© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/19 / 08. Februar 2019

Die störende Grenze beseitigen
Kosovo/Albanien: Die Regierungschefs beider Seiten liebäugeln mit dem lang ersehnten „Großalbanien“
Hans-Jürgen Georgi

Kaum soll es wieder Gespräche zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo geben, sorgen kosovarische und albanische Politiker dafür, daß die „albanische Frage“ wieder ins Gespräch kommt.

Seit der Nationswerdung der Balkanvölker im 19. Jahrhundert träumen die Albaner davon, in einem Staat zu leben. Erstmals wurde das während des Zweiten Weltkrieges unter der Okkupation Italiens und Deutschlands wahr. Dieses „Großalbanien“ von Mussolinis und Hitlers Gnaden umfaßte neben dem Gebiet des Königreichs Albanien einen Großteil des Kosovo, den albanisch bewohnten Teil Montenegros, Westmazedonien und den albanisch bewohnten „Nordepirus“ im Nordwesten Griechenlands. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Grenzen Albaniens, später „Volksrepublik Albanien“, in etwa wiederhergestellt, und Albaner lebten erneut getrennt in den Nachbarländern um Albanien.

Mit der Neuordnung Jugoslawiens lebte der Gedanke an ein „Großalbanien“ wieder auf. Inzwischen wuchs die Zahl der Albaner in den angrenzenden Ländern stetig. Derzeit machen sie in Mazedonien etwa 25 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, und unlängst wurde Albanisch zweite Amtssprache. 

Albanischer Blick auf Griechenland  

Im Kosovo leben 88 Prozent Albaner, und die verbliebenen sieben Prozent Serben siedeln zu einem großen Teil im Norden der selbsternannten Republik. Dafür gibt es noch eine beträchtliche Anzahl von Albanern im südlichen Serbien, insbesondere im Preševo-Tal. Auch deshalb strebt die Republik Serbien inzwischen einen Gebietsaustausch und eine strikte Abgrenzung zum Kosovo an. Obwohl im kleinen Montenegro nur fünf Prozent der Einwohner Albaner sind, stellen sie aber mehr als ein Viertel der Minister in der derzeitigen Regierung.

Am heikelsten stellt sich die albanische Frage in Griechenland. Offiziell sind im Jahr 2011 knapp 500.000 Albaner gezählt worden, aber es werden bis zu 700.000 im Land vermutet. Umstritten ist das Siedlungsgebiet der Çami, der muslimischen Albaner im Nordepirus.  Albaniens Ministerpräsident Edi Rama forderte vor einiger Zeit die Rückgabe von Eigentum an die Çami, die wegen ihrer Zusammenarbeit mit den Okkupationskräften nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben worden waren. Griechenland lehnt diese Forderung ab, ebenso wie die Anerkennung der Albaner als Minderheit.

Daß im Moment die „albanische Frage“ und „Großalbanien“ in der Öffentlichkeit wieder Furore macht, liegt an einer Ankündigung des Premiers des Kosovo, Ramush Haradinaj, kurz vor Jahreswechsel: „Seit heute gibt es keine Grenze mehr zwischen dem Kosovo und Albanien. Wir haben nur eine gemeinsame Grenzstation. Die Arbeit wird fortgesetzt, und im März kommen wir in die zweite Phase der völligen Beseitigung der Grenze zwischen dem Kosovo und Albanien auf der Grundlage der Schengen-Prinzipien.“

Aachener Vertrag als Modell für Neuordnung 

Dies unterstrich Albaniens Premier in seiner Neujahrbotschaft: „Ich glaube, daß im Frühjahr zwischen Albanien und dem Kosovo nur noch eine Grenze nach dem Kriterium des Schengen-Abkommens sein wird. In naher Zukunft erwarten wir nach dem gleichen Prinzip auch eine Modifzierung der Grenzen mit Mazedonien, Montenegro und Griechenland. Solch eine Praxis werden wir weiter bis zum EU-Beitritt fortsetzen.“

Auch wenn die Verfassung des Kosovo den Anschluß an ein anderes Land verbietet und die internationale Gemeinschaft ein Zusammengehen mit Albanien ablehnt, wird eine möglichst enge Zusammenarbeit unterhalb eines staatlichen Zusammenschlusses angestrebt. So schloß Albaniens Ministerpräsident im April 2017 eine „Albanische Union“ – eine Föderation aus Albanien und dem Kosovo nicht mehr aus, und im Februar vergangenen Jahres sprach er von einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und konnte sich sogar einen gemeinsamen Präsidenten vorstellen. Kurz danach ruderte er zurück und sprach von „aus dem Kontext gerissen“. 

Die EU reagierte auf die Erklärungen zur Aufhebung der Grenzen nicht. Offenbar liegt diese Art der „grenzüberschreitenden Zusammenarbeit“ ganz im Sinne Brüssels. So wie es laut kürzlich abgeschlossenem Aachener Vertrag in Frankreich und Deutschland vorgelebt werden soll. Auch hier wird beabsichtigt, in „Grenzregionen die Beseitigung von Hindernissen zu erleichtern“.