelt die Partei und legt nur um zwei Sitze zu. Legault mischt sich wieder unters Volk und hört zu. Im Oktober vergangenen Jahres, nach einer deutlich patriotischeren Kampagne, in der er verspricht, die Migration um 20 Prozent zu verringern und für Einwanderer einen Test der Integrationsfähigkeit einzuführen (abgefragt werden sollen Sprachkenntnisse in Französisch sowie Kenntnisse der Werte und Zivilisation in Québec), springt die Partei gegen die Voraussagen der Experten in Medien und Umfrageinstituten von 21 auf 74 Sitze (von 125) und stellt seither die Regierung – mit  einem Premierminister Legault, dessen Popularität zum Unmut der Opposition ständig wächst. 

Legaults Regierungsstil ähnelt dem eines Unternehmenslenkers: pragmatisch, schnell, entscheidungsfreudig. Sein zur Hälfte mit Frauen besetztes Kabinett besteht vorwiegend aus Unternehmer-Persönlichkeiten, die wie er selbst prüfen und dann gern und rasch entscheiden. Manchmal auch zu schnell, und der Chef korrigiert das dann. 

So meinte die stellvertretende Premierministerin, Geneviève Guilbault, einen Klausurtag zu organisieren, um über Islamophobie zu diskutieren und kündigte das öffentlich an. Chef Legault trat am nächsten Tag vor die Presse und sagte: „Geneviève hat zu Recht über diese Frage nachgedacht. Wir haben darüber gesprochen, und der Tag findet nicht statt.“ 

Ähnlich beim Thema Laizität. Legault will ein Gesetz wie in Frankreich: Im öffentlichen Dienst sollen religiöse Zeichen wie Kopftuch oder Kreuz verboten sein, im privaten Sektor dagegen nicht, was vor allem die christlichen Schulen betrifft. Bedenkenträger in Parlament und Regierung wagten Einsprüche und wollten überhaupt keine Zeichen mehr sehen. Legault entschied, das Gesetz kommt wie geplant.

Gegenmodell zu Kanadas   Premier Trudeau

Der neue Premier ist noch keine hundert Tage im Amt, aber man spürt den Ruck, der durch das Land geht. Er sucht weiterhin die Nähe des Volkes, biedert sich aber nicht an. Er ist ein Populist mit  Klasse und klarem Programm. 

Zu seinen Prioritäten gehören die Bildung, die ärztliche Versorgung (in einem Flächenland wie Québec ein echtes Problem) und die Reduzierung der Einwandererzahlen. Er ist gewissermaßen das Gegenmodell zum Premier ganz Kanadas, Justin Trudeau. 

Seine Gegensätzlichkeit zu Trudeau zeigte sich schon darin, daß er kurz nach der Wahl das Alter für den legalen Cannabis-Konsum heraufsetzte. Es kann sein, daß Legault mit seiner pragmatischen, volksnahen und schnellen Regierungsweise bald ins ganze Land ausstrahlt. Auf jeden Fall bietet sein moderner Populismus ein Modell für heutige Zeiten.