© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/19 / 08. Februar 2019

Pankraz,
Ch. Wendelborn und die Fake News

Endlich mal ein klares Wort zum Thema Fake News! An der Ludwig-Maximilians-Universität München gab es jetzt eine sogenannte Fachtagung zum Thema „Fake“, und der eingeladene Konstanzer Philosophieprofessor Christian Wendelborn plädierte dort ener-

gisch dafür, den – ja erst vor kurzem aus den USA eingeführten – Begriff der „Fake News“ so schnell wie möglich wieder abzuschaffen. Er stifte nur Verwirrung und verführe zu Diskussionen über „Probleme“, die wissenschaftlich längst geklärt seien und zu keinem seriösen Gespräch mehr taugten. 

Wendelborn hat recht.  „Fake News“, also „falsche Nachrichten“, falsche Neuigkeiten, gibt es gar nicht; das Wort „Nachricht“ enthält vorab keine Wahrheitsbewertung, es meint nichts weiter als schlichte Mitteilung,  ein kommunikativer Vorgang, dessen Realgehalt von dem Empfänger erst eingeschätzt  und überprüft werden muß. Es kann sich bei Nachrichten um pure Lügen handeln, vom Sender bewußt eingesetzt, um dies oder das zu bewirken. Aber zwischen Wahrheit und Lüge erstreckt sich bekanntlich ein sehr weites Feld. Manchmal irrt sich der Wahrheitssucher, manchmal bekommt sogar der Lügner nachträglich recht.

Die Erfindung der „Fake News“ (auch darin hat Wendelborn recht) war von Anfang an kein erkenntnistheoretisches, sondern ein rein politisches Geschäft. Die bei der Wahl unterlegenen Gegner des neugewählten US-Präsidenten Donald Trump  versuchten, dessen gesamtes Informationssystem als ein einziges Lügengebäude hinzustellen, als planmäßigen Versuch, die Öffentlichkeit auf allen Kanälen mit einem dichten Gespinst aus scheinbaren Neuigkeiten und erfundenen Unausweichlichkeiten zu überziehen – eben Fake News.


Aber – Ironie der Geschichte – das große Publikum, diesseits wie jenseits des Atlantiks, verstand die an sich und ursprünglich nur auf Trump zielende Kampagne sofort als Kritik an der modernen Politik überhaupt. Diese bestehe, so die sich rapid ausbreitende Meinung, nur noch aus Fake News, aus dem Versuch der Politiker, sich durch die Aufrichtung medialer Lügengebäude an der Macht zu halten. Schlichte Lügen würden unentwegt als „Nachrichten“ verkauft, so daß am Ende der Eindruck erzeugt werde, die reale Welt im ganzen bestehe nur aus „falschen Nachrichten“, man könne nichts dagegen tun.

Überall breitet sich seitdem Zorn aus über die bewußten Fake-News-Produzenten, es hat inzwischen ein derartiges Ausmaß erreicht, daß man eifrig über öffentliche Beruhigungspillen nachdenkt. Der deutsche Bundespräsident kommt derzeit in seinen Festreden darauf zu sprechen. Ja, räumt er ein, Politik und Volk hätten sich „entfremdet“, und das liege keineswegs nur am Volk, sondern nicht zuletzt an der Politik. Sie höre zuwenig zu, sie gehe zuwenig auf die wahren Probleme der Menschen ein. Dies müsse sich unbedingt ändern, und es werde sich ändern.

Pankraz bleibt skeptisch. Die Entfremdung ist schwerlich nur momentan und zufällig, sondern wohl eher prinzipiell und schwer veränderbar. Politik und Volk können sich kaum noch verstehen, weil die Nachrichten, auf die sie hören, ob nun falsch oder nicht, aus jeweils ganz verschiedenen Ecken kommen. Das Volk, so könnte man sagen, empfindet und denkt identitär, die Politik digital. Das Volk denkt konkret, die Politik abstrakt. Das Volk fühlt qualitativ, die Politik rein quantitativ. Für sie spielt nur noch die große Zahl eine Rolle, an der es alles auszurichten gilt.

Läßt sich das ändern? Nun, vielleicht kommt die Annäherung eines nicht allzu fernen Tages ausgerechnet aus der Politik, genauer: aus einem wichtigen Teil jenes medial-politischen Komplexes, der zur Zeit den Ton angibt, nämlich aus dem Journalismus. Denn dieser Journalismus hält sich schon lange nicht mehr für die „vierte Gewalt“ im demokratischen Staat (neben Exekutive, Legislative und Judikative), zu der er sich einst stolz erklärte. Seine Herrschaftsmöglichkeiten werden immer mehr eingeschränkt, die soziale Stellung seiner Angehörigen gerät immer mehr ins Prekäre.


Das Stichwort heißt „Roboter-Journalismus“; er spielte auf der besagten Münchner Tagung eine wichtige Rolle. Die Digitalisierung macht es dem Staat und zahllosen weiteren Institutionen möglich, die Medien mit zahllosen sie, die Lieferanten, betreffenden Nachrichten zu versorgen, die aus KI-Algorithmen bestehen und wichtige, für das jeweils zu schildernde Ereignis notwendige Daten enthalten. Staat und Unternehmen kaufen diese Daten nur allzu gern und füllen damit ihre Medien. Die lebendigen Journalisten indessen sehen sich dadurch weitgehend außer Dienst gestellt und begehren zunehmend dagegen auf.

Auch dagegen  gibt es schon offizielle oder halboffizielle Beruhigungsreden à la Bundespräsident, so neulich in der Süddeutschen Zeitung, wo darauf hingewiesen wurde, daß das Sichbreitmachen von Künstlicher Intelligenz (KI) in den Medien den Journalisten doch nichts wegnähme, es gehe allein darum, sie von Routine zu befreien und ihnen ihr eigentliches schöpferisches Handwerk zu erleichtern. Bliebe nur hinzuzufügen, daß sich der herrschende medial-politische Komplex immer weniger für das „eigentliche“, im Grunde genuin literarische Talent eingefleischter Journalisten interessiert. 

Er benutzt es doch (siehe die Relotius-Spiegel-Affäre)  nur noch dazu, um seine Fake News mit Hilfe literarisch begabter Betrüger mit Blümchen zu schmücken. Große Journalisten der jüngeren Vergangenheit wie etwa der einstige Ullstein-Reporter Richard Katz (1888–1968) werden sich im Grab umdrehen. Für ihn und seinesgleichen war es die pure Selbstverständlichkeit, sich von niemandem instrumentalisieren zu lassen und sich auch nicht nach irgendwelchen Decken zu strecken. 

Aufräumen im Medienbetrieb, Richard Katz statt Relotius – damit allein läßt sich  die Entfremdung zwischen Volk und demokratischer Politik zwar nicht einfach beheben. Aber ein Anfang wäre auf jeden Fall gemacht.